“Nehmt euch und eure Endometriose ernst! Ihr seid nicht verrückt!”

Interview mit Melanie Leicht

Jahrelanges Leid und ein fallen gelassen werden, als aus der Diagnose “schwerer Darmkrebs” plötzlich “nur” Endometriose wurde, hat sie traumatisiert und doch gleichzeitig zu einer starken Frau gemacht, die Patientinnen heute rät: “Nimm dich selbst und deine Schmerzen ernst”. Sie engagiert sich auch in der Kampagne “Endo gut, alles gut” von Nadine Grotjahn und möchte noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema Endometriose schaffen. Melanie Leicht, 47, hat mit uns ihre lange und schwere Geschichte der Endometriose geteilt. 

Melanie, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, heute als Betroffene der Endometriose mit uns zu sprechen. Möchtest du dich einmal vorstellen?

Melanie: Ich bin Melanie Leicht, bin 47 Jahre alt und Hörgeräteakustik-Meisterin und weiß seit 2004, dass ich Endometriose habe. 

Was bedeutet die Endometriose für dich?

Melanie: Schmerzen, jemand anders greift in mein Leben ein, Frustration, Ärger. 

Wie verlief denn deine Krankheitsgeschichte bis es zur endgültigen Diagnose kam? Hat es bei dir lange gedauert, bis du die Diagnose erhalten hast und was war das Schlimmste für dich in der ganzen Zeit?

Melanie: Als ich 17 war, war ich das erste Mal zur Bauchspiegelung. Das war 1992 und da war Endometriose so noch kein Begriff, aber man hat nachgeschaut, weil ich schon immer über Bauchschmerzen geklagt habe. Ich habe meine Regel schon mit 10 Jahren bekommen und bin damit aufgewachsen, dass meine Oma und meine Mutter immer sagten, Schmerzen bei der Periode seien ganz normal. Mit 17 haben die Ärzte gesagt, sie hätten nichts gefunden, aber der Blinddarm sei mit der Bauchdecke verwachsen, alles andere sei aber in Ordnung. In den folgenden Jahren ging ich immer wieder zu Ärzten, weil ich so Schmerzen hatte und immer wurde gesagt, es sei nichts. Es wurde mal auf das PCO Syndrom verwiesen, aber keiner wusste es so richtig. 

2003 war ich mittlerweile 29, war verheiratet, hatte meine Meisterprüfung gemacht und bekam plötzlich zyklisch ganz starkes Darmbluten. Da habe ich mir selber gesagt, das könne ja nicht sein. Für ein halbes Jahr kam es jedoch immer wieder und wurde immer schlimmer, sodass ich es nicht weiter ignorieren konnte. Ich ging zu meiner Hausärztin, die sagte, so starke Blutungen aus dem Darm würden sich gar nicht gut anhören und wurde zur Darmspiegelung geschickt. Ich hatte eine Untersuchung unter leichter Betäubung, die jedoch so schmerzhaft war, dass ich währenddessen aufgewacht bin. Als ich aufwachte, blickte ich nur in betroffene Gesichter der Ärzte und man sagte mir, das sähe nicht gut aus und ich solle umgehend, ohne Umwege wieder zur Hausärztin gehen. Was die Ärzte gefunden hatten, sah wohl aus wie fortgeschrittener Darmkrebs und ich stand kurz vorm Darmverschluss. Ich wurde dann sofort ins Krankenhaus geschickt, jedoch leider in die Proktologie. Die haben mich sofort untersucht. Auch hier wurde die Verdacht des fortgeschrittenen Darmkrebses geäußert. Die Ärzte wollten sofort operieren. Es wurde dann eine umfangreiche Krebschirurgie durchgeführt, ohne Gynäkologen und es wurde sehr viel Darm entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt. Letztendlich ist herausgekommen, dass es Endometriose war.

„Nachdem klar war, dass das Endometriose war, hat sich einfach niemand mehr um mich gekümmert.“

Das Schlimmste für mich war, dass man sich vorher im Krankenhaus intensiv um mich gekümmert hatten, weil alle Mitleid hatten. Nachdem klar war, dass das Endometriose war, hat sich einfach niemand mehr um mich gekümmert. Es hat auch kein Arzt mehr mit mir gesprochen. Einmal kam eine Frau auf mich zu – ich glaube sie war aus dem Labor – die sagte: „Wir wissen jetzt, was sie haben. Sie haben Endometriose.” Das war alles, was mir gesagt wurde und keiner hat mich darüber aufgeklärt, was das ist. Mein Mann hat mir dann geholfen, zu Hause zu recherchieren. 

Noch im Krankenhaus ist mir dann der Bauch wieder aufgeplatzt und man wollte mich anfangs mit dem offenen Bauch nach Hause schicken. Da sich die Narbe dann aber entzündet hat, wurde es doch noch einmal operiert und behandelt. Plötzlich hatte ich dann Milchfluss. Niemand wusste etwas damit anzufangen. Ich wurde dann in die Gynäkologie gebracht, wo ich dann Medikamente bekommen habe, aber es hat sich nicht wirklich um mich gekümmert. 

Von einem auf den anderen Tag wurde mein Leben total umgekrempelt. Ich war traumatisiert und hatte Schmerzen. Alle haben immer zu mir gesagt, ich solle mich nicht so anstellen und froh sein, dass es kein Krebs war, was ich auch bin. 

Ich kann mir vorstellen, dass es einerseits eine Erleichterung, dass es kein Krebs war, weil gerade so ein fortgeschrittener Darmkrebs ja doch ein Todesurteil ist. Andererseits – ich bin auch Endometriosepatientin – ist es ja so, dass, nur weil es das Eine nicht ist, es nicht heißt, dass das Andere nicht weniger schlimm ist. Die Schmerzen von Endometriosepatientinnen werden ja oft als ebenso stark oder auch noch stärker beschrieben. Deswegen kann ich mir sehr gut vorstellen, wie du dich gefühlt hast. Du wurdest so lange ernst genommen, wie es hieß, du hättest Krebs und dann war es kein Krebs und du wurdest fallen gelassen. Ich kann mir denkwen, dass das sehr traumatisch war. 

Melanie: Mir fehlen 35 cm Dickdarm und wenn ich gefragt habe, ob das irgendwelche Folgen hätte und ich jetzt irgendwas beachten müsse, wurde nur gesagt: “Nein, nein, ist alles ok”. Es wurde weder auf besondere Ernährung noch auf irgendwas anderes hingewiesen. Später wurde der Darm wieder zurückverlegt und auch hier wurde ich nicht aufgeklärt. Keiner hat mir gesagt, was ich jetzt beachten muss. Ich hatte lange damit zu kämpfen, dass die Verdauung und auch der Schließmuskel wieder richtig funktionieren. Später habe ich in einer Selbsthilfegruppe mitbekommen, dass eine andere Patientin, deren Darm wieder zurückverlegt wurde, zuvor Übungen für den Schließmuskel genannt bekommen hat. 

Da würde man hoffen, dass damit heutzutage doch anders umgegangen wird. Ich hatte 2016 nach einer großen OP die Gefahr mit einem künstlichen Darmausgang aufzuwachen. Das passierte zum Glück nicht, aber die Ärzte waren auch großartig. 2016, da muss man mal denken, das sind 12 Jahre nach deiner großen OP und da hat sich die Medizin wahrscheinlich auch schon mehr damit beschäftigt. Zudem war ich auch in der Gynäkologie. 

Melanie: Ja und ich bin einfach in der Proktologie gelandet. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass im Krankenhaus mehrfach Proben entnommen wurden und die Ärzte schon vor der OP wussten, dass der Tumor, der da abgenommen wurde, gutartig war. Dennoch hat man eine umfangreiche Krebschirurgie durchgeführt und mir wurden im Bauchraum alle Lymphknoten und ich weiß nicht, was sonst noch alles entfernt. Ich weiß nicht, ob man anhand der Proben sagen konnte, dass es Endometriose war, aber man wusste vorher schon, dass es gutartig ist. 

Fühlst du dich denn heute bei deinen Ärzten besser aufgehoben und besser verstanden?

Melanie: Nicht wirklich, nein. Ich hab seit einem dreiviertel Jahr einen Gynäkologen, der sich mit Endometriose auskennt, bin aber auch vorher von Arzt zu Arzt gelaufen und habe mir die dollsten Sachen anhören müssen – auch in Zusammenhang mit den Schmerzen und Beschwerden, die waren unter aller Kanone.

Es ist leider oft so, dass man lange nicht ernst genommen wird. Wir müssen als Patientinnen wirklich viel leiden. Was denkst du denn, warum die Krankheit einfach immer noch so unterschätzt wird?

Melanie: Ich weiß es nicht. Wir haben hier eine Praxis, die von einem Ehepaar – beides Gynäkologen – geleitet wird. Ich war bei dem Mann in Behandlung und der hat mir erzählt, dass seine Frau auch Darmendometriose habe und sie sei gleich in einer richtigen Klinik gewesen, wo sie endoskopisch operiert wurde. Ich habe eine Freundin, die hat Endometriose und ist bei dieser Dame in Behandlung. Selbst diese Gynäkologin, die selbst betroffen ist, hat die Krankheit bei meiner Freundin nicht diagnostiziert, sondern sie vertröstet und weggeschickt. Ein anderer Gynäkologe in unserem Ort, dessen Frau Adenomyose hat, nimmt die Endometriose auch nicht ernst. Sie arbeitet am Empfang in der Praxis und ich bin dort einmal hingegangen, weil ich vor Schmerzen nicht mehr stehen konnte. Ich habe geweint und habe vier Stunden als Notpatientin dort gesessen, weil ich nicht zur richtigen Zeit gekommen bin. Ich wurde einfach sitzen gelassen. 

„Und wenn ich zur Toilette muss, dann muss ich auch. Ich kann nicht sagen, dass ich warte. Wenn ich irgendwo hinkomme, schaue ich immer erst, wo das nächste Klo ist.“

Da kann man wirklich wütend werden. 

Melanie: Ja, es ist eine Frechheit. Ich arbeite selbst im Gesundheitswesen und kann mir nur vorstellen, dass das einfach von den Krankenkassen nicht richtig bezahlt und bezuschusst wird und darum hat das keine Lobby. Es gibt von der Endometriose-Vereinigung Flyer und Informationsmaterial, das man verteilen kann und viele Arztpraxen wollen das gar nicht haben. Die haben ja gar kein Interesse daran, dass jemand selbst auf den Gedanken kommt, dass sie vielleicht Endometriose haben könnte. 

Es ist natürlich auch genauso, wie es bei dir gewesen ist. Man hat Beschwerden, die man nicht gynäkologisch vermuten würde, geht zum Hausarzt und der Hausarzt hat noch nie von Endometriose gehört. Ich bin auch viel im Gespräch mit Ärzten und höre jetzt häufiger, dass sie über Kongresse und andere Veranstaltungen versuchen, auch an die Hausärzte zu gelangen und da eine Awareness zu erzeugen. Aber es wissen einfach noch viel zu viele nichts davon. Auch wie sich die Endometriose und die Behandlung der Endometriose mit anderen Krankheiten, wo Hormone verabreicht werden müssen, verhält ist vielen nicht bekannt. Da muss viel mehr passieren, das ist wirklich erschreckend. Welche Beschwerden hast du denn zurzeit und welche Einschränkungen erlebst du im Alltag?

Melanie: Meine hauptsächlichen Beschwerden kommen von den Begleiterkrankungen. Die Verwachsungen des Darms bereiten mir schwere Probleme. Ich habe mir im letzten Oktober die Gebärmutter, die Eileiter und einen Eierstock entfernen lassen, weil ich auch nicht mehr die Pille nehmen wollte. Diese ganzen Medikamente und Hormone haben bei mir eine schwere Depression ausgelöst. Deshalb habe ich mir dann die Gebärmutter entfernen lassen. Dabei wurde auch wieder Endometriose am Blasendach entdeckt. Das Schlimmste sind aber die Verwachsungen, wobei man ja nicht weiß, woher die Schmerzen kommen. Ich meine sagen zu können, dass die Schmerzen bei mir immer im Zusammenhang mit der Verdauung stehen und habe das Gefühl, immer sagen zu können, wo das Essen gerade ist oder wenn Luft im Darm ist, wo sich diese gerade befindet. Schmerzen habe ich permanent. Ich muss immer darauf achten, was und wie ich esse und darauf, dass ich genug trinke, damit es nicht zu fest wird. Und wenn ich zur Toilette muss, dann muss ich auch. Ich kann nicht sagen, dass ich warte. Wenn ich irgendwo hinkomme, schaue ich immer erst, wo das nächste Klo ist. Meine Depression macht mir auch Beschwerden, aber das geht immer auch mit den Schmerzen zusammen: wenn ich Unterleibsschmerzen habe, habe ich auch einen depressiven Schub oder umgekehrt. 

Man ist im Alltag schon sehr eingeschränkt. Gerade mit dieser Toilettensache. Morgens kann man noch nicht sagen, ob man einen guten Tag oder einen schlechten Tag hat, bis man gegessen hat. Und dann merkt man erst, ob man “flitzen” muss oder nicht. Dann muss man eventuell auch Verabredungen absagen und all das. Es schränkt einfach sehr ein. 

Melanie: Ja, oder im Kino. Wie oft habe ich schon hinausrennen müssen, wenn der Film einmal länger ging. Ich mag schon gar nicht mehr in der Mitte sitzen, sondern sitze am Gang, damit nicht alle aufstehen müssen, wenn ich raus muss. Genauso ist es auch in anderen Situationen. Während Corona war es noch schwieriger irgendwo eine Toilette zu finden. Oder auch auf der Arbeit: Ich habe zwar sehr nette Kollegen, aber es haben auch nicht alle Menschen Verständnis dafür, wenn man dauernd zur Toilette muss. Oder ich habe Schwierigkeiten mit dem Schießmuskel. Ab und an entfleucht mir doch ein Pups. Ich versuche dann, darüber hinwegzusehen. Ich kann es halt nicht ändern. Auch da sagte der Arzt: “Mein Gott, ist ja nicht schlimm, das ist ja natürlich.” 

Ich verstehe das so gut! Dieses unkontrollierte Pupsen erlebe ich selber auch. Deshalb ist es gut, dass wir darüber sprechen, weil die Frauen, die dieses Interview lesen, sich auch darin wiederfinden können. Natürlich ist es normal zu pupsen, aber es überhaupt nicht kontrollieren zu können und in den ungünstigsten Momenten entfleucht dir da was, ist einfach peinlich. Du steigst in die Bahn und “pffft” – da entfleucht dir einer. Und die Leute um dich herum wissen ja nicht, dass du krank bist.

Melanie: Ja, oder auch beruflich. Ich sitze in einer Beratung mit Kunden und pupse. Da soll mir der Arzt sagen, wie er das finden würde, wenn er eine Beratung bekäme und der Verkäufer pupse da wild vor sich hin. Er soll mir nicht erzählen, er fänd das nicht komisch. 

Wie gehen denn sonst deine Mitmenschen damit um? Ich vermute dein Mann unterstützt dich sehr, da er dir ja auch bei den Recherchen geholfen hat. Wie erlebst du das denn sonst so im Freundes- und Familienkreis?

Melanie: Vorwiegend positiv, muss ich sagen. Die meisten Probleme damit hatten meine Eltern, weil ich eben auch keine Kinder habe. Vorher hatten wir immer den Wunsch, Kinder zu bekommen. Wir haben es aber nie mit einer Hormonbehandlung probiert, weil ich Angst hatte, dass wieder etwas mit meinem Bauch passiert. Das war für meine Mutter sehr schwierig, weil sie keine Oma war. Ihre Freundinnen kamen dann mit Babyfotos oder dem Enkelchen an und sie konnte das nie. Meine Freunde sind damit aber gut umgegangen. Schwieriger war es auf der Arbeit. Einen gebrochenen Arm sieht man, aber Bauchschmerzen sieht man eben nicht. 

Das stimmt. Gibt es denn alltägliche Gewohnheiten, die dir helfen, besser mit der Endometriose klarzukommen?

Melanie: Ich nehme jetzt seit einiger Zeit Flohsamenschalen. Auch Yoga hilft wirklich sehr. Man neigt bei Bauchschmerzen ja dazu, sich nach vorne zu beugen, aber da ist es wichtig sich auch mal zu dehnen, auch die Narben dehnt. Auch Meditationen helfen mir wirklich. Ich hatte eine tolle Yogalehrerin und wir haben für mich eine spezielle Technik entwickelt. Ich stelle mir dann vor, dass da eine kleine Elfe mit einer Salbe ist und die atme ich ein. Und die geht dann mit der Zaubersalbe in meinen Bauch und reibt die Stellen ein, die besonders weh tun. Das ist in meiner Vorstellungskraft, aber es hilft mir wirklich. Der ein oder andere mag darüber schmunzeln, aber mir hilft es tatsächlich. Entspannen, Badewanne, Heizkissen.

Was tust du denn, um die Endometriose-Aufklärung voranzubringen?

Melanie: Ich würde gerne mehr machen, aber da ich mit meinen Depressionen schwer zu kämpfen habe, fällt mir das schwer. Ich war aber bei Nadine Grotjahn und habe an ihrer Kampagne teilgenommen und Fotos machen lassen. Ich war auch die Einzige, die sich getraut hat, ihren nackten Bauch zu zeigen, meinen vernarbten Bauch, weil der ja auch zu mir gehört. Ich habe sehr viele starke Narben. Ansonsten spreche ich viel darüber, habe Aufkleber an meinem Auto, eine gelbe Schleife an meiner Handtasche. Ich spreche einfach sehr viel darüber und gehe mit der Endometriose und auch meiner Depression sehr offen um. 

Das ist auch sehr wichtig. Was hat dich denn dazu bewegt, an der Kampagne von Nadine Grotjahn teilzunehmen?

Melanie: Ich fand es super, das jetzt groß rauszubringen und zu thematisieren. Ich habe mir gedacht, das ist eine Möglichkeit, mich zu beteiligen, ohne mich zu sehr anzustrengen. Wegen der Depression fällt mir das einfach sehr schwer. Ich kenne auch Leute, die rausgehen, Flyer verteilen, mit Ärzten diskutieren – aber das schaffe ich im Moment nicht. Doch die Fotos machen zu lassen, hat mich ja keine Energie gekostet. Ich bin hingefahren, habe noch ein Hörbuch im Auto gehört und war einen Tag da. 

Und es ist nur dieses einmal Aufraffen hingehen und sich an der Aktion beteiligen. Beim Flyer verteilen musst du dir immer wieder sagen. „Heute muss ich aufstehen!“, weil gerade die Antriebslosigkeit ja auch ein Problem bei der Depression ist. Da darfst du dich auf keinen Fall kleinmachen, weil du nicht so viel schaffst. Die Hauptsache ist, dass du auch privat immer wieder darüber redest und es immer wieder zum Thema machst. Gerade wenn Freundinnen auf einen zukommen und von Schmerzen bei der Periode sprechen, kann man auch hier mal sagen, dass es Endometriose sein könnte, wenn die Schmerzen nicht mehr im normalen Rahmen sind. Es sind auch die kleinen Dinge, mit denen wir etwas bewegen können. 

Melanie: Ich habe zwei Nichten, die sind 17 und 20 und denen erzähle ich auch davon und sage ihnen, wenn ihre Freundinnen von Schmerzen berichten, dass sie sie ernst nehmen sollen und sagen sollen: “Das könnte eine Krankheit sein, wie meine Tante sie hat.” Ich erinnere mich noch an eine Chefin, die von einer Arbeitskollegin erzählte, die immer krank war, wenn sie ihre Periode hatte. Da wurde sich über sie lustig gemacht und behauptet, sie sei faul. Dabei hatte sie vermutlich das, was ich habe. 

„Nicht ignorieren! Informieren! Und nehmt euch ernst! Ihr seid nicht verrückt!“

Das ist das, was du am Anfang angesprochen hast. Wir haben alle zu Hause gehört, dass die Schmerzen doch ganz normal seien. Es ist aber einfach nicht normal. Von Schmerzen ohnmächtig zu werden, ist nicht normal. Außerhalb der Periode ständig Krämpfe zu haben, ist auch nicht normal. Und viele Patientinnen müssen sich genau das immer anhören. 

Melanie: Ich habe so lange Schmerzen gehabt, dass ich mich mit Schmerztherapie auseinandergesetzt habe. Irgendwann war ich mal schmerzfrei und habe gemerkt, dass ich anscheinend ständig Schmerzen hatte, ohne das noch wahrzunehmen. Es war schon so normal für mich geworden, dass ich sie gar nicht mehr bewusst mitbekommen habe. Mir ist das erst aufgefallen, nachdem ich durch die Schmerzmittel schmerzfrei gewesen bin. Es ist schon verrückt, also eher erschreckend. 

Je mehr Schmerz man aushält, desto mehr steigt auch so eine Schmerztoleranz. Es ist ja auch so, dass man nicht für jeden Schmerz immer Schmerzmittel nimmt, weil man sich dagegen sträubt, sich jeden Tag mit Schmerzmitteln vollzupumpen. Gerade wenn man weiß, dass der Magen und der Darm betroffen sind, ist das Letzte, was man macht, darauf noch eine Ibuprofen zu nehmen. 

Melanie: Ja, genau!

Welche Tipps würdest du denn anderen Frauen in Bezug auf die Endometriose nehmen?

Melanie: Lasst euch nicht abspeisen und lest viel. Schafft euch Bücher an. Es gibt tolle Bücher zum Thema Endometriose. Ich bin der Meinung, wenn man weiß, wo es herkommt und was es sein kann, was Mineralien und Vitamine mit dem Körper machen und was mit dem Körper passiert, hat man auch mehr Verständnis dafür. Nicht ignorieren! Informieren! Und nehmt euch ernst! Ihr seid nicht verrückt!

Das ist ein sehr guter Punkt, dass man sich selbst ernst nehmen muss. Es ist eine Art Gaslighting, wenn man sich immer wieder anhören muss, das sei alles gar nicht so und irgendwann stellt man sich selber infrage und denkt sich, ob die anderen vielleicht doch recht haben, obwohl es eigentlich nicht so ist. Es ist ein sehr guter Punkt, sich selbst ernst zu nehmen. 

Melanie: Ich denke, ich kenne meinen Körper über Yoga und die Physiotherapie jetzt auch sehr gut. Ja, nehmt euch ernst. Ich habe zwar nur noch einen Eierstock, aber ich weiß, ich habe eine Zyste und kann dem Arzt über den Schmerz z.B. auch sagen, wie groß diese ist. Und ich bin nicht verrückt. 

Was wünschst du dir für die Zukunft? Was soll passieren?

Melanie: Aufklärung und ich hoffe, von den Krankenkassen kommt eine bessere Bezuschussung, wie bei anderen Erkrankungen. Mir hat ein Operateur in einem Krankenhaus gesagt, Endometriose sei so kompliziert und langwierig zu operieren und das Krankenhaus bekäme relativ wenig Geld dafür. Wenn eine Krebspatientin käme und einen Gebärmuttertumor hat, der bösartig ist, sei der viel schneller operiert. Der Arzt sei lange nicht so damit beschäftigt, wie mit der Endometriose und es würde besser bezuschusst werden. Damit will ich nicht den Krebs kleinreden, aber es muss irgendwo eine Gerechtigkeit herrschen, dass auch nach Zeit bezahlt wird. Wenn ich von Bekannten höre, wie lange die operiert werden, denke ich mir, dass das ja auch irgendwie finanziert werden muss. 

Ich spreche mit den Ärzten auch oft über die Forschung und sie sagen, das Geld ginge hier eben auch immer mehr in Richtung Onkologie und nicht zur Endometriose, weil in der Onkologie einfach mehr Geld zu holen ist. 

Melanie: Das ist ja das Verrückte: aus der Gesundheit wird ein Wettkampf!

Ja, es darf kein Vergleich stattfinden.

Melanie: Ja, genau. Da habe ich auch lange mit gekämpft, weil ich natürlich froh war, keinen Krebs zu haben. Ich möchte aber ernst genommen werden. 

Es darf auf keinen Fall zu etwas werden wie: “Meins ist schlimmer als deins, weil ich hab Krebs und du nicht.” Das passiert leider auf Patientenseite, dass du als Endometriosepatientin hörst: “Was hast du schon, ich hab Krebs.” Man darf nicht vergleichen. Alle leiden, alle haben Schmerzen. Auch bei Krebs ist nicht gesagt, dass du daran stirbst. Natürlich kann sich die Behandlung über Jahre ziehen, aber Endometriose ist eine chronische Krankheit und schau, wie lange du schon damit kämpfst und auch noch eine Weile damit zu kämpfen hast. 

Melanie: Ja, ich war auch sehr entsetzt darüber zu hören, dass der Arzt im Krankenhaus zuletzt auch noch 70-Jährige mit Endometriose in Behandlung hatte, die eine Östrogenbehandlung für die Wechseljahre bekommen hatten. Ich bin jetzt 47, die Gebärmutter ist raus. Ich komme jetzt intensiv in die Wechseljahre, die man mit Östrogen behandeln würde, aber diese darf ich wegen der Endometriose nicht bekommen. Mein Wunsch wäre, dass es dafür etwas gäbe, was mir die Wechseljahre etwas erleichtert, aber keinen Einfluss auf die Endometriose hat, weil ich natürlich Panik davor habe, dass dann wieder wer weiß was entsteht. 

Wir hoffen, dass sich in der Zukunft mehr entwickelt. Auch für viele Ärzte ist es ein Ziel, dass nicht hormonelle Lösungen gefunden werden. Es kann in der Zukunft nur besser werden. 

Vielen Dank Melanie, für dieses Interview. Es war schön, sich mit dir auszutauschen und es ist immer schön, andere Geschichten zu hören und sich als Patientin darin wiederzufinden und wir können hoffentlich an die anderen Patientinnen weitergeben, dass sie nicht alleine sind. 

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Mona Briese