Notfall Regelschmerzen – warum Menstruationsbeschwerden in Ambulanzen und Krankenwagen nicht belächelt werden sollten

Es ist für viele vielleicht eine Horrorvorstellung, aber manchmal gibt es keinen anderen Weg, als zum Telefon zu greifen und die 112 zu wählen. Auch bei (vermeintlichen) Endometriosebeschwerden gilt es in vielen Fällen, keine Zeit verstreichen zu lassen.

Doch wie häufig werden „Menstruationsbeschwerden“ denn überhaupt zum echten Notfall? Welche anderen Erkrankungen können noch für endometrioseähnliche Schmerzen sorgen? Alles, was Sanitäter, Notärzte und Angehörige für den Ernstfall wissen sollten, haben wir hier einmal zusammengetragen.

Notfall aber kein Einzelfall

Genaue Zahlen darüber, wie viele Patientinnen mit Endometriose die Notaufnahme aufsuchen, gibt es eigentlich nicht. Doch spätestens seit dem Fall Aubrion Rogers ist das Thema auch in unserer Community angekommen. Vor einiger Zeit haben wir deshalb eine kleine Umfrage gestartet, an der 453 Betroffene teilgenommen haben. Fast die Hälfte von ihnen (49 %) haben aufgrund ihrer Beschwerden schon einmal den Notarzt gerufen oder die Notaufnahme aufgesucht. Dabei blieb diese Maßnahme bei vielen kein Einzelfall – im Durchschnitt war jede von ihnen 2,5-mal in notärztlicher Behandlung.

Natürlich sind das keine belastbaren Ergebnisse, jedoch zeigen sie ganz klar, dass Endometriose als Notfall keine Seltenheit ist. Was wir mit unserer Umfrage ebenfalls nicht erfassen konnten, war, wie die Patientinnen die Behandlung erlebt haben. Denn wie auch schon bei einem normalen Arztbesuch schwingt natürlich gerade beim Besuch einer Notaufnahme noch mehr die Angst mit, mit den Beschwerden belächelt und nicht ernst genommen zu werden.

Wann wird die Endometriose zum Notfall?

Wie schon bei den weniger schwerwiegenden Symptomen gilt auch hier: Die Endometriose ist ein echtes Chamäleon. Endometriosebedingte Beschwerden sind unheimlich vielfältig, treten praktisch in allen Körperregionen auf und ihre Auslöser wiederum können oftmals in ganz anderen Teilen liegen. Folgende Auflistung ist also nicht allumfassend, gibt aber dennoch einen guten Überblick über mögliche Beschwerdebilder, die einer notfallmedizinischen Behandlung bedürfen. Alle Mediziner jetzt also aufgepasst:

Geschlechtsorgane/Abdomen: Geplatzte Zysten und Eierstöcke können eine Folge der Endometriose sein. Größere Endometrioseherde und Verwachsungen können ebenfalls zu starken Schmerzen führen. [1, 2] Auch Schwangerschaftskomplikationen können auftreten:  Blutungen in den Bauchraum, Darmperforationen, Uterusrupturen sowie Placenta preavia stehen mit tief infiltrierender Endometriose in Zusammenhang. [3]

Verdauungstrakt: Bei tief infiltrierender Endometriose ist bei vielen Patientinnen der Darm betroffen. Darmverschlüsse, Darmrupturen und anale Blutungen können die Folge sein und bedürfen möglicherweise notfallmedizinischer Behandlung. [4, 5]

Harnweg: Endometrioseherde an oder in der Blase bleiben meist lange Zeit unentdeckt. Patientinnen leiden an häufigen Blasenentzündungen, die jedoch mit Infektnachweisen nicht erklärt werden können. Da die Symptomatik äußerst schleichend verläuft, können nach längerer Nicht-Behandlung irreversible Schäden an Blase, Harnleiter und Nieren die Folge sein. [6, 7]

Herz-Kreislauf: Generelle Kreislaufbeschwerden bei Endometriosepatientinnen können beispielsweise durch die Einnahme bestimmter Medikamente ausgelöst werden. Migräne und Depression zählen ebenfalls zu den Begleiterscheinungen einer Endometriose und können den Kreislauf negativ beeinflussen. Klagt die Patientin über Schmerzen in der Brust, könnten Endometrioseherde in der Lunge die Ursache sein, die zu Symptomatiken wie Pneumothorax, Hämatothorax oder Hämoptysen führen können. [8] Zudem haben Endometriosepatientinnen statistisch gesehen ein höheres Risiko, koronare Herzerkrankungen zu entwickeln. [9]

Generelle Tipps für notfallmedizinisches Personal

Erstmal gelten für Endometriosebetroffene natürlich keine anderen Regeln im Umgang in einer Notsituation als mit anderen Menschen. Jedoch solltest du immer in Betracht ziehen, dass Patientinnen mit einer chronischen Krankheit im Laufe der Erkrankung schon viele, oftmals negative, Berührungspunkte mit medizinischem Personal hatten. Gefühle wie Angst, Scham und Unsicherheit können sich im Verlauf der Krankengeschichte aufgebaut haben und sind auch Begleiter im Krankenwagen oder der Notaufnahme. Um also eine bestmögliche Behandlung zu gewährleisten und Ängste zu nehmen, solltest du beim Stichwort Endometriose nochmal ein besonderes Augenmerk auf folgende Punkte legen:

  1. Ernst nehmen: Schon bei niedergelassenen Ärztinnen haben Endometriosebetroffene häufig das Problem, mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen zu werden. Daher ist besonders in einer Notfallsituation wichtig, Schmerzen und andere Symptome nicht einfach als „Regelbeschwerden“ abzutun. Aufgrund der Erfahrungen mit niedergelassenen Medizinern tun sich viele Patientinnen schwer, Hilfe aufzusuchen. Der Gang in die Notaufnahme oder das Rufen eines Notarztes sind deshalb meist große Schritte, die nochmal eine Extraportion Überwindung kosten. Schon allein deswegen solltest du Endometriosesymptomen auf jeden Fall die nötige Beachtung schenken.
  2. Ursachenforschung: Die gestaltet sich bei Endometriose oft nicht so einfach. Zum einen hat die Endometriose unzählige Gesichter. Zum anderen lassen sich die endometriosetypischen Schmerzen, vor allem im Unterbauch, häufig gar nicht genau lokalisieren. Ausstrahlungen in benachbarte Körperregionen, wie Beine oder Rücken, machen ein Lokalisation oft schwer.
  3. Zeit: Werden Endometriosebeschwerden von notfallmedizinischem Personal nicht zeitnah ernst genommen, so kann dies zu gravierenden Folgen für die Patientin führen. Werden beispielsweise geplatzte Zysten und Co. zu spät entdeckt, kann dies zu irreparablen Schäden an den Fortpflanzungsorganen führen. Dies würde nicht nur für Frauen mit Kinderwunsch einen tiefen Einschnitt in die Lebensplanung bedeuten.

Anamnese und Untersuchung

Ganz klar, bei der Ursachenforschung spielt die Anamnese eine extrem wichtige Rolle. Da wäre natürlich zunächst die Frage, ob es sich bei den Beschwerden um Endometriosesymptome handelt oder nicht. Das Anamnesegespräch mit der Patientin kann dir hier entscheidende Hinweise liefern. Die meisten Betroffenen leiden nämlich schon lange Zeit unter ihren Beschwerden und können daher meist ganz gut einschätzen, ob ihnen diese Art Schmerz bekannt ist oder eher nicht.

Sinnvolle Anamnesefragen könnten sein:

  • Wo im Zyklus steht die Patientin gerade?
  • Sind der Patientin diese Art Schmerzen annähernd vertraut? Was sagt ihr Bauchgefühl?
  • Was waren in der Vergangenheit die häufigsten endometriosebedingten Beschwerden?

Wie bereits beschrieben sind die möglichen Beschwerdebilder allerdings äußerst vielfältig, was eine Differenzialdiagnose sehr schwierig machen kann. Um deine Vermutung abzusichern und der Patientin ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, ist es deshalb immer sinnvoll, Kolleginnen aus anderen Fachbereichen hinzuzuziehen. Vielleicht ist ja sogar jemand in eurem Team, der schon Erfahrung in Sachen Endometriose hat. Gerade bei der Bildgebung und der späteren Auswertung spielt das eine große Rolle. Endometrioseherde beispielsweise können teilweise sehr klein und echoarm sein und auch im Bereich der Fortpflanzungsorgane ist Expertise gefragt. [10]

Parallel zu all dem muss die Gabe von Schmerzmitteln in Betracht gezogen werden, um zumindest kurzfristig für eine Linderung der Schmerzen zu sorgen. Hierbei sollte dir bewusst sein, dass Studien zufolge Frauen im Schnitt erst deutlich später Schmerzmittel verabreicht werden als Männern. Stattdessen würden sogar eher Beruhigungsmittel gegeben. [11] Möglicher Grund hierfür ist, dass Frauen Schmerz anders wahrnehmen und auf ihn reagieren. Das Bewusstsein darüber kann die generelle Qualität deiner Behandlung deutlich verbessern, da sie gleichere Voraussetzungen für alle schafft. [12, 13] Langfristige Schmerztherapien allerdings können im klinischen Umfeld selbstverständlich nicht geleistet werden.

Endometriose ausgeschlossen

Hast du oder habt ihr im Team die Endometriose als Ursache für die Beschwerden der Patientin ausgeschlossen, könnten natürlich noch unzählige andere Diagnosen des Rätsels Lösung sein. Bei den so häufigen Unterbauchschmerzen ist es zuerst die akute Appendizitis, die in Betracht gezogen wird. [14, 15] Akute Nierenleiden oder Schmerzen im Brustraum können ebenfalls andere Auslöser haben. So wichtig es also auch ist, die Endometriose und ihre zahlreichen Begleiterscheinungen nicht zu belächeln und auszuschließen, so wichtig ist es auch, sich nicht ausschließlich auf sie zu konzentrieren. Dein geschulter Rundumblick als Medizinerin ist hier gefragt!

Tipps für Angehörige

Klagt die Partnerin oder die Freundin über starke Beschwerden, kann einem auch als Angehöriger ganz schnell mulmig zumute werden. Immerhin gehören solche Situationen für die meisten nicht zum Alltag. Damit du im Notfall angemessen und effektiv reagieren kannst, haben wir uns für dich eine kleine Eselsbrücke überlegt. Mit ihr bist du für den Ernstfall bestens vorbereitet und ihr könnt gemeinsam diese Ausnahmesituation so gut es geht meistern. Alles, was du dir merken musst, ist „ENDO“!

Erklären lassen – Lass dir von der Betroffenen genau erklären, welche Beschwerden sie hat. Eine wichtige Frage, die du hier auf jeden Fall stellen kannst, ist, ob ihr die Schmerzen schon bekannt sind. Da Endometriosepatientinnen meist eine ganz gute Intuition haben, was ihre Beschwerden angeht, kann deine Freundin oder Partnerin hier vielleicht eine Aussage darüber treffen, wie ernst sie die Lage einschätzt.

Nicken – Das ist hier natürlich im übertragenen Sinne zu verstehen. Nimm die Beschwerden und die damit verbundenen Ängste auf jeden Fall ernst. Bestimmt wurden die Endometriosebeschwerden deiner Freundin/Partnerin schon häufig einfach abgetan. Du bist hier, um sie zu unterstützen. Selbst wenn du vielleicht findest, dass der Gang in die Notaufnahme übertrieben ist, solltest du dem Wunsch deiner Angehörigen nachkommen. Sie kennt ihren Körper schließlich am allerbesten.

Drängen – Ängste und starke Schmerzen können jedoch auch lähmen. Vielleicht geht es deiner Freundin/Partnerin genauso. Aus Angst vom medizinischen Personal wieder nur belächelt und nach Hause geschickt zu werden, weigert sie sich ins Krankenhaus zu gehen. Vielleicht sind es aber auch die Beschwerden selbst, die es ihr schwer machen, Entscheidungen zu fällen. Bist du allerdings der Meinung, dass ihr einen Notarzt rufen solltet und du dir ernsthafte Sorgen machst, dann ergreife ruhig die Initiative und hole deiner Freundin und dir Hilfe. Du musst in einer solchen Situation ebenfalls nicht alleine sein und mit Fachpersonal an deiner Seite, fühlst du dich bestimmt sicherer.

Organisieren – Während der Wartezeit oder bevor ihr in die Notaufnahme fahrt, kannst du deiner Freundin/Partnerin beispielsweise eine Krankenhaustasche packen. Wenn es gewünscht ist, könntest du zudem andere Freunde oder Angehörige informieren. Seid ihr nun in der Notaufnahme oder der Notarzt steht vor der Tür, hast du noch eine letzte, aber enorm wichtige Aufgabe: Sei die uneingeschränkte Fürsprecherin deiner Freundin/Partnerin! Hast du das Gefühl, dass die Beschwerden nur belächelt und abgetan werden, kannst du die Ärztinnen darauf aufmerksam machen, dass es durchaus sein kann, solch starke und möglicherweise lebensgefährliche Endometriosebeschwerden zu haben.

Kurz und knapp zusammengefasst

Endometriose kann zu einem echten medizinischen Notfall werden, der sehr ernst genommen werden sollte. Immerhin können zu spät erkannte Ursachen gravierende Folgen für die Patientin haben.

Verletzungen der Fortpflanzungsorgane, aber auch Folgen der Endometriose an anderen Organen sowie Herz-Kreislaufbeschwerden könnten die Ursachen für eine Notfalleinlieferung sein.

Mit einer zielgerichteten medizinischen und privaten Unterstützung jedoch können psychische und körperliche Schäden der Patientin allerdings auf ein Minimum reduziert oder sogar komplett vermieden werden.

Referenzen

  1. Hecht, S. et al. 2018. „Akutes Abdomen der Frau: gynäkologische Ursachen.“ Der Radiologe 59: 126-132.
  2. Propora, M.R. 1999. „Correlation between endometriosis and pelvic pain.“ The Journal of the American Association of Gynecologic Laparoscopists 6 (4): 429-434.
  3. Roberti Maggiore, U.L. et al. 2017. „Obstetrical complications of endometriosis, particularly deep endometriosis.“ Fertility and Sterility 108 (6): 895-912.
  4. Baden, N.D. 2015. „Endometriosis with an acute colon abstruction: A case report.“ Journal of Medicial Case Reports 9.
  5. Garg, N.K. 2009. „Intestinal endometriosis: A rare cause of colonic perforation.“ Journal of Gastroenterology 15 (5): 612-614.
  6. Carl, P. 2003. „Urologische Komplikationen der Endometriose.“ Der Urologe 42: 255-262.
  7. Metzger, K. et al. 2020. „Tiefinfiltrierende Endometriose mit ausgeprägter Darm- und Ureterbeteiligung – ein Fallbericht.“ Geburtshilfe und Frauenheilkunde 80 (10): 256-257.
  8. Nezhat, C. et al. 2019. „Thoracic Endometriosis Syndrome: A Review of Diagnosis and Management.“ Journal oft he Society of Laparoscopic and Robotic Surgeons 23 (3).
  9. Mu, F. et al. 2016. „Endometriosis and Risk of Coronary Heart Disease.“ Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes 9: 257-264.
  10. Fleischmann, P. 2016. „Seltene Ursache eines Leistenschmerzes.“ Zeitschrift für Allgemeinmedizin 92 (4): 167-168.
  11. Calderone, K.L. 1990. „The influence of gender on the frequency of pain and sedative medication administered to postoperative patients,“ Sex Roles 23: 713-725.
  12. Hoffmann, D. E. et al. 2001. „The girl who cried pain. A bias against women in the treatment of pain.“ The Journal of Law, Medicine and Ethics 29(1): 13-27.
  13. Bartley, E.J. et al. 2013. „Sex differences in pain: A brief review of clinical and experimental findings.“ British Journal of Anaesthesia 111 (1): 52-58.
  14. Assenza, M. et al. 2004. „Acute appendicitis or something else? A case report of cecal endometriosis in emergency setting.“ Annali Italiani di Chirurgia 75 (5): 583-586.
  15. Agrusa, A. 2013. „Acute appendicitis and endometriosis: retrospective analysis in emergency setting.“ Giornale Italiano di Ostetricia e Ginecologia 35 (6): 728-732.

Musstest du aufgrund deiner starken Beschwerden auch schon ins Krankenhaus oder einen Notarzt rufen?
Wurdest du ernst genommen und konnte man dir helfen?

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Meike Fischer