Vorstellung des Endometriosezentrums der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Münster

Dr. Sebastian Schäfer beschäftigt sich bereits viele Jahre mit der Endometriose und leitet das zertifizierte Endometriosezentrum des UKM Münster. Auch in der Grundlagenforschung ist er tätig – und nicht nur das: Er ist auch in die Studien involviert, die mit der Endometriose App durchgeführt werden. Die Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen ist dabei ein großes Ziel. Wir haben mit Herrn Dr. Schäfer über die Endometriose gesprochen und stellen das Endometriosezentrum in Münster vor.

Fakten zum Endometriosezentrum

Ort: Münster
Stufe:
Anzahl Patientinnen: 800
Anzahl OPs: 400
Leitung: Dr. med Sebastian D. Schäfer

Interview mit Dr. med. Sebastian D. Schäfer

Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns über die Endometriose zu sprechen. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor.

Dr. Schäfer: Mein Name ist Sebastian Schäfer, ich befasse mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Endometriose und leite in meiner Funktion als leitender Oberarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Münster das Endometriosezentrum. Ich bin seit 2006 hier am Klinikum und befasse mich seitdem mit dieser Erkrankung. Nach der Facharztweiterbildung habe ich das noch intensiver getan und seit etwa 2011 leite ich die Sprechstunde und gemeinsam mit Herrn Professor Kiesel das Zentrum.

Warum ist Ihnen das Thema so besonders wichtig?

Dr. Schäfer: Weil es ein drängendes Thema ist, das viele Frauen betrifft und zunehmend mehr, dennoch zu wenig Beachtung findet, insbesondere wenn man diese in Kontrast zu anderen Krankheiten, die ähnlich häufig oder auch deutlich seltener sind, sieht. Ich sehe es aber auch als eine persönliche Motivation, denn die Endometriose ist ein Krankheitsbild, das hohe Erwartungen und Anforderungen an das behandelnde Team aus Therapeuten und Ärzten stellt. Wenn ich an komplexe Operationen denke, braucht man dafür Experten, die diese durchführen können und auf medizinisch-professioneller Ebene ist die Krankheit natürlich auch sehr interessant.

Von Patientinnen hört man häufig, dass die Krankheit mehr Aufmerksamkeit erhalten würde, wenn es sich nicht nur um eine Frauenkrankheit handeln würde. Was denken Sie darüber?

Dr. Schäfer: Den Eindruck habe ich auch. Das lässt sich natürlich nicht mit Erhebungen belegen, aber es gibt neben mir noch andere Kollegen, die sich schon lange mit der Krankheit befassen. Prof. Schweppe (emeritierter Direktor der Frauenklinik Ammerland & ehem. Vorsitzender der Stiftung Endometrioseforschung) sagte in einem Vortrag, dass Frauen, die unter Endometriose leiden, im Schnitt insgesamt bis zu 365 Tage Schmerzen haben bis die Diagnose gestellt wird. Ein Jahr Schmerzen, ohne dass man dem richtig auf den Grund gegangen ist, ist eine ganze Menge, auch wenn diese Tage nicht am Stück stattfinden. Und ich kann mir schlecht vorstellen, dass das bei vielen anderen Erkrankungen und Krankheiten, die Männer betreffen, auch so wäre.

Ich denke es ist weiterhin ein Problem, dass Frauen an der Gesellschaft zu wenig Teilhabe haben. Etwas mehr als 50 % der Bevölkerung sind Frauen, da würde man erwarten, dass eine entsprechende Beteiligung von Frauen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft auch eintritt.

Finden Sie denn, dass die Endometriose bereits ausreichend erforscht wird?

Dr. Schäfer: Ich finde die Anstrengungen, die unternommen werden schon sehr gut. Sie gehen auch in die richtige Richtung, sodass es auch Erneuerungen in der Therapie und Behandlung gegeben hat. Aber das ist ein dynamischer Prozess und es ist noch viel zu erforschen. Die diagnostischen Möglichkeiten könnte man sicher erweitern, sodass es z.B. einen Test gibt, den man machen kann, um zu sehen, ob die Patientin Endometriose hat. Bei der Therapie gilt dies auch: Die bestehenden Möglichkeiten müssen verfeinert werden.

Das Thema Heilung können wir leider nicht in Aussicht stellen. Das Thema OPs ist aber natürlich auch etwas, das zum Tragen kommt und auch die Nebenwirkungen von Medikamenten sind natürlich ein Problem, sodass mehr Forschung betrieben werden muss, um ein Präparat zu entwickeln, das weniger in den Hormonhaushalt eingreift. Die Entwicklung ist bisher aber positiv.

Forschen Sie denn auch selbst?

Dr. Schäfer: Ja, wir befassen uns mit der sogenannten Grundlagenforschung. Wir haben ein Labor, dem Herr Prof. Götte vorsteht. Hier forschen wir zu Stammzellen und Endometriose, die Rolle von bestimmten Oberflächenmolekülen für die Entstehung und die Entwicklung der Erkrankung, für die Prozesse und wie Endometriosezellen es schaffen, an bestimmte Körperstellen zu gelangen. Zusätzlich betreiben wir auch klinische Forschung. Kürzlich haben wir ein Projekt beendet, wo wir die Sinnhaftigkeit eines OP-Schrittes zur Vermeidung von Adhäsionen, also Verwachsungen untersucht haben. Aktuell befassen wir uns auch mit weiteren Themen und letztendlich auch mit einer Endometriose App, die wir gemeinsam mit dem Team der App wissenschaftlich auswerten wollen. Da wird es darum gehen, inwiefern, die Nutzung der App die Lebensqualität der Patientin verbessert.

Was sind denn in ihren Augen die wichtigsten Erkenntnisse, die bisher über die Endometriose gewonnen werden konnten?

Dr. Schäfer: Eine schwierige Frage, weil es so viel gibt, das wichtig ist. Ich denke, gerade für Frauen mit Schmerzen durch Endometriose ist das zunehmende Verständnis dafür, dass die Endometriose durchaus zu chronischen Schmerzerkrankungen beiträgt, wichtig. Gleichzeitig kann sie auch mit anderen Schmerzsymptomen auftreten und auch dann Schmerzsituationen hervorrufen, wenn die Krankheit gar nicht mehr wirklich aktiv ist. Und dann gibt es auch eine indirekte Nervenbeteiligung, sodass Schmerzen auch dort auftauchen, wo gar keine Herde sitzen.
Eine zweite Erkenntnis, die man gewonnen hat, ist, dass die Krankheit wegen der Schmerzen, aber auch wegen eines möglicherweise unerfüllten Kinderwunsches eine Einschränkung der Lebensqualität mit sich bringt und es deshalb erforderlich ist, gezielt zu behandeln. Es gibt natürlich noch viele andere Dinge.

Mittlerweile ist es ja so, dass die Patientinnen von alleine auf die Idee kommen, eventuell  Endometriose zu haben und sich dann selber Hilfe suchen, weil es immer noch so lange dauert bis die Diagnose erfolgt. So kann man auch die Leidenszeit und auch die Zeit bis zur Diagnose verkürzen, denn es dauert bisher weiterhin bis zu 10 Jahre bis die Diagnose gestellt wird.

Was denken Sie denn, warum das so ist?

Dr. Schäfer: Die Ursache ist meiner Ansicht nach ein Dilemma. Das Dilemma ist, dass es Frauen gibt, die mit Endometriose ausgeprägte Beschwerden haben, die ja auch für die Erkrankung typisch sind, es aber eben auch Frauen gibt, die ohne Endometriose auch starke Schmerzen haben. Es gibt ja auch noch andere Ursachen für Regelschmerzen. Und so ist es ein Dilemma, dass die Kollegen ihren Patientinnen helfen wollen, aber gleichzeitig verhindern möchten, dass Frauen unnötige OPs durchleben müssen, indem sie versuchen herauszufiltern, welche der Patientinnen nun Endometriose hat und welche nicht.

Deshalb wäre ein Test gut, bei dem man bestimmte Parameter betrachtet und wenn diese erhöht sind, ist dies ein Hinweis auf Endometriose. Ein weiterer Grund ist natürlich auch, dass die Patientinnen nicht immer ernst genommen werden. Das gibt es leider auch. Ich will aber den Frauenärzten nicht grundsätzlich vorwerfen, dass sie so eingestellt wären. Ich denke schon, dass die meisten versuchen, das Beste zu tun. Es ist nun mal schwierig zu unterscheiden, wer Schmerzen durch eine Endometriose hat und wer Schmerzen hat, ohne die Krankheit zu haben. Es muss dann unbedingt auf die Stärke der Schmerzen geachtet werden und z.B. darauf, ob jemand aufgrund dieser Schmerzen z.B. nicht in die Schule oder zur Arbeit gehen kann.

Na ja, von vielen Patientinnen hört man schon noch häufig, dass viele Frauenärzte die Beschwerden abwinken und abstruse Lösungen vorschlagen, sonst hätten sie ja nicht diesen langen Leidensweg. Denken sie, es müsse noch mehr Aufklärung stattfinden, damit die Ärzte die Beschwerden ernst nehmen?

Dr. Schäfer: Ja natürlich. Ärzte, Menschen in der Öffentlichkeitsarbeit und auch Politiker sollten daran arbeiten, ein Bewusstsein für diese Krankheit zu entwickeln und zu halten. So muss das Thema immer wieder aktuell in den Medien gehalten werden. Es reicht nicht, dass man formal einmal darauf hingewiesen hat, dass es die Krankheit gibt. Ich denke, dass wir als Endometriosezentrum auch einen Auftrag haben, mehr aufzuklären und zu informieren.

Wie schätzen Sie denn die psychische Belastung ein, die Patientinnen ausstehen müssen, wenn sie einfach nicht gehört werden?

Dr. Schäfer: Ich schätze das schon so ein, dass das eine sehr starke Belastung sein muss. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, mit einer Situation leben zu müssen, in der man alltäglich schlimmstenfalls massiv beeinträchtigt ist, weil man sein Leben nicht so leben kann, wie man es eben möchte und gleichzeitig Reaktionen zu bekommen, die von nicht ernst genommen werden bis hin zum Geringschätzen und Abtun gehen. Das muss eine sehr starke Belastung sein, die das Selbstwertgefühl angreift und nicht dazu beiträgt, dass die Betroffene sich aus der Situation befreien kann. Es ist also nicht überraschend, dass es eine Assoziation, also ein gemeinsames Auftreten von Endometriose – insbesondere bei chronischen Schmerzen und lang unerfülltem Kinderwunsch – mit psychischer Belastungssituation und Erkrankungen wie Depressionen gibt. Das ist für mich sehr klar. Deshalb halte ich die Endometriose für eine sehr relevante Erkrankung, weil sie das Leben so sehr einschränkt.

Was raten sie denn den Patientinnen im Umgang mit der Endometriose, was sie selbst tun können, mit wem sie sprechen können, aber auch, wie die Patientin im Alltag damit zurechtkommen kann?

Dr. Schäfer: Wenn die Patientin weiß, dass sie Endometriose hat, ist es wichtig, dass sie sich nicht darin beirren lässt, dass wirklich etwas hinter den Beschwerden steckt. Man muss auf sich selbst und auf sein eigenes Gefühl vertrauen. In der Konsequenz ist es sinnvoll, dann zum Frauenarzt zu gehen und wenn dieser den Beschwerden dann nachgeht, wird das Thema z.B. sein, eine Pille oder Spirale auszuprobieren. Das ist grundsätzlich gar nicht falsch, aber in die Beratung muss auch mit eingehen, dass man über die Krankheit spricht und darauf hinweist, dass man zum Beweis der Erkrankung eine Bauchspiegelung durchführen müsste. Ich halte es auch für sinnvoll, die Patientinnen, die konkrete Anhaltspunkte bieten, in ein Endometriosezentrum zu schicken, damit z. B. im Falle einer Operation gezielt nach der Erkrankung gesucht werden kann. Wenn dann die Aussage getroffen wird, dass keine Endometriose gefunden wurde, ist diese in einem Zentrum verlässlicher.

Was den zweiten Punkt angeht, ist der erste Schritt, um den Alltag zu erleichtern, zu schauen, dass die Beschwerden reduziert werden. Da kommt natürlich das, was ich bereits erwähnt habe, ins Spiel. Zudem müssen weitere Faktoren aus dem Alltag betrachtet werden. Alles, was einem ohnehin Stress bereitet, kann jetzt noch mehr negative Auswirkungen haben. Deshalb sollte man Entspannungsphasen haben – gezielte Entspannungsübungen können helfen. Wenn man merkt, dass man eine hohe Belastungssituation hat, kann man auch in den Bereich der Psychosomatik oder Psychotherapie gehen. Ich versuche hier keinesfalls die Patientin in die Psycho-Ecke zu drängen. Die Hilfe durch einen Psychotherapeuten kann aber dazu beitragen, dass die Situation besser angenommen werden kann. Denn bestimmte Beschwerden werden nicht komplett weggehen und man muss schauen, ob man trotzdem einen Weg findet, damit umzugehen oder daran verzweifelt. Auch mit der Ernährung kann man die Beschwerden beeinflussen. Es wird hier die mediterrane Diät als gesündere Form der Ernährung als hilfreich gesehen. Weniger Fleisch insgesamt, weniger rotes Fleisch, mehr Geflügel, mehr Fisch als Fleisch oder der komplette Verzicht auf tierische Produkte. Es gibt Hinweise dafür, dass Lebensmittel, die viel raffinierten Zucker beinhalten, problematisch sein könnten. Wenn Zucker, dann Rohrzucker.
Wenn man Behandlungen mit einer Hormontherapie durchführt und diese verträgt, ist es gut diese möglichst lange durchzuführen. Immer unter der Voraussetzung, dass man keine Beschwerden und Nebenwirkungen hat. Ansonsten sollte man nach einer Alternative schauen, wie z.B. das Präparat zu wechseln.

Bieten Sie Ihren Patientinnen im Zusammenhang mit der Endometriose bestimmte Angebote an?

Dr. Schäfer: Ja, beispielsweise die Ernährungsberatung oder wir raten auch dazu, eine Anschlussbehandlung, wie eine Reha zu machen. Nicht nur Patientinnen, die Krebskrankheiten oder orthopädische oder Herzerkrankungen haben, sondern auch Frauen mit Endometriose haben ein Recht auf eine Reha – insbesondere, wenn eine Organbeteiligung vorliegt oder die Frauen unter chronischen Schmerzen leiden. Wir versuchen auch, Hilfestellung zu leisten, wenn Frauen nach einem Frauenarzt suchen, der auf die Krankheit spezialisiert ist. Weil wir mit anderen Endometriosezentren und -praxen in Verbindung stehen, können wir hier lokal helfen. Wir stellen auch den Kontakt zu Selbsthilfegruppen her. Eine Selbsthilfegruppe beherbergen wir auch hier im Haus. Es handelt sich dabei jedoch um eine Privatinitiative zweier Frauen hier aus Münster. Wir haben auch eine Kooperation mit einer Selbsthilfegruppe aus Osnabrück.

Ein Angebot für traditionelle chinesische Medizin haben wir nicht im Haus etabliert, aber wir haben eine Kooperation mit dem Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke geschlossen, da sich das Krankenhaus der ganzheitlichen Medizin verschrieben hat.

Wie viele Patientinnen betreuen sie im Jahr ambulant und operativ?

Dr. Schäfer: Wir haben in der letzten Jahresstatistik 400 Endometriose-OPs durchgeführt und etwa 800 Endometriose-Patientinnen, die teilweise ambulant und stationär da waren, behandelt. Die Tendenz ist steigend. Wir arbeiten aktuell daran, unsere Sprechstundenzeiten auszuweiten. Ich möchte den Patientinnen gerne auch kurzfristige Termine anbieten können, was momentan aufgrund der immensen Nachfrage nicht ohne Weiteres gelingt. Im Zweifelsfall lohnt es sich, meine E-Mail-Adresse rauszusuchen oder anzurufen und zu beschreiben, warum es um einen dringenden Termin geht.

Sie haben schon erwähnt, dass eine Heilung eher nicht in Sicht ist, aber was würden sie sich für die Zukunft der Endometriose wünschen?

Dr. Schäfer: Natürlich würde ich mir eine Heilung wünschen, jedoch ist die Krankheit multifaktoriell, d.h. es gibt nicht nur eine klare bekannte Ursache. Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir da etwas mehr wie Frankreich und Neuseeland sein könnten. In Neuseeland gibt es eine von der Regierung geförderte Initiative, die in Richtung Edukation geht. Da gehen Spezialisten in Schulklassen und informieren über typische Beschwerden, damit Mädchen schon früh für das Thema sensibilisiert werden. Das wäre gut, wenn so etwas auch hier staatlich gefördert werden würde. In Frankreich gibt es ein Förderprogramm durch die Regierung. Da ist die Endometriose als eine Schwerpunkterkrankung identifiziert worden mit dem Ergebnis, dass jetzt Gelder durch die Regierung bereitgestellt werden, um die Forschung massiv voranzubringen. Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen. Hier ist es so, dass Menschen teilweise gute Dinge tun, aber es gibt nicht die EINE konzertierte Aktion.

Vielen Dank, Herr Dr. Schäfer!

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Mona Briese