Antidepressiva zur Schmerzbehandlung bei Endometriose.

Der Einsatz von Arzneimitteln, die Ärzte eigentlich gegen Depressionen verschreiben, bei der Behandlung von Schmerzen klingt zunächst ungewöhnlich. Doch Studien und Berichten zufolge können Antidepressiva tatsächlich eine schmerzlindernde Wirkung haben. Aber gilt das auch für Endometrioseschmerzen und welche Antidepressiva werden dann eingesetzt? Ich verrate dir heute alles, was du über Antidepressiva in der Endometriosetherapie wissen musst.

Was haben Schmerzen mit Depressionen zu tun?

Nach Ansicht von Wissenschaftlern, ziemlich viel. So geht der Forscher Fishbain davon aus, dass 25 % der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, auch an einer schweren Form der Depression leiden. Außerdem analysierte Fishbain 191 Studien und kam zu dem Schluss, dass Depressionen auf Schmerzen folgen und nicht umgekehrt.[1] Auch bei Endometriose-Patientinnen ist nicht auszuschließen, dass die anhaltenden Schmerzen irgendwann zu depressiven Symptomen führen. Die stimmungsaufhellende Wirkung von Antidepressiva ist jedoch nicht der eigentliche Grund, warum Ärzte diese Medikamente manchmal bei Endometriose empfehlen. Vielmehr weckt die schmerzlindernde Wirkung, insbesondere der trizyklischen Antidepressiva, das Interesse von Ärzten und Patientinnen.[2]

So können Antidepressiva die Schmerzen bei Endometriose lindern

Das schmerzlindernde Potenzial von Antidepressiva ist keineswegs eine neue Entdeckung – bereits in den 1960er Jahren machten erste Studien auf ihre positive Wirkung bei chronischen Schmerzen aufmerksam. Aber wissen die Forscher überhaupt, warum die gegen Depressionen entwickelten Medikamente auch Schmerzen lindern? Der zentrale Wirkmechanismus ist tatsächlich bekannt. Die Wirkung von Antidepressiva steht im Zusammenhang mit körpereigenen Botenstoffen wie Noradrenalin und Serotonin.

Diese Botenstoffe werden von den Nervenzellen in einem winzigen Verbindungsspalt zwischen den Nervenverbindungen ausgeschüttet. Mediziner nennen dies den synaptischen Spalt. Die körpereigenen Stoffe haben dort die Aufgabe, Nervenreize zu verstärken oder zu hemmen, indem sie an spezielle Rezeptoren andocken. Ist ihre Arbeit getan, nehmen die Zellen die Botenstoffe wieder auf, so dass die gewünschte Wirkung wieder nachlässt. Genau hier setzen Antidepressiva an, denn sie verlangsamen die Wiederaufnahme von schmerzhemmenden Botenstoffen durch die Zellen. Dadurch können die Botenstoffe ihre Wirkung im synaptischen Spalt länger entfalten und so die Schmerzweiterleitung hemmen. Zusammengefasst bedeutet dies, dass man tendenziell weniger Schmerzen empfindet, wenn die Botenstoffe im synaptischen Spalt aktiver sind. Mit Antidepressiva bleiben die Neurotransmitter länger im synaptischen Spalt und unterstützen die notwendige Aktivität. [3], [4]

Die Forscher beschreiben auch andere Wirkungen von Antidepressiva:

  • Ausbremsung der präsynaptischen hemmenden D2-Rezeptoren, was zu einer Dopaminfreisetzung führt, ohne dass Noradrenalin und Serotonin entscheidend beteiligt sind. [4]
  • Neurotrophe bzw. nervennährende Wirkungen. [5]
  • Regulierung der synaptischen Plastizität (Anpassung der Synapsen).[5]
  • Gegensätzliche Wirkungen am Alpha1-Adrenorezeptor. [5]
  • H1-antihistaminerge Wirkungen, Wirkungen, die die Histaminwirkung abschwächen. [5]
  • Eine Blockade in den Natriumkanälen, die an der Schmerzempfindung beteiligt sind. [5]
  • Vermehrte Bildung von Nervenzellen (Neurogenese). [5]
  • Anticholinergische Wirkungen. [5]
  • Eine optimierte endokrine Funktion, d. h. eine Funktion, die mit dem Hormonsystem zusammenhängt. [5]

Überblick: Diese Antidepressiva können bei Endometriose in Betracht gezogen werden.

Ist dir schon einmal der Begriff Co-Analgetika begegnet? Das sind Medikamente, die zusammen mit einem Schmerzmittel, einem sogenannten Analgetikum, eingenommen werden. Die Co-Analgetika haben die Aufgabe, die schmerzstillende Wirkung zu unterstützen. Der Einsatz von Medikamenten kann bei Endometriose „off-label“ erfolgen. Das bedeutet, dass das Medikament eigentlich nicht für die Schmerzlinderung bei Endometriose zugelassen ist, aber wegen seiner erwarteten Wirksamkeit trotzdem verschrieben wird. Andere Antidepressiva sind bereits für die Schmerzbehandlung zugelassen und werden dann in der Regel zusätzlich zu anderen Schmerzmitteln im Rahmen einer medikamentösen Schmerzbehandlung verschrieben.

Gut zu wissen!

Die Wirkungsweise von Antidepressiva bei chronischen Schmerzen ist noch nicht vollständig erforscht. Vor allem für akute Schmerzen, fehlt der Nachweis der Wirksamkeit.

Die folgenden Antidepressiva können bei endometriosebedingten Schmerzen geeignet sein:

  • Amitriptylin, zugelassen für die Behandlung von Depressionen und lang anhaltenden Schmerzen. [6]
  • Nortriptylin, zugelassen für die Behandlung von Depressionen und chronischen Schmerzen. [6]

Darüber hinaus können bei Endometriose auch Opioide oder Antikonvulsiva (Antiepileptika) eingesetzt werden.

Dazu gehören:

  • Pregabalin [7]
  • Gabapentin [6]
  • Tramadol [6]
  • Tilidin/Naloxon [6]
  • Morphin-Sulfat [6]
  • Fentanyl [6]

Die schmerzlindernde Wirkung von Antidepressiva kann bereits nach 3-7 Tagen eintreten und damit viel schneller, als die antidepressive Wirkung, die bis zu 14 Tage dauert. Interessant ist auch, dass Antidepressiva, die zur Schmerzlinderung eingesetzt werden, vom Arzt in der Regel viel niedriger dosiert werden, als dies bei Depressionen üblich ist. [8], [3]

Verschiedene Arten von Schmerzen, verschiedene Medikamente

Für den Einsatz von Antidepressiva gibt es zwei wichtige Faktoren. Erstens, muss die Schwere der Erkrankung oder die Stärke der Schmerzen tiefgreifende Maßnahmen, wie die Verschreibung von Antidepressiva erforderlich machen. Zweitens, spielt auch die Art der Schmerzen eine Rolle. So ist ein Antidepressivum, nicht in jedem Fall von anhaltenden Schmerzen, geeignet.

  1. Wenn sich bei dir Anzeichen für einen neuropathischen Schmerztyp zeigen, d. h. wenn du ständig brennende oder anfallsartig einschießende Schmerzen hast, kann dies auf eine Verletzung der Nervenstrukturen hinweisen. In diesem Fall können trizyklische Antidepressiva oder Antikonvulsiva in Betracht gezogen werden.  [9]
  2. Schmerzanfälle können am besten mit Carbamazepin oder Oxcarbazepin behandelt werden. Dies sind Natriumkanalblocker, d. h. Antiepileptika. [9]
  3. Bei dauerhaften schmerzhaften Empfindungsstörungen (Dysästhesien), können Kalziumkanalblocker wie Pregabalin oder Gabapentin, hilfreich sein. Dies sind ebenfalls Antiepileptika. [9]

In diesem Zusammenhang liest man manchmal von selektiv wirkenden Antidepressiva wie SNRIs und SSRIs [7].

Fallbeispiel: Verschreibung eines Antidepressivums an eine 44-jährige Frau.

Marie ist 44 Jahre alt. Im Alter von 31 Jahren wurde bei ihr Endometriose diagnostiziert. Zusätzlich zu den Endometrioseherden im Becken, hat die Krankheit den Ischiasnerv befallen. Trotz einer Operation gelang es den Ärzten nicht, die Auswirkungen auf den Ischiasnerv vollständig zu beseitigen. Marie nimmt derzeit ein Gestagenmedikament und so genannte steroidale Entzündungshemmer (NSAIDs), wie Ibuprofen, gegen die Schmerzen ein. Die neuropathischen Schmerzen werden dadurch jedoch nicht gelindert. Deshalb nimmt Marie in Absprache mit ihrer Schmerztherapeutin, nun ein Antidepressivum mit dem Wirkstoff Amitriptylin. Nach einigen Wochen stellt Marie fest, dass sie deutlich weniger Schmerzen verspürt.

Gut zu wissen!

Die Wahl der Schmerzmittel und auch der Begleitmedikation, sowie deren Zusammenstellung, hängt jedoch immer vom Einzelfall ab und sollte mit dem behandelnden und verordnenden Arzt eingehend besprochen werden.

Risiko-Nutzen-Bewertung: Unter diesen Umständen sind Antidepressiva sinnvoll

Antidepressiva können die mit der Endometriose verbundenen Schmerzen lindern. Es ist jedoch wichtig, bei der Verschreibung von Antidepressiva zur Schmerzlinderung, eine Risiko-Nutzen-Abwägung vorzunehmen. Schließlich können Antidepressiva Nebenwirkungen verursachen. Dazu gehören Schwindel, Benommenheit, Mundtrockenheit und niedriger Blutdruck. Bevor ein Arzt dir ein Antidepressivum verschreibt, wird er eine ausführliche Anamnese erheben, sofern er deine Krankengeschichte noch nicht kennt. Dies dient dazu, mögliche Kontraindikationen aufzudecken, die eine Einnahme des Medikaments unmöglich machen. Außerdem wird sich der Arzt vergewissern, ob sinnvolle therapeutische Maßnahmen, wie die Einnahme von Hormonen, eine Operation oder begleitende Behandlungen, zum Beispiel im Bereich der Akupunktur oder Physiotherapie, bereits durchgeführt wurden. Bei einer Therapieentscheidung kann es sinnvoll sein, einen Schmerztherapeuten oder Psychologen hinzuzuziehen. Wenn die Entscheidung für ein Antidepressivum gefallen ist, ist es notwendig, dass die Dosis langsam gesteigert wird. Dein Arzt wird vermutlich auf regelmäßige Laborkontrollen bestehen.[9]

Kurz und knapp

Studien und Erfahrungsberichte haben gezeigt, dass Antidepressiva tatsächlich eine schmerzlindernde Wirkung haben können, auch bei Endometriose. Es gibt zwar mehrere Theorien über die Wirkungsweise, die genaueste ist jedoch, dass Antidepressiva die Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie Serotonin und Noradrenalin in die Zelle verlangsamen. Indem sie länger im so genannten synaptischen Spalt verbleiben, kann sich eine schmerzlindernde Wirkung einstellen.

Bei der Verschreibung im Rahmen der Schmerztherapie geht es also nicht unbedingt um die Behandlung von Depressionen, sondern um direkte schmerzlindernde Effekte. Doch selbst wenn Antidepressiva erfolgversprechend sind, wägen Ärzte sorgfältig ab, welchen Endometriose-Patientinnen sie ein Rezept ausstellen. Schließlich können die Medikamente Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Müdigkeit, niedrigen Blutdruck und Mundtrockenheit verursachen.

Im Allgemeinen werden Antidepressiva nur Patientinnen verschrieben, bei denen gängige Behandlungen wie Hormone, chirurgische Eingriffe oder weiterführende Therapien wie Akupunktur nicht oder nicht ausreichend wirken. Darüber hinaus spielt die Schwere der Schmerzen eine entscheidende Rolle.

Wenn du dich für die Einnahme eines Antidepressivums interessierst, ist dein Gynäkologe der richtige Ansprechpartner für dich.

Referenzen

  1. Fishbain DA, Cutler R, Rosomoff HL, Rosomoff RS. Chronic pain-associated depression: antecedent or consequence of chronic pain? A review. Clin J Pain. 1997 Jun;13(2):116-37. doi: 10.1097/00002508-199706000-00006. PMID: 9186019.
  2. Fishbain DA. Analgesic effects of antidepressants. J Clin Psychiatry. 2003 Jan;64(1):96; author reply 96-7. PMID: 12590632.
  3. Jurna I, Motsch J. Nichtanalgetika: Antidepressiva, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Tranquillanzien. In: Zenz M, Jurna I (Hrsg.). Lehrbuch der Schmerztherapie. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2001:281–8.
  4. Keller C. Depression und Schmerz. Bremen: Uni-med Verlag, 2004
  5. Jasmin L, Tien D, Janni G, Ohara PT. Is noradrenaline a significant factor in the analgesic effect of antidepressants? Pain. 2003 Nov;106(1-2):3-8. doi: 10.1016/j.pain.2003.08.010. PMID: 14581104.
  6. Halis G., Kopf A., Mechsner S., Bartley J., Thode J., Ebert A.D. (2006):
    Schmerztherapeutische Optionen bei Endometriose. In: Deutsches Ärzteblatt,
    Jahrgang 103, Heft 17, A1146-A1153
  7. Willimann Patrick (2012). Multimodale Schmerztherapie bei Endometriose, In:
    Schweizer Zeitschrift für Gynäkologie 03/2012
  8. Herrath von D, Thimme W (Hrsg.). Koanalgetika bei chronischen Schmerzen. Arzneimittelbrief 2001;35:89–93.
  9. Journal für gynäkologische Endokrinologie. Medikamentöse Schmerztherapie bei Endometriose. https://www.kup.at/kup/pdf/7117.pdf, abgerufen am 31. 03.2022.

Habt ihr bereits Erfahrungen mit Antidepressiva in der Schmerztherapie gemacht?
Erzählt uns davon gerne in den Kommentaren.

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2 Comments
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Hannah
Hannah
4. Juni 2022 9:28

Ich nehme seit November letzten Jahres auch Amitriptylin und merke wie die Schmerzen besser geworden sind. Ich habe noch ab und zu starke Schmerzen, aber die Tage an denen sie kommen haben sich deutlich reduziert.

Sandra Fleck
7. Juli 2022 14:59
Antworten zu  Hannah

Hallo liebe Hannah,
danke für deine Rückmeldung, das ist sehr interessant und freut mich natürlich für dich.
Wer hat dir das Amitriptylin denn verschrieben, ein Psychiater oder ein Schmerztherapeut? Das wäre interessant zu wissen 🙂
Liebe Grüße und alles Gute
Sandra

Dipl.-Ges.oec. Jennifer Ann Steinort