„Tritt den Ärzten auf die Füße!“

Interview mit Endometriose Patientin Sophie

Sophie hatte schon immer Beschwerden, die auf eine Endometriose hingedeutet haben. Erlebnisse der Jugend, wie das erste Mal, die eigentlich etwas Schönes sein sollen, waren für sie unerträglich und schmerzhaft. Dennoch hat es viele Jahre gedauert, bis sie endlich eine Antwort auf all ihre Beschwerden und Symptome bekommen hat. Wir haben mit ihr gesprochen.

Hallo Sophie, schön, dass du heute mit uns über deine Endometriose sprichst. Würdest du dich bitte einmal vorstellen?

Sophie: Ich bin Sophie, bin 28 Jahre alt, komme aus der Nähe von Wolfsburg und habe meine Diagnose erst seit Januar 2020. Da hatte ich auch meine erste Bauchspiegelung, habe die Krankheit aber vermutlich schon seit 16 Jahren. Der Diagnoseweg war sehr lang, aber seit diesem Jahr habe ich endlich die Gewissheit. 

Das ist auch, glaube ich, das Wichtigste für Patientinnen, dass wir Gewissheit haben. Was bedeutet denn jetzt die Endometriose für dich?

Sophie: Die Diagnose war eine Erleichterung für mich, weil ich gemerkt habe, dass ich nicht spinne und mich nicht nur anstelle, wie man es von der Gesellschaft immer wieder suggeriert bekommt. Natürlich ist die Endometriose schon ein wichtiger und nicht positiver Teil in meinem Leben, weil ich oft Schmerzen habe. Ich bin nicht sehr belastungsfähig und das ist für meinen Alltag sehr einschneidend.

Wie verlief deine Krankheitsgeschichte bis zur endgültigen Diagnose? Du sagtest, es werde vermutet, dass du die Erkrankung eigentlich schon seit 16 Jahren hast. Was war das Schlimmste in dieser ganzen Zeit?

Sophie: Angefangen hat es, als ich meine erste Periode mit 12 bekommen habe.   Ab dem Moment habe ich bemerkt, dass ich unglaubliche Schmerzen hatte und dass es bei mir auch immer anders war als bei allen anderen, weil ich immer viel extremere Schmerzen hatte. Als ich und Freundinnen dann unser erstes Mal hatten, haben Freundinnen Freude am Sex entwickelt und ich fand es furchtbar, weil ich so Schmerzen hatte.  Ich habe auch mit meiner Ärztin darüber gesprochen, die sagte, ich sei einfach nur verklemmt und müsse lockerer werden. So etwas zu hören, tut schon sehr weh. Auch Männer, die nicht so rücksichtsvoll waren, als ich die Diagnose noch nicht hatte, haben sehr böse Sachen gesagt. Das sind so die Sachen, die wirklich krass für mich waren. Im Nachhinein sage ich, dass es von den Ärzten total verantwortungslos war, zu sagen, ich solle mich nicht so anstellen.

Eine Unsensibilität bei Männern erlebt man ja leider häufig und die nehmen Schmerzen beim Sex eher noch als Push fürs Ego. Dass Ärzte solche Sprüche von sich geben, erleben sehr viele Patientinnen, weil auch viele Frauenärzte sich scheinbar auch bis jetzt immer noch nicht mit dieser Krankheit auseinandergesetzt haben. Gerade dann ist es natürlich schlimm, nicht ernst genommen zu werden. Hast du zwischendurch den Arzt gewechselt, weil du dich nicht ernst genommen gefühlt hast oder warst du immer bei dem gleichen Arzt, der dich einfach weiterhin nicht ernst genommen hat? 

Sophie: Ich war gefühlt bei jedem Frauenarzt, den es hier in der Gegend gibt, bis ich irgendwann Eigenrecherche betrieben habe, um herauszufinden, woher diese Schmerzen und heftigen Blutungen kommen. Im Januar bin ich dann auf meinen Arzt zugegangen und wollte von ihm über die Endometriose aufgeklärt werden. Er hat mich dann selbst operiert. Die OP lief auch nicht besonders gut, sodass ich dann noch mal den Arzt gewechselt habe. Ich bin jetzt bei einer Ärztin, die sehr verständnisvoll ist. Sie steht ganz offen dazu, wenn sie sich überfordert fühlt und sagt dann auch, ich solle lieber nach Berlin in mein Endometriosezentrum fahren, als bei ihr zu sitzen. Für OPs sieht sie im Endometriosezentrum, worin ich auch eine hohe Kompetenz sehe. Sie möchte, dass sich dann Ärzte um mich kümmern, die darauf spezialisiert sind. 

Das ist eine tolle Reaktion, weil man sich ja nun auch als Arzt mal eingestehen kann, wenn das nicht das Gebiet ist, über das der Arzt besonders viel weiß und dich dann entsprechend weiter zu schicken. Das ist besser, als wenn nachher etwas gemacht wird, was dir nur Schaden bereitet.

Sophie: Genau so war es bei meinem ersten Arzt, der die Diagnose auch gestellt hat. Der hat einfach selbst operiert. Ich wurde nur ambulant operiert und nach einer Stunde nach Hause geschickt. Nach der Operation habe ich dann Ibuprofen 400 für die nächsten Tage bekommen und das war’s. Als ich das in der Charité erzählt habe, konnte meine Ärztin es gar nicht glauben.

Wie sind denn deine anderen Mitmenschen, außer die Männer, mit dir umgegangen und wie haben sie auf die Beschwerden reagiert? Hast du mit jedem offen darüber gesprochen?

Sophie: Das war ganz individuell. Manch einer hatte ganz viel Verständnis, wie mein Mann und meine Eltern. Aber ich habe tatsächlich auch das Erlebnis gehabt, dass auch Freundschaften zu Frauen zerbrochen sind, weil die das oft nicht verstehen konnten, wenn ich morgens gepostet habe, dass ich auf dem Pferdehof bin und abends aber Verabredungen abgesagt habe, weil ich Schmerzen hatte. Mir wurde oft vorgehalten, dass ich nur so tun würde und dass ich einfach keine Lust habe, mich zu treffen, aber ich habe in diesen Situationen auch gesehen, wer wirklich Freunde sind. 

Das war bei mir auch so. Gerade abends hat man den Tag schon hinter sich gebracht und war erschöpft. Man hat konsequent etwas in sich, was dann nicht sein soll und immer eine Art Entzündung, die da nicht hingehört. Das schwächt den Körper. Wenn man dann abends absagt, kommen dann negative Reaktion und wie du sagst kristallisiert sich raus, wer die echten Freunde sind und von den anderen hört man halt nie wieder. Das ist aber ein Gewinn für dich, denn du brauchst nur die Leute, die deine Situation akzeptieren und für dich da sind. Als du herausgefunden hast, dass du Endometriose hast, was hat das in dir bewegt?

Sophie: Ganz viel. Gleich nachdem ich die Diagnose bekommen habe, ging es  noch für mich. Mein Arzt hat mich damals auch nicht darüber aufgeklärt. Ich habe gedacht, ich werde operiert und dann sei alles gut. Im Januar wurde ich operiert, bis April hatte ich aber Dauerblutungen und ich habe gemerkt, dass wirklich etwas nicht mit meinem Körper stimmt. Ich war dann wieder beim Arzt und dann im Endometriosezentrumn, wo ich zum ersten Mal richtig darüber aufgeklärt wurde, dass ich eine chronische Krankheit habe und dass ich die falschen Hormone genommen habe, die zu niedrig dosiert waren. Auch dann kam auch erst das Thema Unfruchtbarkeit auf. Erst dann habe ich realisiert, was ich habe und hatte eine sehr emotionale Phase, in der ich auch sehr depressiv gewesen bin.  Die Schmerzen waren sehr schlimm. Mittlerweile habe ich mich aber mit der Situation arrangiert. 

Wenn man von der Endometriose hört, geht man oft erstmal online und googelt ganz viel. Hast du das auch gemacht? 

Sophie: Ja, natürlich. Ich glaube, das macht jede Betroffene, sobald sie die Diagnose hat, um herauszufinden, was das überhaupt ist. Ich bin dann auf die Endometriose Vereinigung gekommen und auch auf Anna Wilken und ihr Buch. Erst durch dieses Buch habe ich gesehen, was alles möglich ist, von der Reha bis zur Schmerzbehandlung.

Wo wurden denn bei dir Endometrioseherde gefunden und welche Stellen waren genau betroffen?

Sophie: Das kann ich leider durch die missratene Operation gar nicht genau beantworten, weil beispielsweise auch nicht festgestellt wurde, in welchem Stadium ich bin. Es wird davon ausgegangen, dass ich im Stadium III bin, aber es ist nirgendwo dokumentiert worden. 

„Unsere Lebensumstände sind passend für eine Schwangerschaft.“

Ich habe auf jeden Fall eine tief-infiltrierende Endometriose, die auch am Darm sitzt, aber wie heftig es wirklich ist, weiß ich erst nach der nächsten OP Anfang 2021. Wir haben einen Kinderwunsch und hatten diesen für die nächsten Jahre geplant. Mir wurde jedoch gesagt, dass ich nicht viel länger als ein halbes Jahr warten solle, da es ja auch etwas länger dauern kann, bis ich schwanger werde. Aber unsere Lebensumstände passen. Wir haben ein Haus und heiraten bald. Deshalb würde die Schwangerschaft jetzt auch passen.

Was denkst du denn, warum die Endometriose als Krankheit immer noch so unterschätzt wird? 

Sophie: Ich glaube, es ist ein heftiges Gender-Medizin-Problem, dadurch dass nur Frauen betroffen sind. Es ist weiterhin ein Tabuthema über die Menstruation zu sprechen. Alles, was mit der Gebärmutter zu tun hat, wird unterschwellig mit Ekel verbunden. Aufklärung ist in diesem Bereich einfach unglaublich wichtig. 

Welchen Rat würdest du denn anderen Frauen geben, die noch unsicher sind, ob sie Endometriose haben oder nicht? Du warst ja auch genau in dieser Situation.

Sophie: Lass dir deine Schmerzen nicht absprechen. Es ist nicht normal, wenn du starke Schmerzen hast, auch wenn dir das immer wieder suggeriert wird. Tritt den Ärzten auf die Füße, damit sich da etwas tut. Sei hartnäckig und sprich mit vielen Menschen darüber, dass es dir nicht gut geht, damit sie verstehen können, warum es dir nicht gut geht. Versuche so offen und ehrlich zu sein wie möglich.

Welche Einschränkungen erlebst du denn zurzeit in deinem Alltag? Hast du auch beruflich Einschränkungen?

Sophie: Ich arbeite in der Pflege mit schwerstbehinderten Menschen zusammen. Das bedeutet für mich, dass ich oft sehr lange Schichten arbeiten muss. Das ist körperlich sehr anstrengend. Ich habe auch Fatigue  durch die Endometriose bekommen, sodass ich auch meine Pausen auf der Arbeit mittlerweile zum Schlafen nutzen muss. Gerade in 12 Stunden Schichten lege ich mich immer hin, damit ich eine dreiviertel Stunde schlafen kann, um wieder an Energie zu kommen. Ich reite und oft habe ich Tage, wo ich diesen Anspruch an meine eigenen Leistungen nicht erfüllen kann. Das ist ein langer Lernprozess für mich. Ich muss lernen, dass ich nicht so belastbar bin, wie ich mal war. Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass ich diese Krankheit habe und damit auch leben muss und dass sie zu mir gehört.

Nun gibt es alltägliche Gewohnheiten, um einfach ein besseres Leben mit der Endometriose führen zu können. Hast du da etwas geändert?

Sophie: Ich habe auch vorher vegan gegessen. Das wird ja häufig empfohlen und ich achte sehr aufs Histamin. Mir ist aufgefallen, dass ich gerade nach Rotwein oder Tomaten öfter Schmerzen habe. Wenn ich aber wirklich mal Lust darauf habe, verzichte ich auch nicht. Oft rächt sich der Körper dann dafür. Außerdem versuche auch immer wieder, mir Ruhepausen zu gönnen. Auch Yoga mache ich fast täglich und ich habe für mich beschlossen, dass ich für mein Pferd eine Beteiligung haben möchte, sodass ich nicht alleine die Verpflichtung habe, jeden Tag  zu meinem Pferd zu fahren. Normalerweise bin ich jeden Tag etwa drei Stunden da und an Schmerztagen könnte ich dann jemanden fragen, sich zu kümmern. 

Was würdest du dir denn wünschen für die Zukunft der Endometriose? Was muss deiner Meinung nach passieren?

Sophie: Es muss definitiv mehr Geld in die Forschung fließen, damit es irgendwann auch etwas Längerfristiges gibt, um die Endometriose besser behandeln zu können. Noch viel wichtiger ist, dass die Erkrankung in der Gesellschaft akzeptiert wird. Das ist mein größter Wunsch, weshalb ich auch bei Instagram versuche, immer viel darüber aufzuklären, damit die Reichweite für die Krankheit größer wird und nicht mehr so ein Tabuthema ist.

Mona Briese