Endometriose bei Männern: Selten, aber möglich

Sowohl in der Fachliteratur als auch in Publikumszeitschriften und Foren wird immer wieder über Fälle geschrieben, in denen Männer an Endometriose erkrankt sind. Andererseits gilt Endometriose als „rätselhafte Frauenkrankheit“ und „verkanntes Frauenleiden“. [1]

Und auch der Begriff „Endometriose“ und die Krankheitsbeschreibung als „Gebärmutterschleimhaut-ähnliche Zellen“ erweckt den Eindruck, dass nur Menschen mit Gebärmutter an Endometriose erkranken können. Wie also kann es sein, dass auch Männer an Endometriose erkranken?

Hintergrund: Was ist Endometriose?

Bei der Endometriose handelt es sich um eine Erkrankung, bei der Gewebeansammlungen, die der Gebärmutterschleimhaut ähneln, außerhalb der Gebärmutterhöhle wachsen. Die sogenannten Endometrioseherde können im kleinen Becken, aber auch im gesamten Bauchraum und sogar Zwerchfell, Lunge oder Gehirn auftreten. In Deutschland sind von der Erkrankung rund 1,7 Millionen Frauen betroffen. Rund zehn Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter leiden an Endometriose. Damit ist Endometriose die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung. [2]

Wie die Gebärmutterschleimhaut selbst werden auch die Endometrioseherde außerhalb der Gebärmutter durch den weiblichen Hormonzyklus gesteuert. Daher wachsen die Zellansammlungen zunächst ab und werden dann, wenn keine Schwangerschaft eintritt, wieder abgebaut und bluten ab. Da das Blut aber, anders als bei der Gebärmutterschleimhaut im Uterus, nicht aus dem Körper ausgeleitet werden kann, können sich Zysten, Entzündungen oder Vernarbungen bilden.

In diesem Artikel erfährst du:

  • Was Endometriose ist und welche Theorien es zu deren Entstehung gibt.
  • Wie weit Endometriose bei Männern ist.
  • Welche möglichen Erklärungsansätze es für das Auftreten von Endometriose bei Männern gibt.
  • Wie Endometriose bei Männern behandelt werden kann.
  • Warum auch Frauen sich über das Thema Endometriose bei Männern informieren sollten.

Ursachen: Welche Theorien gibt es zur Entstehung der Endometriose?

Trotz der großen Anzahl betroffener Frauen ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt, was die Ursachen der Endometriose sind. Einigkeit besteht heute darüber, dass eine Vielzahl von auslösenden Faktoren an der Entstehung und Ausprägung der Endometriose beteiligt sind. Keine der bisher entwickelten Theorien kann für sich alleine die Entstehung der Endometriose mit all ihren Facetten erklären.

Transplantations- oder Implantationstheorie [3]

Nach dieser Theorie entsteht Endometriose über die sogenannte retrograde Menstruation, also dadurch, dass Menstruationsblut mit Endometriumszellen über die Eileiter in den Bauchraum gelangen. Allerdings erfolgt bei bis zu 90 Prozent der Frauen die Menstruation (auch) retrograd, sodass vor dem Hintergrund dieser Theorie viel mehr Frauen von Endometriose betroffen sein müssten. Auch erklärt diese Theorie nicht, wieso Endometrioseherde auch in der Lunge, im Gehirn, bei Frauen ohne Gebärmutter oder eben auch bei Männern auftreten können. Daher wird weiter nach anderen Entstehungsmechanismen gesucht.

Coelom-Metaplasie-Theorie [4]

Die Coelemshöhlen sind die Vorläufer von unterschiedlichen Organen wie Herz, Lungen, Verdauungssystem, aber auch Urogenitalorganen. Diese Theorie geht davon aus, dass Endometriose sich aus den Zellen entwickelt, die die Coelemshöhlen in der Embryonalphase auskleideten. Das würde erklären, warum Endometriose auch in Organen außerhalb des Urogenitaltrakts auftreten kann. Allerdings müssten, wenn man dieser Theorie folgt, viel mehr Männer von Endometriose betroffen sein.

Induktionstheorie [5]

Hierbei handelt es sich um eine Fortentwicklung der Coelem-Metaplasie-Theorie. Diese Theorie geht davon aus, dass sich Endometrioseherde aus undifferenzierten Zellen (Stammzellen) entwickeln. In Tierexperimenten konnte diese Theorie jedoch nur zum Teil bestätigt werden.

Embryonalrestetheorie

Diese Theorie besagt, dass sich Endometriose aus den sogenannten Müllerschen Gängen entwickelt, die in der Embryonalphase die Vorläufer der Geschlechtsorgane sind. Diese Theorie erklärt zwar das Auftreten von Endometriose bei Männern, allerdings lässt sich nicht die Entstehung von Endometrioseherden jenseits des Urogenitaltrakts erklären.

Tissue-Injury and Repair Theorie [6]

Der Uterus besitzt eine eigene Peristaltik. Dadurch kommt es zu Mikroverletzungen und damit verbunden auch zu Entzündungsprozessen des Gewebes, die über einen Reparaturmechanismus wieder geheilt werden. Dabei wird jedoch auch Östrogen ausgeschüttet, was die Peristaltik wiederum antreibt. Die Mikroverletzungen führen zudem dazu, dass die Zellen der Gebärmutterschleimhaut sich verändern. Hierdurch können die Endometriumszellen invasiv wachsen und sich auch im Bauchraum ansiedeln.

Lymphatische und vaskuläre Streuung

Diese Theorie besagt, dass Endometriumszellen über Blut- und Lymphwege in weit entfernte Körperbereiche gelangen. Allerdings lässt sich mit dieser Theorie nicht erklären, warum in Einzelfällen auch Männer von Endometriose betroffen sein können.

Fazit

Keine der bisher entwickelten Theorien zur Entstehung der Endometriose kann die Erkrankung in all ihren Facetten erklären. Es ist also dringend erforderlich, weiter Grundlagenforschung zu betreiben. Es ist aber schon heute klar, dass Hormone, insbesondere das Östrogen, eine entscheidende Rolle bei der Entstehung beziehungsweise der Ausprägung der Endometriose spielen.

Endometriose bei Männern: Ist das überhaupt möglich?

Es gibt Stimmen in der Literatur, die Begriff Endometriose sehr eng auslegen und angeben, in den seltenen Fällen, in denen sich endometriumsähnliches Gewebe bei Männern findet, könne daher nicht von Endometriose gesprochen werden, da der Begriff von „Endometrium“ – Gebärmutterschleimhaut abstammt. [1]

Dabei ist es eindeutig, dass Endometrioseherde auch bei Männern oder auch bei Frauen ohne Gebärmutter auftreten können. Da zudem die Ursachen für die Entstehung der Endometriose bis heute noch nicht abschließend geklärt sind, ist eine solche Verdichtung der Definition der Endometriose irreführend. Denn schließlich lässt die Erkenntnis, dass Endometriose auch bei Menschen ohne Uterus auftreten kann, Rückschlüsse auf die Entstehungsmechanismen bei Frauen zu. Und dies wiederum kann dazu beitragen, die Behandlung der Endometriose zu optimieren.

Dies ist auch der Grund, warum inzwischen bei Experten in Bezug auf Endometriose immer von Gebärmutterschleimhaut-ähnlichen Zellen gesprochen wird.

Überblick: In welche Fallgruppen lassen sich die dokumentierten Fälle von Endometriose bei Männern zusammenfassen?

Insgesamt ist die Anzahl der dokumentierten Fälle von Endometriose sehr gering. Dies liegt einerseits sicher daran, dass vorrangig Frauen an Endometriose erkranken. Andererseits kann es auch sein, dass es aufgrund des mangelnden Bewusstseins, dass Endometriose auch Männer betreffen kann, dazu führen, dass die Erkrankung bei Männern noch später (oder gar nicht) diagnostiziert wird als dies bei Frauen der Fall ist. Denn auch bei Frauen dauert es mitunter mehr als 12 Jahre, bis die Diagnose gestellt wird. [7]

Trotzdem lassen sich die dokumentierten Fälle in Fallgruppen einteilen: [7]

Männer, die sich längere Zeit einer Hormontherapie unterzogen haben

Es sind mindestens zwei Fälle bekannt, in denen Männer aufgrund von anderen Erkrankungen mit Östrogen behandelt wurden. In den Folgejahren traten bei ihnen Beschwerden auf, die sich durch Gewebeentnahmen auf das Vorliegen von Endometrioseherden zurückführen ließen. Andererseits ist mindestens ein Fall dokumentiert, in dem ein Mann eine Anti-Östrogentherapie erhalten hat. Auch bei ihm wurde später Endometriose diagnostiziert.

Männer, die aufgrund einer Leberzirrhose einen erhöhten Östrogen-Spiegel haben

Bei der Leberzirrhose handelt es sich um eine chronische Erkrankung der Leber. Für das Entstehen der Leberzirrhose gibt es mehrere Ursachen. Die häufigste Ursache ist jedoch der Alkoholmissbrauch. [8] In Folge der Leberzirrhose kommt es häufig zu hormonellen Störungen. Auch der Abbau des Östrogens kann gestört sein, sodass sich die Östrogenspiegel erhöhen.

Männer mit Übergewicht

Übergewicht im Sinne von Adipositas ist ein weiterer Risikofaktor für die Entstehung von Endometriose bei Männern. Hintergrund könnte sein, dass Übergewicht zu erhöhten Östrogenspiegeln führt. [9] Da Östrogen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Endometriose spielt, kann dies der Grund sein, warum krankhaft übergewichtige Männer Endometriose entwickeln. In dem dokumentierten Fall handelt es sich um einen 54-jährigen Mann, der einen Endometrioseherd in der Blase hatte.

Intersexuelle Männer, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane besitzen

Intersexuelle Menschen sind per Definition entweder Menschen, bei denen das genetische Geschlecht nicht zum biologischen Geschlecht passt, die Genitalien nicht eindeutig ausgebildet sind oder sowohl weibliche als auch männliche Fortpflanzungsorgane angelegt sind. Im letzteren Fall kann eine Person also äußerlich ein voll entwickelter Mann sein, aber trotzdem eine Gebärmutter sowie Eierstöcke besitzen, die hormonaktiv sein. [10] Im dokumentierten Fall handelt es sich um einen 21-jährigen Mann, bei dem nach Schmerzen im Unterbauch in Verbindung mit PMDS-Symptomen im Rahmen einer MRI-Untersuchung festgestellt wurde, dass er zusätzlich zu den äußeren männlichen Geschlechtsteilen auch einen Uterus sowie Eierstöcke besitzt.

Transsexuelle Männer, also Männer nach einer rechtlichen oder biologischen Geschlechtsanpassung

Transsexuelle Männer sind Menschen, die als Frauen geboren wurden, aber als Mann leben. Dabei gibt es sowohl die Variante, dass diese Menschen sich einer reinen Hormontherapie unterzogen haben oder aber zusätzlich eine geschlechtsanpassende Operation haben vornehmen lassen. Hierbei geht es jedoch vorrangig um die Anpassung der äußeren Geschlechtsmerkmale an das psychische Geschlecht. Äußerlich sehen transsexuelle Männer also unter Umständen wie Männer aus, die als Männer geboren wurden. Trotzdem besitzen sie eine Gebärmutter sowie Eierstöcke.

Symptome: Wie äußert sich Endometriose bei Männern?

Aufgrund der geringen Zahl der dokumentierten Fälle ist es schwer, eine abschließende Aufzählung der Symptome der Endometriose bei Männern zu bieten. Bekannt sind folgende Symptome:

  • Lokale Schmerzen an den Stellen, die von Endometrioseherden betroffen sind
  • Unterleibsschmerzen
  • Blut im Urin, mit und ohne Schmerzen
  • PMDS: Also Beschwerden vor und während der „Regelblutung“ (bei intersexuellen Männern)

Behandlungsansätze: Wie wird Endometriose bei Männern behandelt?

Die Maßnahmen [7], die in den dokumentierten Fällen ergriffen wurden, um die Symptomatik der Endometriose bei Männern zu lindern oder zu beseitigen, umfassen insbesondere die folgenden Bausteine:

  • Operative Entfernung der Endometrioseherde
  • Hormonelle Behandlung bzw. Absetzen der hormonellen Substitution
  • Operative Entfernung von Uterus und Eierstöcken, wenn es sich um intersexuelle Männer handelt
  • Gewichtsreduktion bei starkem Übergewicht

Mythen zum Thema Männer und Endometriose

  • Menschen ohne Uterus können keine Endometriose haben: Untersuchungen von Gewebeproben belegen eindeutig, dass auch Männer Endometrioseherde entwickeln können. Und auch Frauen nach Gebärmutterentfernung können Endometriose bekommen. Es ist also schlicht falsch, sich auf den reinen Namensursprung der „Endometriose“ bei der Definition der Erkrankung zurückzuziehen. Schließlich stammt der Begriff aus einer Zeit, in der Diagnostik noch weit weniger möglich war als heute.
  • Frauen müssen sich nicht mit dem Thema Endometriose bei Männern beschäftigen: Das ist ein fataler Irrtum. Denn gerade aus der Tatsache, dass auch Männer an Endometriose erkranken können, lassen sich wahrscheinlich wertvolle Erkenntnisse zur Entstehung der Erkrankung ableiten. Hiervon werden gerade auch betroffene Frauen profitieren.

Zusammenfassung:

Endometriose ist eine gynäkologische Erkrankung. Dennoch sind auch einige wenige Männer nachweislich von der Erkrankung betroffen. Aus den dokumentierten Fällen ergibt sich, dass vor allem das Hormon Östrogen eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Ausprägung der Endometriose spielt. Die konsequente Einbeziehung der Ergebnisse, die sich aus den Endometriosefällen bei Männern ergeben, kann die Forschung in Bezug auf die Ursachen der Erkrankung weiterführen. Dies wiederum könnte bedeuten, dass Endometriose ursächlich behandelt werden kann, statt nur die Symptome zu lindern.