„Ohne Schmerzmittel und Buscopan gehe ich nicht aus dem Haus.“

Interview mit Endometriose Patientin Jenni

Jenni hat 12 Jahre auf ihre Diagnose, dass sie Endometriose hat, warten müssen. Doch es wartete eine weitere Diagnose auf sie. Durch eine Störung im Fibrin kam es bei ihr mit jeder Operation und jeder Wunde zu Verklebungen, die ihre Beschwerden unerträglich werden ließen. Wir haben mit ihr über ihren Leidensweg und diese besondere Diagnose gesprochen.

Schön, dass du dir die Zeit genommen hast, heute mit uns über deine Endometriose zu sprechen. Stell dich bitte einmal vor.

Jenni: Ich bin Jenni, bin 34 und habe meine Diagnose vor etwa zwei Jahren bekommen. Insgesamt habe ich 12 Jahre darauf gewartet. In dieser Zeit wurde ich immer wieder operiert, es wurde jedoch nur gesagt, ich hätte Verwachsungen, die dann gelöst wurden.  Es hat sich aber niemand die Zeit genommen, um zu hinterfragen, woher diese Verwachsungen denn kommen und was ich eigentlich genau habe. Vor zwei Jahren bin ich dann in einem anderen Krankenhaus gewesen und da wurde einmal richtig nachgeschaut. Leider musste mir dann aber auch die Gebärmutter entfernt werden. Das war nicht einfach.  

Was bedeutet es denn jetzt für dich, die Diagnose Endometriose zu haben?

Jenni: Als ich die Diagnose vor zwei Jahren bekommen habe, war es für mich einerseits natürlich eine Erleichterung, weil ich endlich wusste, dass ich mir nicht alles nur eingebildet habe. Jetzt kenne ich auch den Grund für all die Verwachsungen.  Auf der anderen Seite habe ich mir gedacht: „Du hast jetzt eine chronische, unheilbare Krankheit, mit der du immer wieder zu kämpfen hast.“ Ich muss gestehen, dass ich das Ganze eine Zeit lang von mir weggeschoben habe. 

Ich wusste, das Kind hat jetzt einen Namen, aber ich habe mich relativ wenig damit befasst, bis vor sechs Monaten wieder ein extremer Schub kam und ich wieder ins Krankenhaus musste, weil ich die Schmerzen nicht ausgehalten habe. Es gibt den alltäglichen Schmerz, den ich habe und Schübe, die nicht auszuhalten sind. Die Ärzte haben mir aber gesagt, dass eine Bauchspiegelung bei mir nicht mehr möglich ist, weil es in meinem Bauch mittlerweile sehr verwachsen und verklebt ist. Deshalb möchten sie mich, solange ich nicht in Lebensgefahr bin, nicht operieren. Sie haben mir auch sehr ins Gewissen geredet und haben gesagt, dass die Endometriose so extrem fortgeschritten ist und es nicht besser wird und dass ich mir dringend bewusster werden müsste, dass ich die Krankheit habe, was das bedeutet und Dinge finden, die mir helfen. Das war für mich der Anstoß, doch mal etwas zu tun. 

Wie war denn deine Krankheitsgeschichte bis zur Diagnose? Du sagtest, du wurdest immer wieder operiert. Was wurde denn zu der Zeit vermutet, was all diese Verwachsungen sein könnten?

Jenni: Ich hatte damals als Teenager schon immer sehr starke Periodenschmerzen. Ich war fast jeden Monat im Krankenhaus, weil ich mich immer wieder vor Schmerzen übergeben habe, ich umgekippt bin und mich wirklich gekrümmt habe. Damals wurde mir gesagt, dass meine Gebärmutter abgeknickt sei und dass ich dadurch diese starken Schmerzen hätte. Wenn Ärzte das erklären, hinterfragst du das ja auch erst mal nicht. Als ich 16 war, hatte ich eine Blinddarm-OP und da wurde festgestellt, dass da einige Verwachsungen gewesen sind. Mir wurde aber gesagt, dass manche Menschen einfach zu so etwas neigen würden, ohne zu untersuchen, was diese Verwachsungen eigentlich sind. Als mein erster Sohn 2009 geboren wurde, wurde mir dann auch gesagt, dass während des Kaiserschnitts auch Verwachsungen gefunden wurden. Ein Jahr später musste ich dann aufgrund von Verwachsungen an der Narbe operiert werden. 2011 war ich mit meinem zweiten Sohn schwanger. Das war allerdings sehr kompliziert. Da hatte sich nur die Hälfte der Gebärmutter ausgeprägt. Ich hatte sehr früh Wehen, musste dann auch die ganze Schwangerschaft über liegen und als er dann unterwegs war, war scheinbar meine Gebärmutter irgendwie mit der Blase verklebt und beides zusammen mit der Bauchdecke. Das wusste man vorher nicht und durch jede Wehe ist das auseinandergerissen. Dadurch hatte ich starke innere Blutungen und es musste ein Not-Kaiserschnitt gemacht werden.

Immer wieder haben die Ärzte mir erklärt, das wäre alles von den OPs gekommen und immer wenn die Verwachsungen gelöst wurden, hätte ich zwei neue Stellen, die miteinander verwachsen. Diese wurden dann wieder gelöst, sodass dann vier neue Stellen, die miteinander verwachsen, entstanden sind. So wurde mir das immer erklärt. Vor zwei Jahren war ich in Essen bei meinen Schwiegereltern und da ging es mir so schlecht, dass ich dort ins Krankenhaus gekommen bin und da lief dann alles ganz anders. Ich habe bestimmt mit vier verschiedenen Oberärzten Kontakt gehabt und die haben gesagt: „Wir gucken jetzt, was da los ist. Wir müssen da mal herausfinden, was da passiert.“ Die haben dann noch mal eine Bauchspiegelung gemacht, was dann schon sehr schwer war. 2015 war mir noch die Gebärmutter entfernt worden. In Essen haben die Ärzte dann Proben genommen, diese in die Pathologie geschickt und dann kam heraus, dass ich Endometriose habe. Zusätzlich dazu habe ich eine Störung, was das Fibrin angeht. Das ist der körpereigene Kleber, um Wunden zu verschließen und das, was Bluter nicht haben und bei mir ist es das Gegenteil: Mein Körper produziert davon zu viel. Bei jeder Verletzung oder auch Schmerzschüben kriegt mein Gehirn das Signal, dass da etwas ist und deshalb Fibrin ausschüttet. Deswegen klebt bei mir alles zusammen.

Hast du denn mit der Entfernung deiner Gebärmutter auch irgendwelche Veränderungen erlebt? So wie sich das anhört, scheint es so, als hätten all diese OPs und Untersuchungen keinen großen Effekt gehabt.

Jenni: Eigentlich überhaupt keinen. Ich habe danach immer noch Verwachsungen gehabt, die wieder gelöst wurden und immer wieder Schmerzen. Klar, wenn man keine Periode mehr bekommt, ist es natürlich einfacher, aber an den normalen Schmerzen hat sich eigentlich überhaupt nichts geändert. 

Wie haben denn deine Mitmenschen bis zu der Diagnose bzw. im Zeitraum dieser ganzen Schmerzen auf deine Beschwerden reagiert?

Jenni: Das war ganz unterschiedlich. Mein Ex-Partner und der Vater der Kinder war natürlich verständnisvoll. Meine damaligen Schwiegereltern ebenso. Im Teenageralter war es dagegen sehr schwer, weil ich natürlich immer wieder Verabredungen abgesagt habe, weil ich so starke Schmerzen hatte. Einmal absagen ist noch okay, aber wenn man als Teenager zehnmal im Monat absagt, interessiert das irgendwann auch niemanden mehr. Von den Lehrern hörte ich damals immer, ich würde die Schmerzen nur vorschieben und mich anstellen. Ich solle einfach eine Ibuprofen nehmen und dann würde es schon gehen. Heute ist es natürlich etwas anderes. Mein jetziger Mann hat wahnsinnig großes Verständnis dafür und unterstützt mich jeden Tag, wo es nur geht. Er fragt auch immer, ob er irgendetwas lesen könne oder mit jemandem sprechen könne, um die Krankheit besser zu verstehen. Auch meine Freunde zeigen Verständnis, dennoch habe ich das Gefühl, dass dieses Verständnis nur bis zu einem gewissen Grad geht. Wenn ich zu oft sage, dass es mir nicht gut geht und ich etwas absage, nervt das irgendwann jeden. Aber bis zu diesem Punkt erfahre ich wirklich sehr viel Verständnis.

Ich glaube, das ändert sich auch mit dem Alter nicht. Man hat immer das Gefühl, dass man sich rechtfertigen muss, obwohl man weiß, man muss es nicht. Aber man möchte ja auch, dass die Leute verstehen, warum man etwas absagt. Es kommt natürlich auch immer auf die Personen selber an, wie verständnisvoll sie sind. Was denkst du denn, warum Endometriose als Krankheit so oft unterschätzt wird? 

Jenni: Ich habe mich ja selber erst vor ein paar Monaten wirklich damit befasst und fand es als Betroffene wahnsinnig erschreckend, dass so viele Frauen betroffen sind und so wenige Leute darüber Bescheid wissen. Als ich dann nach meiner Diagnose mit Leuten gesprochen habe und gesagt habe, dass ich Endometriose habe, war da nicht einer, der gesagt hat: „Ach ja, davon habe ich schon mal gehört.“ Es war bei allen nur ein wahnsinniges Fragezeichen und daher kommt vielleicht auch dieses Unverständnis für Betroffene. Selbst Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, haben davon noch nicht gehört. Man fragt sich natürlich, woher das kommt, ob das an der fehlenden Thematik in der Ausbildung oder im Studium liegt. Man hört erst jetzt, dass das Thema etwas bekannter wird, aber ich finde, da muss noch eine Menge passieren. Ich glaube, dass dieses Unverständnis von allen dazu führt, dass das so unterschätzt wird.

Das ist auf jeden Fall ein großer Punkt. Es wird ja oft auch mit der Onkologie verglichen. Krebs ist natürlich furchtbar und die Patienten erhalten auch sofort Mitleid und dann hast du aber eine chronische Krankheit, unter der du einfach extrem leidest, die dir unglaubliche Schmerzen bereiten und dann wird das abgewunken, denn es ist ja nicht tödlich. Und dann gibt es Krankheiten wie Morbus Crohn, von denen schon jeder gehört hat und deshalb bekommen die Betroffenen auch Mitleid. Jetzt, wo du endlich die Diagnose erhalten hast, welchen Rat würdest du anderen Frauen geben, die unsicher sind, ob sie Endometriose haben?

Jenni: Wenn ich persönlich das Ganze noch mal durchmachen müsste und hätte die Möglichkeit, Dinge zu ändern, wäre es, dass ich mich nicht von Ärzten abspeisen lassen würde und mich nicht mit der ersten Erklärung zufriedengeben würde. Hätte mehr nachgehakt und hätte ich selber mehr auf meinen Körper gehört, hätte ich, glaube ich, deutlich eher eine Diagnose haben können. Ich glaube, es ist wichtig zu dem Punkt zu kommen, die Endometriose früh zu erkennen und auch eine frühe Behandlungsmethode findet.

Welche Einschränkung erlebst du zurzeit so im Alltag und was hilft dir, um damit besser zurechtzukommen?

Jenni: In den letzten zwei Jahren haben sich meine Beschwerden extrem verschlimmert. Davor hatte ich alle paar Monate mal einen Schmerzschub, den ich gut mit Novalgin und viel Wärme gut in den Griff bekommen habe. Mittlerweile schaffe ich kaum noch meinen Alltag. Jeden Abend liege ich mit Tabletten und Wärmflasche auf der Couch. Mein Mann und ich gehen eigentlich unglaublich gerne wandern. Früher konnte ich am Tag 20 km wandern und heute merke ich nach 5 km, dass ich Schmerzen bekomme und muss dann die Wanderung abbrechen. Diese Schübe kommen nach wie vor, aber ich merke auch, dass mein Körper immer mehr zu macht. Ich bin jetzt allergisch auf Novalgin, Paracetamol und Ibuprofen helfen mir nicht mehr. Mir wurde ein leichtes Morphium angeboten, aber mit 34 Jahren möchte ich nicht anfangen, Morphium zu nehmen.  Ich habe da wahnsinnigen Respekt und auch Angst vor. Das ist wirklich immer die allerletzte Instanz. Buscopan hilft mir in Kombination mit den Schmerzmitteln auch ganz gut. Bei einem Schmerzschub hilft eigentlich nur das Krankenhaus. Das ist anders nicht auszuhalten.

Diese Angst vor den Opiaten kann ich verstehen, denn man kann da ja auch wirklich schnell in eine Abhängigkeit rutschen. Das ist wirklich gefährlich. 

Jenni: Ohne Schmerzmittel und Buscopan gehe ich nicht aus dem Haus, wenn es losgeht.  Ich spüre in den letzten drei Monaten, wenn wir weiter weg von zu Hause unterwegs sind, eine wahnsinnige innere Unruhe, fast schon wie eine Nervosität am Anfang von Panikattacken. Ich bemerke also psychisch gesehen auch Auswirkungen, die ich vorher nicht hatte. Sobald wir irgendwo sind, wo viele Menschen sind und ich weiß, wenn jetzt etwas wäre, würde es jeder mitbekommen und ich komme gerade nicht unbemerkt aus dieser Situation, dann ist es wirklich an der Grenze zur Panikattacke. Wenn das so bleibt oder schlimmer wird, dann gehe ich Therapie gehe. Ich bin unwahrscheinlich gerne draußen und versuche immer trotz allem positiv zu bleiben und irgendwie die Fahne hochzuhalten. Wenn ich nicht mehr rausgehen kann, ist das das Schlimmste für mich.

Ich hoffe sehr für dich, dass da auf irgendeinem Wege Besserung eintritt, denn eigentlich ist diese Bewegung in der Natur ja etwas, das Besserung bringen sollte. Man möchte sich ja erholen. Wenn das Wandern auf einmal so nicht mehr geht und es etwas war, wo man sonst Ruhe und Entspannung gefunden hat, ist es schwierig, wenn das plötzlich nicht mehr geht. 

Jenni: Vor allem mit den Kindern. Ich möchte auf gar keinen Fall, dass die Kinder irgendwie darunter leiden, nur weil ich jetzt gerade nervös bin. Ich vermeide diese Situation nicht und stell mich ihnen in dem Moment bewusst, weil ich glaube, wenn ich anfange wegzurennen, dann wird es noch schlimmer. Mir ist wichtig, dass ich natürlich immer noch alles mit meinen Kindern machen kann, so viel wie möglich rausgehen kann und dass sie nicht unter meiner Krankheit leiden. 

Du hast das schon so lange jetzt überstanden und hast schon so viel erleben müssen. Du bist stark. Und wenn du einen nicht starken Tag hast, dann ist das auch in Ordnung. Man muss selber mit sich im Reinen sein und die Krankheit akzeptieren. Man muss aber auch akzeptieren, dass man bestimmte Sachen nicht mehr machen kann oder dass man bessere Tage hat und schlechtere Tage und man an diesen einfach eingeschränkt ist. Wenn du dir nur Vorwürfe machst, was du alles nicht mehr machen kannst, dann machst du dir nur wieder Stress und Stress brauchst du mit der Endometriose auf gar keinen Fall. Was wünschst du dir denn für die Zukunft in Bezug auf die Endometriose allgemein?

Jenni: Dass man es irgendwann heilen kann, wäre natürlich wunderbar, aber ich gehe nicht davon aus, dass ich das noch erleben werde. Ich wünsche mir natürlich, dass so viel wie möglich geforscht wird und dass es zumindest in naher Zukunft irgendetwas gibt, das Frauen hilft und wirklich Linderung verschafft. Und vor allem Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung! – Dass es viel mehr Wissen und Fakten darüber gibt, dass viel mehr Leute über diese Krankheit Bescheid wissen und Betroffene dadurch auch die Akzeptanz bekommen, die jede Frau mit Endometriose verdient hat. Akzeptanz und dass man sich nicht einigelt, ist auch wirklich wichtig. Man ist nicht alleine, aber es müssen viel mehr Leute über die Endometriose Bescheid wissen. 

Damit, dass du uns deine Geschichte erzählt hast, sind wir auf einem guten Weg, mehr Leuten davon zu erzählen, was die Endometriose im Leben von Frauen macht. Es ist wirklich wichtig, Geschichten zu teilen, damit die Leute sehen, dass das alles kein Zuckerschlecken ist. Endometriose ist nicht einfach nur eine Frauenkrankheit und ein bisschen Regelschmerzen, die ein bisschen stärker sind, sondern eine Krankheit, wo ganz viel hinter steckt. Vielen Dank, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.

 

Mona Briese