Was ist das late-onset-AGS?

Viele Erkrankungen der Gebärmutter und ihrer umgebenden Strukturen sowie deren jeweiligen Symptome kennst du schon. In diesem Artikel geht es um eine hormonelle Erkrankung, dem sogenannten late-onset-Adrenogenitalen Syndrom. Dieses kann zum Beispiel eine Unfruchtbarkeit verursachen, welche jedoch in aller Regel behandelbar ist.

Die Nebenniere

Die Nebenniere, oder auch Glandula suprarenalis genannt, ist eine kleine, dreieckig geformte Drüse und stellt einen wichtigen Bestandteil des Hormonsystems dar. Sie sitzt auf der Niere und ist ebenfalls paarig angelegt. Ihre Hauptaufgabe ist die Produktion von Stresshormonen als Reaktion auf alle möglichen Umwelteinflüsse, welche dem Körper mehr Leistung abverlangen. Hinzu kommen verschiedene Hormone zur Regulation des Wasser- und Salzhaushaltes, des Stoffwechsels und des Immunsystems.

Aufbau und Funktionen der Nebenniere

Grundsätzlich wird die Nebenniere eingeteilt in die Nebennierenrinde, welche außen am Rand der Drüse liegt, und das Nebennierenmark, welches im Inneren zu finden ist. In der Nebennierenrinde werden die Hormone Aldosteron, Kortisol und die Androgene, also die männlichen Sexualhormone, produziert. Kortisol hat eine besondere Wirkung auf den Stoffwechsel, indem es für einen erhöhten Abbau von Fetten und Eiweißen und eine vermehrte Neubildung von Zuckern sorgt. Ein langfristig erhöhter Kortisolspiegel kann zu einem erhöhten Blutzucker führen – ein besonderer Auslöser hierfür ist jegliche Art von Stress, sofern er dauerhaft und langfristig auftritt. Weiterhin hilft es gegen Entzündungen und hat eine hemmende Wirkung auf die Aktivität des Immunsystems. Aldosteron sorgt in erster Linie dafür, dass der Salz- und Wasserhaushalt des Körpers im Gleichgewicht bleibt, indem es die Menge von Natrium und Kalium reguliert. Dies sind wichtige Elektrolyte, welche für verschiedene Prozesse im Körper benötigt werden. Wenn zum Beispiel der Blutdruck durch Erkrankungen wie Herzinsuffizienz absinkt, wird mehr Aldosteron ausgeschüttet, damit es das Natrium und Wasser aus den Nieren zurückholen kann. Die Androgene werden in das Hormon Testosteron umgewandelt. Bei Frauen* ist generell weniger Testosteron im Körper vorhanden als bei Männern*. Grundsätzlich kommen beim Mann* nur etwa 5% des Testosterons aus der Nebenniere, der Rest wird von den Hoden gebildet.

Hormonproduktion in der Nebenniere

Gemeinhin wird die Hormonproduktion von der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gesteuert, einer Drüse des Großhirnes. Diese wiederum wird durch den Hypothalamus, einem Hirnareal im Großhirn, kontrolliert. Der Mechanismus funktioniert wie folgt: Werden mehr Hormone aus der Nebennierenrinde benötigt, wird sie von der Hypophyse dazu angeregt, mehr zu produzieren. Sind genug Hormone vorhanden, wird die Aktivität gedrosselt.

Die Hormonproduktion kann durch mehrere Erkrankungen wie zum Beispiel Tumoren aus dem Gleichgewicht geraten, sodass eine Überfunktion oder Unterfunktion der Nebennierenrinde entsteht. Wird zu viel Kortisol ausgeschüttet, entsteht ein sogenannter Morbus Cushing. Hierbei bekommen Betroffene ein rundes „Mondgesicht“, vermehrte Fettanlagerungen im Bauchbereich und im Nacken, wo sich ein sichtbares Fettpolster bildet. Aus der Erkrankung kann sich außerdem ein Diabetes entwickeln. Wird zu viel Aldosteron produziert, entsteht meist ein Bluthochdruck und ein zu niedriger Kaliumwert tritt auf. Dies zeigt sich als Muskelschwäche, Verstopfung und Durstgefühl. Wenn die Nebennierenrinde zu geringe Mengen an Hormonen produziert, bezeichnet man das als Nebenniereninsuffizienz. In dem Fall heißt die entstehende Erkrankung Morbus Addison. Auch Veränderungen des Hypothalamus oder der Hypophyse können zu einer Unterfunktion führen. Bei einem Mangel an Kortisol treten Gewichtsverlust, niedriger Blutdruck und Appetitsverlust auf und die Monatsblutung kann aussetzen. Manchmal gibt es auch keine Symptome, bis der Körper aufgrund von erhöhtem Stress mehr Kortisol benötigt. Dieses kann dann nicht hergestellt werden. Die betroffene Person leidet in dem Fall unter plötzlichem Abfall des Blutdrucks und womöglich einem Schock. Da es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelt, muss diese sogenannte Addison-Krise sofort behandelt werden.

Das Nebennierenmark produziert die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin, welche auch Katecholamine genannt werden. Es ist Teil des sympathischen Nervensystems, welches den Körper in eine erhöhte Leistungsbereitschaft versetzt. Immer dann, wenn es nötig ist, erhöhen sie den Blutdruck, die Schlagfrequenz des Herzens, den Blutzuckerspiegel und stoppen die Darmtätigkeit. Bei einer Überfunktion des Nebennierenmarks tritt plötzlicher Bluthochdruck in Verbindung mit Kopfschmerzen, Schwindel und Schwitzen auf. Produziert das Nebennierenmark nicht genug Katecholamine, spricht man von einer Unterfunktion. In dem Fall ist der Blutdruck zu niedrig, was eine Reihe an Symptomen wie Schwindel, Ohnmacht oder Kopfschmerzen mit sich bringen kann [1],[2],[3].

Was ist das Adrenogenitale Syndrom?

Beim klassischen Adrenogenitalen Syndrom liegt eine Minderproduktion von Kortisol und Aldosteron vor, während gleichzeitig mehr Androgene produziert werden. Oft ist der Grund hierfür eine genetische Veränderung eines Enzyms, welches an der Herstellung der Hormone beteiligt ist. Am häufigsten betrifft die Veränderung das Hormon 21-Hydroxylase. Da das Enzym fehlerhaft ist, wird nicht genug oder gar kein Kortisol aus dem Vorläufer Cholesterin hergestellt. Dies führt zu einem dauerhaft niedrigen Kortisol- und Aldosteronspiegel, sodass die Produktion von ACTH (Adrenocorticotropin) immer weiter ansteigt. Dies führt zu einem Wachstum der Nebennierenrinde, welche sich stark vergrößert. Da die Vorläufer der Hormone trotz Allem zur Verfügung stehen, werden diese statt für die Produktion von Kortisol und Aldosteron für die Androgene verwendet, sodass ein Überschuss an männlichen Sexualhormonen entsteht.
Bei Mädchen* äußert sich der Mangel als eine Vermännlichung der Vulva, welche bereits vor der Geburt auftritt. Es zeigen sich eine vergrößerte Klitoris und veränderte, große Schamlippen, sodass sich insgesamt intersexuelle Organe bilden. Die Veränderung betrifft nur das äußere Genital, die inneren Geschlechtsorgane sind normal und funktionstüchtig. Bei Jungen* ist bis auf einen leicht vergrößerten Penis und einen dunkel gefärbten Hodensack meist alles unauffällig. Erst nach einigen Tagen kann, je nach Schweregrad, durch die Abwesenheit des Aldosterons ein Salzverlust und ein erhöhter Kaliumspiegel auftreten, was sich durch Gewichtsverlust und Trinkschwäche äußert. Die Beschwerden können lebensbedrohlich sein. Wird bei betroffenen Mädchen* keine Diagnose gestellt, kann auch bei ihnen der Salzverlust auftreten.

Beim nicht klassischen oder late-onset Adrenogenitalen Syndrom ist das Enzym nur leicht verändert, sodass zunächst alles normal erscheint. Erst später, während der Kindheit und Jugend, treten bei Mädchen* erhöhtes Wachstum, Akne, starke Behaarung und frühe Schambehaarung auf. Erwachsene Frauen* entwickeln einen unregelmäßigen Zyklus, was zu Problemen mit der Fruchtbarkeit führen kann. Bei Jungen* und Männern* treten keinerlei Symptome auf [4],[5],[6].

Wie wird das AGS diagnostiziert?

Die klassische Form fällt bei Mädchen* aufgrund der sehr offensichtlichen Veränderungen normalerweise sofort auf, sodass ein Bluttest vorgenommen wird. Bei Jungen* ist die Diagnose schwieriger, da keine offensichtlichen Veränderungen vorhanden sind. Da die Erkrankung lebensbedrohlich ist, wird in vielen europäischen Ländern im Rahmen des Neugeborenen-Screenings auch auf eine Veränderung des Gens für das verantwortliche Enzym 21-Hydroxylase getestet, sodass die Erkrankung erkannt und behandelt werden kann.

Bei late-onset AGS kann die Erkrankung ebenfalls im Screening entdeckt werden. Wird kein Screening vorgenommen, erfolgt dieses spätestens bei der Suche nach Gründen für eine Unfruchtbarkeit später im Leben oder falls anderweitige Symptome auftreten [7],[8].

Wie wird das AGS behandelt?

Die medikamentöse Behandlung des AGS und late-onset AGS ist im Grunde gleich. Die fehlenden Hormone müssen dem Körper durch Medikamenteneinnahme lebenslang zugeführt werden. Dies geschieht meistens zwei bis drei Mal am Tag per oraler Einnahme von Tabletten. Wichtig ist, dass bei jedem zusätzlichen Stress wie Infektionen, Operationen oder Unfällen die Dosis erhöht wird, um den Hormonbedarf des Körpers zu decken.

Behandlung für Kinder

Bei Mädchen* mit AGS wurde in der Vergangenheit traditionell je nach Schweregrad der Veränderungen eine Operation der äußeren Genitalien zwischen dem 2. und 6. Lebensmonat in einem speziellen Zentrum durchgeführt, um die spätere normale Funktion der Genitalien zu ermöglichen. Hierbei wird die Klitoris verkleinert und die verwachsenen Schamlippen werden voneinander getrennt. Gegebenenfalls wird die Scheidenöffnung korrigiert, falls sie deformiert sein sollte. Allerdings gibt es über die Operation an sich mittlerweile ethische Debatten und kritische Stimmen, da im Grunde intersexuelle Geschlechtsorgane vorliegen und das Kind selbst ja noch nicht entscheiden kann, ob es eine geschlechtsangleichende Operation überhaupt durchführen lassen möchte. Es gibt Argumente dafür, die Vulva so zu belassen, wie sie ist und die Entscheidung der Person später selbst zu überlassen. Im Endeffekt sollte das mit dem medizinischen Team besprochen werden, um Nutzen und Risiken individuell abzuwägen [9].

Behandlung für Erwachsene

Bei Erwachsenen sind die inneren Geschlechtsorgane zwar intakt, jedoch kann die Fruchtbarkeit je nach Schweregrad der Erkrankung vermindert sein. Gerade bei late-onset AGS können die Betroffenen sehr lange symptomfrei sein, sodass erst später im Leben auffällt, dass etwas nicht stimmt. Sollte die Fruchtbarkeit vermindert sein und es wird erst spät festgestellt, dass du an late-onset AGS leidest, so ist das dennoch behandelbar. Sollte es mit der Schwangerschaft nicht klappen, so sollte zunächst ein Endokrinologe*/eine Endokrinologin* aufgesucht werden, um die Hormonversorgung mithilfe von Medikamenten optimal einzustellen. Die Arztperson sollte auch die Schwangerschaft begleiten, um sicherzustellen, dass die hormonelle Einstellung noch stimmt. Da AGS eine genetisch bedingte Krankheit ist und damit vererbt wird, kann man davon ausgehen, dass das ungeborene Kind auch an der Erkrankung leidet. Daher ist es wichtig, bereits während der Schwangerschaft die Hormone zu überwachen und auch eventuelle Hormonmängel des Kindes zu beheben, um die Vermännlichung der Genitalien so gering wie möglich zu halten. Eine Zufuhr von Hormonen bei Föten, die keinen Hormonmangel aufweisen, kann zu schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Deformierungen führen. Daher sollte die Hormontherapie nur nach einer gründlichen Abwägung von Nutzen und Risiken erfolgen. Den Ausgleich eines vorliegenden Hormonmangels erreicht man mithilfe der Gabe der fehlenden Hormone, um die übermäßige Bildung der Androgene zu unterdrücken. Nachdem das Geschlecht zweifelsfrei festgestellt worden ist und falls es sich um einen Jungen* handelt, muss keine weitere Therapie des Kindes erfolgen. Sollte es sich um ein Kind mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen handeln, muss auf AGS getestet werden. Falls keine Merkmale für die Erkrankung zu finden sein sollten, wird die Therapie umgehend abgesetzt. Ansonsten wird die Medikamentengabe bis zur Geburt fortgeführt [10],[11].

Kurz und knapp zusammengefasst

Du siehst also, AGS ist leicht zu behandeln und bedeutet nicht, dass du gar keine Kinder bekommen kannst. Falls du den Verdacht hast, selbst daran erkrankt zu sein, solltest du dich umgehend testen lassen. Besonders, falls du einen unerfüllten Kinderwunsch hast, ist das eine gute Idee. Sofern sich der Verdacht bestätigt, solltest du einen Endokrinologen* oder eine Endokrinologin* aufsuchen, um dich behandeln zu lassen.

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Referenzen

  1. Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten. Nebenniere. https://www.internisten-im-netz.de/fachgebiete/hormone-stoffwechsel/hormondruesen-und-moegliche-erkrankungen/nebenniere.html. Abgerufen am 05.12.2022
  2. Megha, R., Wehrle, C. J., Kashyap, S., & Leslie, S. W. (2021). Anatomy, Abdomen and Pelvis, Adrenal Glands (Suprarenal Glands). StatPearls. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK482264/
  3. Dutt, M., Wehrle, C. J., & Jialal, I. (2022). Physiology, Adrenal Gland. StatPearls. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537260/
  4. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Adrenogenitales Syndrom. https://www.endokrinologie.net/krankheiten-androgenitales-syndrom.php. Abgerufen am 05.12.2022
  5. Arbeitsgruppe Pädiatrische Endokrinologie & Diabetologie Österreich. Adrenogenitalsyndrom. https://www.paediatrie.at/phocadownloadpap/Adrenogenital-Syndrom_-_Elterninformation_AGS_2006.pdf. Abgerufen am 05.12.2022
  6. Witchel, S. F. (2013). Non-classic congenital adrenal hyperplasia. Steroids, 78(8), 747–750. https://doi.org/10.1016/J.STEROIDS.2013.04.010
  7. Zentrum für Humangenetik und Laboratoriumsdiagnostik. Adrenogenitales Syndrom. https://www.medizinische-genetik.de/diagnostik/humangenetik/erkrankungen/syndrome/endokrinologische-erkrankungen/adrenogenitales-syndrom-ags. Abgerufen am 05.12.2022
  8. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Adrenogenitales Syndrom. https://www.endokrinologie.net/krankheiten-androgenitales-syndrom.php. Abgerufen am 05.12.2022
  9. Ärzteblatt 48/2012. Adrenogenitales Syndrom: Ethisches Dilemma einer Therapie. https://www.aerzteblatt.de/archiv/132946/Adrenogenitales-Syndrom-Ethisches-Dilemma-einer-Therapie. Abgerufen am 05.12.2022
  10. Bechtold, S., Pozza, D., & Leitlinienberaterin, A.-. (n.d.). Adrenogenitales Syndrom (AGS) im Kindes-und Jugendalter AWMF-Register-Nummer Nr. 174-003 Klasse: S1 Version 2.0 (Oktober 2021). http://www.paediatrische-endokrinologie.de/Tel:030/28046804Fax:030/28046806. Abgerufen am 05.12.2022
  11. Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen e.V. Informationsbroschüre Adrenogenitales Syndrom mit 21-Hydroxylase-Effekt (AGS). https://www.glandula-online.de/fileadmin/user_upload/Krankheitsbilder/AGS.pdf. Abgerufen am 05.12.2022

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