Ich möchte mit Dir heute erkunden, welchen Einfluss Pharmafirmen speziell auf die Forschung haben und wie Du Studien richtig interpretierst.
Alleine im Jahr 2019 erwirtschaftete der Weltpharmamarkt ca.1.007,44 Mrd. Euro und damit rund 3,2 % mehr als im Vorjahr. Europa, Japan und Nordamerika steuern beinahe dreiviertel des Gesamtumsatzes bei [1].
Während die USA auf Platz 1 der weltweiten Pharmamärkte ist, belegt Deutschland immerhin Platz 4 [1].
Pharmafirmen sind schlimmer als die Mafia, denn sie verursachen mit ihren Medikamenten mehr Tote. Diese gewagte These stellt der dänische Arzt Peter Gøtzsche in einem Interview auf [2].
Der Mediziner ist kein Unbekannter. Peter Gøtzsche arbeitete zunächst für Arzneimittelhersteller und wurde im Jahr 2016 in den Cochrane Vorstand gewählt. Zur Erklärung: Das internationale Forschungsnetzwerk Cochrane erstellt Übersichtsarbeiten, um die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung zu unterstützen [3].
Im Jahr 2018 schloss die Cochrane Collaboration ihn jedoch aus. Der damalige Co-Direktor von Cochrane Deutschland Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes führte das auf ein schlechtes Benehmen zurück. Peter Gøtzsche wäre unangemessen mit seinen Kollegen umgegangen und zeigte eine mangelnde diplomatische Kommunikation [4].
Andere vermuten eher, dass der Medizinforscher aufgrund seiner kritischen Haltung gehen musste. Er setzte sich wiederholt dafür ein, dass die gesamten Daten von klinischen Studien veröffentlicht werden. So deckte er mit seinen Kollegen beispielsweise auf, dass Daten zur Wirksamkeitsbeurteilung der HPV-Impfung bei der Veröffentlichung nicht berücksichtigt wurden [5].
Bedeutet das, dass Peter Gøtzsche in Wahrheit ein Whistleblower ist? Soweit würde ich nicht gehen. Der Mediziner hat uns jedoch gezeigt, dass sich ein genauer Blick auf die Forschungsergebnisse lohnt.
Jeder scheint eine ganz eigene Meinung zu Pharmafirmen zu haben. Während einige ihnen ein großes Vertrauen entgegenbringen, sehen sich andere mit Wut konfrontiert, wenn sie nur an große Pharmakonzerne denken.
Doch warum kämpfen Pharmakonzerne wiederholt mit ihrer äußeren Wahrnehmung? Damit hat sich das Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik beschäftigt. Es hat verschiedene Problemfelder herausgearbeitet.
Dazu zählen unter anderem:
Mit Sicherheit existieren ethische Konflikte oder Mängel, die gesamte Branche dafür zu verurteilen, wäre aber nicht gerecht. Schließlich besitzen die Pharmakonzerne im Vergleich zu anderen Industriebranchen einen besseren Ruf [7].
Allerdings agieren sie auf dem Markt mit Produkten, auf die Menschen zwar teilweise angewiesen sind, sie aber lieber nicht konsumieren würden. Im Gegensatz zu einem guten Buch oder dem Pastagericht im Lieblingsrestaurant stimmt die Entscheidung für das Produkt nicht glücklich. Genau aus diesem Grund werden Pharmafirmen nie die Beliebtheitsskala sprengen [7].
In den folgenden Abschnitten möchte ich Dir gerne zeigen, warum die Arbeit der Pharmakonzerne speziell für Endometriose-Patientinnen unverzichtbar ist.
Laut dem Leitlinienprogramm der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) stellt die hormonelle Therapie bei Endometriose eine wichtige Behandlungsoption dar.
Demnach sind sich die Experten einig, dass bei einer symptomatischen, medikamentösen Behandlung ein geeignetes Gestagen, z.B. Dienogest, als Erstliniensubstanz verordnet werden sollte [8].
In der Zweitlinientherapie greifen Mediziner auch auf kombinierte orale Kontrazeptiva, sprich die Pille, oder GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon) zurück [8].
Die hormonelle Behandlung soll nicht nur die Blutungsstärke verringern, sondern auch die Größe der Läsionen und die Schmerzen reduzieren [9].
Die Einnahme entsprechender Präparate wäre ohne die Pharmaindustrie nicht möglich.
Wissenschaftler konnten in den letzten Jahrzehnten viele Fragen rund um Endometriose beantworten. Doch noch immer gibt es viele Unklarheiten. Was sind die genauen Ursachen der Frauenkrankheit und wie lässt sie sich heilen?
Da es bis heute kein Medikament zur Heilung gibt, ist der Forschungsbedarf nach wie vor groß. Wenn Du aktuell nach dem Stichwort „Endometriosis“ in der Studiendatenbank PubMed suchst, bekommst du 30.649 Treffer. An vielen Fachartikeln sind auch Mitarbeiter von Pharmafirmen beteiligt [10].
Dazu zählt beispielsweise Dr. Andrea Wagenfeld. Sie arbeitet bei dem größten deutschen Pharmahersteller Bayer und übernimmt dort die klinische Forschung für Frauen [11].
Sie widmet ihre Arbeit den Krankheitsbildern polyzystisches Ovarsyndrom und Endometriose. Dr. Andrea Wagenfeld sucht dabei ganz konkret nach Biomarkern, also messbaren Parametern, die Informationen darüber geben, ob die Behandlung bei den gynäkologischen Krankheiten anschlägt [11].
Ganz konkret geht es hierbei um einen Modulator, der sich an den Progesteronrezeptor bindet. Das ist für Endometriose-Patientinnen deshalb so interessant, weil Progesteron das Wachstum des Endometriums (Gebärmutterschleimhaut) hemmen kann [12].
Die Forschung der Pharmafirmen trägt somit zur Grundlagenforschung und Therapieentwicklung bei.
Die Pharmafirmen leisten also einen wichtigen Beitrag. Trotzdem haben sie, wie jeder Mensch und jede Firma, Interessenskonflikte, die sich nicht von der Hand weisen lassen. Daher sollte man sie weder verteufeln, noch ihnen blindes Vertrauen schenken. Die wichtige Arbeit der Pharmakonzerne sollte man also einfach immer zusätzlich auch im Kontext zu ihren Interessen betrachten. Augen auf bei der Quellenarbeit.
Nicht nur mit dem eigentlichen Forschungsinhalt interpretierst Du Studien richtig, sondern auch mit Randinformationen zum Autor und möglichen Interessenkonflikten.
Lass uns gemeinsam entdecken, wie Du Studien umfassend beurteilen kannst.
Noch bevor Du anfängst, die eigentliche Studie zu lesen, solltest Du einen kritischen Blick auf die beteiligten Autoren werfen. Welche Qualifikation besitzen sie, um die Studie durchzuführen? In einigen Fällen ist bei dem Namen direkt ein Link zum Lebenslauf hinterlegt. Ansonsten kannst Du Dich mithilfe der Suchmaschine über die Person informieren. Interessant ist auch, ob der Autor bereits mehrere Studien durchgeführt hat und welche Themen dort behandelt wurden. Gerade, wenn mehrere Personen an einer Studie beteiligt sind, macht die Recherche ein wenig Mühe – bleib dran, es lohnt sich, denn so erfährst Du mehr über den Background.
Die angegebenen Interessenkonflikte sind besonders interessant, denn sie decken spannende Zusammenhänge auf. Doch was ist ein Interessenkonflikt überhaupt? Bereits im Jahr 1994 definierte Dennis F. Thompson die Bezeichnung im New England Journal of Medicine mit folgenden Worten (ins Deutsche übersetzt):
„Ein Interessenkonflikt ist eine bestimmte Konstellation, unter der ein professionelles Urteil über ein primäres Interesse (wie das Wohlergehen eines Patienten oder die Gültigkeit der Forschung) tendenziell unangemessen durch ein sekundäres Interesse (wie z. B. finanziellen Gewinn) beeinflusst wird.“ [13]
Beispiele für finanzielle Interessenkonflikte:
Beispiele für nichtfinanzielle Interessenkonflikte:
Interessenkonflikte können die Ergebnisse bzw. die Interpretation von Studienergebnissen verzerren. Allerdings ist das nicht zwangsläufig der Fall. Daher lohnt es sich, den Interessenkonflikt genau zu hinterfragen. Der Faktor „bezahlter Berater“ ist unter Umständen kritischer als eine Tätigkeit in einer wissenschaftlichen Gesellschaft.
Passen die Ergebnisse in die sonstige Forschungsliteratur? Ist die Methodik sauber? Gibt es vielleicht andere Gründe für die Ergebnisse außerhalb des Medikaments, also Verzerrungen, die dazu geführt haben? Existieren vielleicht unabhängige Studien zum gleichen Thema oder gleichem Medikament?
Studien können ganz unterschiedlich aufgebaut sein. Zunächst ist es wichtig, dass Du herausfindest, welches Studiendesign gewählt wurde. Das entscheidet nämlich ganz maßgeblich darüber, wie aussagekräftig, qualitativ und glaubwürdig eine Studie ist. Bereits vor dem Beginn der Studie muss der Studientyp als Element des Studiendesigns festgeschrieben sein.
Wissenschaftler unterscheiden in der Medizinforschung grundsätzlich die Primärforschung von der Sekundärforschung. Die Primärforschung hat die Aufgabe, die eigentliche Studie durchzuführen. In der Sekundärforschung beleuchten Experten bereits vorhandene Studienergebnisse und fassen sie in Metaanalysen oder Reviews zusammen.
Egal, ob im Rahmen der Primärforschung eine Grundlagenforschung, eine klinische oder epidemiologische Forschung erfolgt, die Wahl der Studiengruppe ist besonders wichtig.
Folgende Fragen helfen Dir dabei, die Wertigkeit der Studien zu beurteilen:
Experten unterscheiden die einfache von der doppelten Verblindung. Der Patient hat bei der einfachen Verblindung keine Kenntnis darüber, welche Therapie er erhält. Bei der doppelten Verblindung weiß selbst der Untersucher nicht, welche Behandlung angesetzt ist. Am besten wird die größtmögliche Verblindung gewählt, um Verzerrungen zu vermeiden.
Pharmafirmen haben natürlich ein wirtschaftliches Interesse daran, dass ihre Produkte gekauft und konsumiert werden. Sie stecken deshalb Milliarden in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente sowie Therapieverfahren. Dadurch, dass sie über ein riesiges Budget und politische Verknüpfungen verfügen, beeinflussen sie auch die Forschung maßgeblich.
Nicht selten werden sie bezichtigt, ethische Grundsätze zu brechen oder bewusst Statistiken zu verschönern. Allerdings trifft das nicht auf die gesamte Pharmabranche zu. Die massiven Investitionen bringen die Forschung auch voran.
Allerdings ist ein kritischer Blick auf die Studien durchaus angebracht. Ich empfehle Dir, Dich sowohl mit der Durchführung der Studie als auch mit den womöglich vorliegenden Interessenskonflikten und den Autoren selbst zu beschäftigen. Auf diese Weise kannst Du wertvolle Studien heranziehen und verzerrte Studienergebnisse links liegen lassen.
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