Endometriose an den Beckennerven: Ein Interview mit Prof. Ibrahim Alkatout

Heute spreche ich mit Prof. Ibrahim Alkatout über Fragen rund um das Thema Endometriose an den Beckennerven.

Dr. Nadine Rohloff: Ich freue mich sehr, heute hier mit Professor Alkatout zu sein. Heute geht es um das Thema Endometriose an den Beckennerven und um die Beckennerven herum. Ich freue mich sehr, dass wir hier einen absoluten Experten bei uns haben. Vielleicht magst du dich ganz kurz vorstellen.

Prof. Ibrahim Alkatout: Gerne. Vielen Dank, Nadine, für die freundliche Einführung. Mein Name ist Ibrahim Alkatout. Ich bin 44 Jahre alt und bin seit 17 Jahren ärztlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Ich war in der Pathologie, ich war in der Allgemeinchirurgie und bin seit 14 Jahren in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe. Ich mache seit 14 Jahren auch minimalinvasive Chirurgie und arbeite in einem Team in der Endometriose-Sprechstunde und in unserem Level III Endometriosezentrum. Seit einigen Jahren, also fast schon zehn Jahren, beschäftige ich mich sehr intensiv wissenschaftlich und klinisch mit der Anatomie des Beckens und hier insbesondere mit den Beckennerven. Ich bin dann sukzessive über die Anatomie und die Verbindung zur Klinik in die Pathologie eingestiegen, also in die krankhafte Veränderung in Assoziation mit den Beckennerven und das ist jetzt einer unserer Kieler Schwerpunkte geworden.

Dr. Nadine Rohloff: Ja, wunderbar, auch einer von wenigen. Jetzt fangen wir einmal ganz vorne an. Was machen denn die Beckennerven? Was kann man sich genau darunter vorstellen? Wo sind die, und was machen die genau?

Prof. Ibrahim Alkatout: Die sogenannten Beckennerven muss man eigentlich noch weiter aufteilen und differenzieren. Es gibt zwei Hauptunterpunkte. Es gibt die sogenannten somatischen Nerven. Das sind die Nervenanteile, die aus dem Rückenmark als Nervenfasern und dann als Nerven zum Beispiel ins Bein ziehen und für die Bewegung des Beines zuständig sind. In der Schulter ziehen sie in den Arm und sind für die Bewegung des Armes zuständig. Das heißt, ein somatischer Nerv hat immer einen Ursprung und ein Endorgan und das Endorgan ist hauptsächlich die Muskulatur. So kann man sich das merken. Diese somatischen Nerven beeinflusst jeder Mensch selber willentlich, der sagt: „Ich möchte meine Faust anheben oder ich möchte sie absenken“. Das ist eine ganz absichtliche Bewegung und für diese Bewegung brauche ich Nerven. Diese Nerven kann ich selbst steuern und das nennt man eine willkürliche Bewegung durch einen somatischen Nerv. Diese Nerven laufen auch durch das Becken.

Jetzt gibt es aber auch noch einen zweiten Teil von Nerven, die anatomisch im Becken aufzufinden sind und das sind die sogenannten unwillkürlichen Nerven. Wir nennen die in unserer Fachsprache autonome Nerven. Wie das Wort schon mit sich bringt, sind diese Nerven mehr oder weniger unwillkürlich aktiv. Das heißt, die bewegen sich, die agieren, ohne dass wir das persönlich willentlich absichtlich steuern können. Ein gutes Beispiel ist der Darm. Der Darm bewegt sich und tut das Tag und Nacht, nachdem wir etwas gegessen haben, ohne dass wir etwas gegessen haben, ohne dass wir ihm immer sagen müssen, dass er sich doch endlich bewegen soll und die Nahrung von A nach B transportieren soll. Er macht das einfach. Eine andere unwillkürliche Nervenbeeinflussung ist beispielsweise die Füllung der Harnblase. Wenn die Harnblase mit Urin gefüllt ist, gibt sie ab einer bestimmten Urinmenge ein Signal an das Gehirn und sagt: „Mensch, da unten ist jetzt aber relativ viel Urin drin, such doch einmal die nächste Toilette auf”, und wenn du die nächste Toilette aufgesucht hast, dann setzt du dich hin. Wenn du dich dann entspannst, dann läuft der Urin erst einmal von alleine. Ich kann zwar dann noch absichtlich versuchen, diese Bewegung zu stärken und zu intensivieren. Es gibt also auch dort noch willkürliche Nervenanteile oder Muskelanteile, die diese Bewegung unterstützen. Aber der eigentliche Mechanismus läuft ohne dass wir es absichtlich beeinflussen können ab. Ein weiterer unwillkürlicher Nerv ist beispielsweise die Steuerung des Herzschlags. Kein Mensch muss 80, 90 Mal in der Minute daran denken, dass das Herz jetzt schlagen muss, sondern er macht das von ganz alleine.

Diese beiden grundsätzlichen unterschiedlichen Nervensysteme haben wir auch im Becken. Man kann das jetzt noch weiter unterteilen, dass dieses unwillkürliche Nervensystem, das autonome Nervensystem, vor allem für die Eingeweide zuständig ist, und die Eingeweide im Becken sind die Harnblase, ganz vorne gelegen, ist die Gebärmutter und die Vagina, bei der Frau in der Mitte gelegen, und der Darm mit seinem Darmausgang, dem Enddarm, ganz hinten im Becken gelegen. Die absichtlichen Nervenbewegungen, die somatischen, sind hauptsächlich Fasern, die durch das Becken laufen und dann beispielsweise in die beiden Beine einmünden, um dort den aufrechten Gang oder die Gesäßmuskulatur hinten im Becken zu steuern, dass diese Muskeln vor allem in einem Gleichgewicht funktionieren, dass wir gehen, stehen und sitzen können.

Über Prof. Ibrahim Alkatout

Prof. Ibrahim Alkatout ist seit 17 Jahren ärztlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Er war in der Pathologie und in der Allgemeinchirurgie und ist seit 14 Jahren in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. Gemeinsam mit seinem Team arbeitet er in der Endometriose-Sprechstunde und im Level III Endometriosezentrum. Seit knapp 10 Jahren beschäftigt sich Prof. Alkatout intensiv wissenschaftlich und klinisch mit der Anatomie des Beckens und den Beckennerven. Er ist in die krankhafte Veränderung in Assoziation mit den Beckennerven eingestiegen, was mittlerweile einer der Schwerpunkte in der Klinik geworden ist.

Dr. Nadine Rohloff: Vielen Dank für diese sehr verständliche Erklärung. Das heißt letztendlich, dass Endometriose an den Beckennerven verschiedene Bereiche oder verschiedene Nerven betreffen kann. Es ist nicht die eine Beckennervenendometriose. Wie wirkt sich das denn aus, wenn diese Nerven betroffen sind? Was sind das für Symptome, die auftreten können?

Prof. Ibrahim Alkatout: Wenn wir die Veränderung der Beckennerven mit Endometriose in Verbindung bringen, dann bewegen wir uns auf einem Gebiet, wo wir, auch wenn wir viel Erfahrung damit haben und auch in Zentren arbeiten und alle bildgebenden Möglichkeiten zur Verfügung haben, uns häufig sehr schwer tun. Es gibt sehr viele Fälle, wo wir nur vermuten können, dass die Beckennerven beteiligt sind oder beteiligt sein könnten. Manchmal können wir gar nicht so richtig unterscheiden, welche Nervenanteile eine Beteiligung haben und ob diese Beteiligung nur durch eine Endemetriose bedingt ist oder möglicherweise bei vielen Frauen, die schon voroperiert sind, die Voroperation und eine Verwachsungssituation damit vergesellschaftet ist. Es gibt ganz viele Situationen, wo wir klare Verbindungen zu einer Beckennervenschädigung oder einer Veränderung haben, aber keinen organischen Grund finden. Wir finden keine Endometriose. Da muss man sagen, dass ganz viele Frauen, die unter einer chronischen Endometriose, chronischen Unterbauchschmerzen leiden, natürlich auch als Reaktion, als Folge, als Co-Reaktion beispielsweise, ähnliche Beschwerden wie Bandscheibenprobleme oder Probleme, die den Ischiadicus-Nerv befallen haben oder die Gelenke im Becken befallen. All diese können in den Rücken ausstrahlen und können natürlich auch in den Unterbauch ausstrahlen und eine Veränderung der Beckennerven mehr oder weniger simulieren. Das heißt, dass wir eine aktive, richtige, nachweisbare Beteiligung von Beckennerven haben können. Das wären auch Fälle, wo wir ganz optimistisch sagen können: „Ja, wir haben hier einen Grund. Dieser Grund könnte den Großteil Ihrer Beschwerden erklären, vielleicht sogar alle und wir können das beheben. Wir haben ein Ziel, das wir operativ, medikamentös angreifen und uns als Ziel vornehmen.“ In vielen Fällen müssen wir aber sagen, dass wir Symptome oder Beschwerden haben, die wirklich zu so einem Problem passen könnten. Wir müssen aber zugeben, dass wir nichts gefunden haben, weder in der Bildgebung und in vielen Situationen auch operativ. Das sind wirklich die großen Herausforderungen für uns, wo wir auch ganz oft an unserem eigenen Limit angekommen sind und sagen: „Wir haben diese Erkrankung der Endometriose in ihrer Breite, in ihrem Charakter als Chamäleon, immer noch nicht genug durchdrungen.“

Dr. Nadine Rohloff: Das verstehe ich. Das ist natürlich sehr schwierig. Wenn man jetzt davon ausgeht, was typische Fälle sind, wo wirklich eine aktive Endometriose gefunden wurde. Was wären das für Symptome, die typisch gewesen wären und ihr denkt, dass das eine aktive Situation ist? Kannst du da ein Beispiel nennen, damit man das ein bisschen besser greifen kann?

Prof. Ibrahim Alkatout: Am eindrücklichsten sind natürlich die Beispiele, wo wir sagen: „Wir haben eine neuronale Veränderung, also eine auf einen Nervenschaden zurückzuführende Erkrankungssituation, und einen Nachweis einer Endometriose.“ Zum Beispiel im Ultraschall oder noch differenzierter im MRT. Wir machen ein MRT, weil wir uns unsicher sind. Im MRT wird dann beispielsweise ein Endometrioseknoten gefunden, der ganz tief, fast schon auf dem Knochen des Beckens und dort ganz nahe an den Austrittszonen der Nerven sitzt. Wenn wir dann sehen können, dass eine Änderung der Muskulatur oder des Empfindens genau in dem Strahlgebiet dieses Nerven vorliegt, dann sagt man: „Mensch, da sitzt etwas und das kann man relativ klar definieren.“ Dort wissen wir dann auch, dass wir diesen Punkt auch in einer Operation und einer Intervention adressieren müssen. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, dass wir sagen: „Wir gucken hinein und sehen nichts oder machen nur das, was wir immer machen oder was wir können.“ Wir müssen uns im Vorfeld klar machen, dass das ein herausfordernder Fall ist. Der muss von einem Team operiert werden, das sich damit auskennt, das solche Operationen und auch mögliche Komplikationen beherrscht. Das muss ich in der Form ernst nehmen. Das wäre so ein Beispiel. Sehr viel schwieriger ist es, wenn das so verschwommen ist. Es ist ganz häufig verschwommen, wenn es nicht dieses somatische Nervensystem, sondern die Beckennerven befällt, die die Eingeweideorgane versorgen. Denn da mischen sich die Nerven noch einmal. Sie mischen sich in der Nähe der Organe, die mischen sich von links nach rechts. Da haben wir oft sehr große Schwierigkeiten zu sagen, dass ich einen Befund habe, den ich eins zu eins zuordnen kann und wenn ich den entfernt habe, habe ich das Problem gelöst.

Dr. Nadine Rohloff: Gerade bei den somatischen Symptomen, was jetzt die Blasenfüllung, Schmerzen bei der Blasenentleerung angeht oder aber auch Verdauungsprobleme, hat man auch häufig bei der Endometriose Symptome, dass man das wahrscheinlich gar nicht mehr so einfach sagen kann. Zum Beispiel können betroffene Nerven bis in die Wade ausstrahlen. Wir haben häufig diese ausstrahlenden Schmerzen in die Beine, die beschrieben werden. Das ist vielleicht einfacher zuzuordnen, als wenn man sagt, man habe Schmerzen bei der Blasenfüllung. Da kann die Endometriose ganz woanders sitzen oder sogar etwas ganz anderes sein.

Prof. Ibrahim Alkatout: Genau. Wenn wir jetzt einmal das Symptom ‚Schmerzen in der Wade‘ nehmen und dann äußert die Patientin noch eine starke Zugehörigkeit zum Menstruationszyklus. Da gehen schon alle Alarmglocken hoch, dass sie starke Schmerzen während der Menstruation hat. In den allermeisten Fällen ist das nicht nur in der Wade, sondern ist die Wade ein sehr befremdlicher Ort, an dem diese Beschwerden auftreten. In den allermeisten Fällen berichten die Frauen, dass sie schon seit der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter immer wieder auftretende Beschwerden während der Regel haben, die dann wandern oder an einer bisher unbekannten Stelle auftreten. Für viele Frauen ist das befremdlich und sie können es nicht zuordnen.

Wenn sie sich in Foren oder mit anderen Patienten oder in der Selbsthilfegruppe austauschen, finden sie kaum jemanden, der sagt: „Na klar, das kommt mir bekannt vor, das kenne ich auch.“ Dann wird es umso schwieriger, sich selbst nicht als Kolibri zu fühlen, sondern zu sagen, dass das immer noch in dieses Erkrankungsbild passt. Für die Diagnostik ist es aber auch schwierig. Denn in der Diagnostik sind wir dann darauf angewiesen, dass wir uns nicht nur mit dem anatomischen Bereich befassen, indem wir uns sowieso auskennen, also im Becken und dann sagen, dass wir über den Tellerrand nach vorne hinaus zur Harnblase, zum Harnleiter, zu den Nieren gucken. Wir gucken über den Tellerand nach hinten hinaus zum Darm und zum Enddarm, sondern wir müssen dann auch noch Körperbereiche genau untersuchen und auch in der Untersuchung genau für einen möglichen Eingriff bestimmen, in denen wir als Gynäkologen und auch sonst niemand nicht zu Hause sind. Das bedeutet beim Beispiel Wade, dass wir in diesem Fall eine neurologische Untersuchung brauchen. Das heißt, wir müssen neurologisch versuchen, diesen Schmerz zuzuordnen. Dann müssen wir noch abstecken, ob der Schmerz alleine da ist oder ob noch eine Beeinflussung in dem Empfinden der Haut besteht. Besteht eine Beeinflussung im Tiefenempfinden des Beines? Besteht vielleicht sogar eine Beeinträchtigung in der Bewegung? Ist vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle die Muskulatur beeinträchtigt? Das ist etwas, wo wir als Gynäkologen in einem Grenzbereich sind, indem wir uns nicht so wohl fühlen und dann dazu neigen, dass wir es vielleicht auch nicht so systematisch untersuchen, wie wir es im Unterbauch machen. Wenn man aber damit zum Neurologen geht, dann sagt er, dass er zwar eine neurologische Untersuchung machen kann, aber das dass, was wir ihm erzählen, Quatsch sei. Das hat ein Neurologe im Zweifel noch nie gehört und wird es auch nie wieder hören und kann das in keine Verbindung bringen. Ohne das er es absichtlich macht oder ein schlechter Neurologe sein muss, kann es sein, dass er vollkommen an dem eigentlichen Befund vorbei arbeitet.

Dr. Nadine Rohloff: Weil sie natürlich nach den typischen Gründen für solche Beschwerden suchen. Du hast gerade schon die Diagnostik angesprochen. Das ist ja nicht so einfach. Was gehört neben neurologischen Untersuchungen noch zum normalen diagnostischen Verlauf, wenn man kommt und ihr denkt, dass das etwas an den Backennerven sein könnte?

Prof. Ibrahim Alkatout: Im Prinzip ändert sich die Diagnose nicht wesentlich von einer anderen Endometriosepatientin, denn das Gespräch bleibt am allerwichtigsten. Es gibt kaum eine Patientin, die sagt, dass sie hier ein neurologisches Problem hat und sonst gar nichts. Da wäre ein guter Neurologe eigentlich der bessere Diagnostiker. In den allermeisten Fällen ist es eine arge Kombination, die das dann auch zum komplexen und zum ganzheitlichen Krankheitsgeschehen macht. Dafür brauchen wir Zeit, Zeit für ein Gespräch, Zeit auch dafür, dass durch die richtigen Fragen die Patientinnen selbst zu den richtigen Antworten kommen und das eingrenzen können und auch dadurch ihren persönlichen Leidensdruck herausarbeiten können. Was belastet mich überhaupt an dem, was ich möglicherweise habe? Wo bin ich durch meine Erkrankung in meiner Lebensqualität beeinträchtigt? Das ist sehr unterschiedlich und wirklich sehr individuell. Wie lange habe ich das schon? Was habe ich selbst schon versucht? Was bin ich bereit, zu riskieren? Was bin ich bereit, zu akzeptieren? Deswegen glaube ich, dass man sicherlich 70 Prozent alleine über Gespräche schon herauskristallisieren kann. Das ist aber nur eine grobe Zahl. Dann kommt eine normale gynäkologische Untersuchung, die in den allermeisten Fällen die Verdachtsdiagnose erhärtet oder das, was sich im Gespräch schon angekündigt hat oder es verwirft. Das ist unheimlich wichtig, dass man das auch selbst akzeptiert. Wenn wir dort nach wie vor unsicher sind, dass wir sagen, dass wir auch mit modernster Ultraschalltechnik nicht näher an das Ziel herankommen, dann können wir als zusätzliche bildgebende Maßnahme ein MRT machen. Gerade ein hochauflösendes MRT erlaubt noch einmal in den tiefen Regionen eine ganz gute differenzierte Darstellung von möglichem Befall, aber vor allem auch den Ausschluss eines schweren Befalls. Den Ausschluss einer schweren Endometriose, die beispielsweise auch das Rückenmark oder den Abgang der Nerven aus dem Rückenmark befällt. Das sind Regionen, wo man das in den allermeisten Fällen mit dem Ultraschall allein nicht ausreichend sicher bestimmen kann. Dann gehen wir weiter und assoziieren das mit unserem neurologischen Erhebungsstatus. Den übernehmen wir aus einer neurologischen Basisuntersuchung. Das ist in den allermeisten Fällen eine neurologische Untersuchung, die ohne zusätzliche Hilfsmittel möglich ist und die das wirklich gut eingrenzen kann.

Dr. Nadine Rohloff: Wir haben jetzt hier eine Frage von einer Betroffenen, die sagt, dass sie ständig Schmerzen in den Beinen hat, aber das MRT unauffällig war. Du hast gerade gesagt, dass das hoch auflösende MRT gut darin ist, schwere Verläufe auszuschließen, beziehungsweise schweren Befall. Was würdest du dazu sagen? Kann man das mit dem MRT tatsächlich ausschließen? Oder würdest du eher sagen, dass man den großen Befall sozusagen ausschließen kann?

Prof. Ibrahim Alkatout: Wenn jetzt dort ein schwerer zystischer Befund von größerem Ausmaß ist oder auch eine schwere Narbe oder eine innere Krampfader, die in dieser Region auch auf die Nerven drücken kann, dann würde das ein MRT im Groben sehen. Man muss aber dazu sagen, dass das MRT, und das wird auch häufig überschätzt, auch eine Lernkurve erfordert. Nicht jeder Radiologe ist ein Experte für Gynäkoradiologie. Und nicht jeder gute Radiologe kann im weiblichen Unterbauch für diese spezielle Fragestellung auf diesem Niveau auch Antworten geben. Das heißt, dass die Radiologen eigentlich die Gynäkoradiologie parallel mit lernen müssen. Da gibt es nur ganz wenige radiologische Zentren, die bereit sind, diesen Weg zu gehen. In der Niederlassung, in radiologischen Praxen, ist es noch viel schwieriger, weil auch dort die Qualität der MRTs meistens nur so hochgefahren wird, dass es dort abrechnungsrelevant nicht zum Verlustgeschäft kommt. In den Zentren ist es so, dass man fast nur diese hochauflösenden, aufwendigen MRTs macht. Wir machen die mit Kontrastmittel über den Darm oder die Vagina. Das sind sehr aufwendige Sequenzen, die gefahren werden. Die kann man fast nur in Studienkonzepten durchführen. Wir haben das selber in einer eigenen Kohorte wissenschaftlich untersucht, dass die Radiologen über 50 Fälle brauchen, um auch in der Beurteilung eines MRTs eine fundierte, zuverlässige Aussage zu treffen.

Dr. Nadine Rohloff: Das wäre ein ganz wichtiger Punkt. MRT ist nicht MRT und Radiologe ist nicht gleich Radiologe, wie es mit den Gynäkologen in den Zentren auch ist. Also, für die Diagnostik sollte man gerne in ein Zentrum gehen. Auch für die Therapie und das trifft gerade bei den Beckennerven noch einmal mehr zu, sollte man wirklich auch in ein Zentrum gehen, das sich damit auskennt. Was macht ihr denn für Therapien und warum würdest du sagen, dass es vielleicht noch einmal wichtiger ist, bei der Endometriose sowieso, aber auch gerade bei den Beckennerven, die betroffen sind, in ein Zentrum zu gehen, wo das häufig operiert wird?

Prof. Ibrahim Alkatout: Die Endometriose wird nach wie vor in ihrem Dasein unterschätzt. Von der Phase der ersten Probleme, dem Auftreten klarer Symptome bis zum Erkennen der Endometriose, vergehen in Deutschland nach wie vor viele Jahre, die für viele Frauen einen hohen Leidensdruck bedeuten und wirklich für manche grauenhaftes Verschenken von Lebensqualität und Lebenszeit ist. Wenn wir jetzt über eine milde Endometriose hinaus noch eine schwere Endometriose mit Beteiligung von Nervenstrukturen haben, dann ist das auch im Erkrankungsausmaß wirklich komplex. Was wir sehr häufig sehen, ist, dass trotzdem ganz viele Kliniken diese Patientinnen operieren. Wenn das dann zu einer dauerhaften Besserung kommt, dann ist das Konzept richtig. Je nachdem plus-minus einer hormonellen oder einer ganzheitlichen Therapie nach einer oder vor und nach einer Operation. Wir sehen aber viele Fälle, wo das eben nicht funktioniert. Es ist nicht so, dass bei uns alle Fälle gut funktionieren. Aber, wenn wir ein komplexes Erkrankungsbild haben, das ein komplexes operatives oder ganzheitliches Management erfordert, dann finde ich schon, dass wir dem einen ähnlichen Stellenwert geben sollten wie beispielsweise den Mindestmengen in der Onkologie. Dass wir einfach versuchen sicherzustellen, dass das Behandlungsteam, das sich um diese Patientinnen kümmert, das auch inklusive der möglicherweise auftretenden Komplikationen souverän lösen kann. Bei uns ist es so, dass wir in unserem Team mehrere Leute haben, die wirklich über Jahre höchst ausgebildet wurden und die auch in der minimal invasiven Chirurgie den höchsten Akkreditierungsgrad haben. Wir haben die Möglichkeit, dass wir zwischen der konventionellen Laparoskopie, also der Bauchspiegelung, auch roboterunterstützte Operationsverfahren anwenden können, die wir auch ebenfalls aus universitären Studienkonzepten ohne finanzielle zusätzliche Kosten für alle Patientinnen, die es benötigen, zur Verfügung stellen. Damit haben wir moderne, hochtechnisierte Operationsmöglichkeiten und die höchstmögliche Chance einen dauerhaften Nutzen für unsere Patientinnen zu gewährleisten. Das Ungünstigste, was passieren kann, ist hier ein Beispiel. Wir haben also einen Befall der Beckennerven. Diese Nerven verlaufen um die Gebärmutter herum. Dann wird die Gebärmutter herausgenommen, weil auch die Gebärmutter einen Erkrankungswert hat. Aber die eigentlich belastenden Herde verbleiben darin, weil sie an einer schwer zugänglichen anatomischen Stelle sind, wo möglicherweise die operative Expertise fehlt und wo auch das Komplikationsrisiko nicht getragen werden kann. Es gibt auch ganz andere Gründe. Die Patientin war nicht richtig aufgeklärt oder wie auch immer. Jede Folgeoperation oder jede Folgetherapie nach einer missglückten Primärtherapie geht ganz klar zu Lasten der körperlichen Integrität der Patientin und damit auch zu Lasten ihrer Lebensqualität. Da versuchen wir durch die Zentrumsbildung und durch die unterschiedliche Levelklassifizierung der Endometriosezentren einen gemeinsamen Nenner zu finden, um zu sagen, dass wir das garantieren können. Wir sind nach wie vor daran, dieses Niveau sukzessive nach oben zu heben.

Dr. Nadine Rohloff: Wir bekommen häufig die Frage: „Wo kann ich Neuropelveologen finden?“ Das heißt, du würdest sagen, dass große Endometriosezentren häufig eine gute Adresse sind. Aber man findet nicht so viel, wenn man nach Neuropelveologie googelt. Wir bekommen viele Anfragen, die fragen: „Wo kann ich denn hingehen?“

Prof. Ibrahim Alkatout: Das kann ich vielleicht zum Abschluss auch noch einmal etwas ausführlicher beschreiben. Neuropelveologen ist ein Begriff, den eine Person persönlich geprägt hat, und das ist der Professor Possover. Jeder, der Neuropäviologie googelt und der sich mit dieser Thematik beschäftigt, kommt an Mark Possover nicht vorbei. Der sitzt in Zürich und hat ein eigenes Institut und macht sicherlich weltweit die allerbeste neuropelveologische Versorgung von erkrankten Frauen, auch von erkrankten Männern, aber hinsichtlich der Endometriose von erkrankten Frauen. Aber nicht jede Patientin kann sich in Zürich behandeln lassen, aus ganz unterschiedlichen Gründen, weil es einfach zu viele sind und auch, weil der Professor Possover seine Arbeit nicht im deutschen Gesundheitssystem finanziert bekommt und damit in ein privates Gesundheitssystem der Schweiz ausweichen musste. Das heißt, dass dieses private Setting auch für viele Patientinnen ein finanzielles Handycap ist. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass eine komplexe neurologische Symptomatik einer Endometriosepatientin aus meiner Sicht weltweit in Zürich bei Mark Possover am besten aufgehoben ist. Da aber nicht alle dort hin können und er auch nicht alle behandeln kann, hat er ebenso wie wir auch Kurse in minimal invasiver Chirurgie. Er hat ein eigenes Institut gegründet, das ISON, das weltweit erfahrene Ärztinnen und Ärzte in der Neuropelveology schult. Da kann man nachgucken, wer dort von ihm zertifiziert und geschult ist. Davon gibt es in Deutschland einige wenige, aber es gibt welche, und die sind, glaube ich, alle an großen Endometriosezentren assoziiert. Dort besteht sicherlich die größte Wahrscheinlichkeit, dass man hier adäquat beraten und behandelt wird. Bei uns ist es so, dass wir gar keine Hemmung haben, bei manchen wirklich komplexen Fällen zu sagen: „Wissen Sie was? Überlegen Sie sich noch einmal, dass Sie zumindest zu einer ausreichend intensiven Diagnostik in die Schweiz fahren und hier noch einmal eine private Vorstellung in Erwägung ziehen.“ Es geht um viel. Es geht auch darum, dass bei einem schweren Befall, einer entsprechend komplexen Operation, die Komplikationen so gravierend sein können, dass man das an der Stelle auch nicht mehr mit Geld aufwiegen kann. Dieses Dilemma ist nach wie vor ungelöst und deswegen ist es so wertvoll, dass jemand sagt, dass ich das kann. Ich habe mich als einziger und erster weltweit damit befasst. Ich habe mir jetzt ein wirklich herausragendes Wissen angeeignet, das ich wissenschaftlich überprüft und verifiziert habe und dieses Wissen bin ich bereit, mit entsprechenden Experten zu teilen, dass die dann auch von meiner jahrzehntelangen Expertise profitieren. Das ist, glaube ich, zukunftsträchtig, aber unter dem Strich ist es so, dass der Bedarf an einer neuropeveologischen Beratung größer ist, als das Angebot und es auch nicht einfach ist, zu einer adäquaten Beratungsstelle Zugang zu finden.

Dr. Nadine Rohloff: Aber so kann man schon einmal gucken. Das ist schon einmal gut. Jetzt waren wir bei der OP. Wir haben auch die Frage bekommen, ob man bei der Rehaklinik besondere Dinge beachten soll. Gibt es ist bei der Reha für Endometriose und für endometriose Beckennerven eine Unterscheidung? Gibt es etwas, worauf man bei der Auswahl der Reha achten sollte oder auch vielleicht bei den Übungen, die man macht?

Prof. Ibrahim Alkatout: Unbedingt. Die Rehabilitation ist ein ganz wesentlicher Baustein des ganzheitlichen Konzepts der Endometriosebehandlung. Wir haben das Glück, dass es in Schleswig-Holstein zwei von, glaube ich, deutschlandweit insgesamt nur fünf zertifizierten Endometriose Rehabilitationseinrichtungen gibt. Die sind in Ratzeburg und in Bad Schwartau. Das sind herausragende Einrichtungen, die wir immer nur empfehlen können, wo sehr viel Wert darauf gelegt wird, jede Patientin individuell wahrzunehmen und für jede Patientin auch individuelle, nachhaltige Konzepte zu entwickeln. Das geht über Ernährung, es geht über Verhalten, das geht auch über ganzheitliche psychosomatische Ansätze, es geht über medikamentöse Ansätze. Dort wird sehr viel integriert, sodass eigentlich, ich würde sagen, weit über 90 Prozent unserer Patientinnen, die dort waren, wirklich im Nachhinein sagen können, dass sie dort vor Ort durch deren Management ganz wesentlich an ihrer Endometrioseerkrankung eine Stellschraube gefunden haben, an der sie selbstständig, langfristig und nachhaltig arbeiten können.

Dr. Nadine Rohloff: Das ist super. Ich glaube, dass die richtigen Endometrioserehas generell recht individuell sind. Das heißt, da wird wirklich individuell darauf eingegangen und man findet da auch eine gute Begleitung. Wir sind ungefähr am Ende, doch eine Frage habe ich noch. Gibt es noch einen Tipp, den du allen Endometriose-Betroffenen, die jetzt zuhören, ans Herz legen möchtest?

Prof. Ibrahim Alkatout: Viele Frauen haben ein ganz gutes Gefühl für ihren Bauch und auch für das Nervensystem. Wenn ihr eigenes Gefühl nicht deckungsgleich mit der Diagnose vor Ort ist und das vorgeschlagene Management sich irgendwie nicht gut anfühlt, dann würde ich unbedingt empfehlen, noch einmal auf eine Zweitmeinung zu beharren, selbst wenn etwas Wartezeit dazwischen liegt, selbst wenn ich nicht gleich drankomme oder das verschoben werden muss oder wenn eine Operation in einem Klinikum eins, drei Monate später als in einem Klinikum zwei terminiert werden kann. Meine persönliche Meinung ist, dass das Bauchgefühl dieser betroffenen Frauen einen so enormen Stellenwert hat, dass sie sich fast nie täuschen. Da tut es mir immer extra leid, wenn durch äußere Umstände oder aber auch durch Missmanagement, für das die Patientinnen am allerwenigsten können, sie dann möglicherweise falsch behandelt werden.

Dr. Nadine Rohloff: Das ist ein sehr schönes Abschlussstatement. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Ganz lieben Dank, Herr Professor Alkatout, für die spannenden Einblicke.

Prof. Ibrahim Alkatout: Ich bedanke mich und wünsche alles Gute. Herzlichen Dank!

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Dr. med. Nadine Rohloff