Frauenarztpraxis & Zertifiziertes Endometriosezentrum Nicolaus
Frau PD Dr. Kristin Nicolaus freut sich sehr, denn kürzlich hat Ihre Frauenarztpraxis Nicolaus die Zertifizierung zum Endometriosezentrum erhalten. Nun kann sie sich den Betroffenen der chronischen Krankheit komplett widmen. Dabei ist ihr ein ganzheitlicher Therapieansatz, der neben den operativen und hormonellen Behandlungsmöglichkeiten auch die Ernährung und Sportarten, wie Yoga einbezieht. Wir haben mit Ihr über die Endometriose gesprochen.
Fakten zum Endometriosezentrum
Ort: Eilenburg
Stufe: 1
Anzahl Patientinnen: 100 (Tendenz steigend)
Interview mit PD Dr. Kristin Nicolaus
Vielen Dank, Frau PD Dr. Nicolaus, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
PD Dr. Nicolaus: Mein Name ist Dr. Kristin Nicolaus. Ich bin seit dem letzten Jahr niedergelassene Frauenärztin in eigener Praxis in Eilenburg und seit Anfang dieses Jahres zertifizierte Endometriose-Praxis. Bis Ende 2019 war ich Oberärztin an der Universitätsfrauenklinik in Jena.
Ist Ihnen dieses Thema besonders wichtig? Warum?
PD Dr. Nicolaus: Auf jeden Fall. Ich habe bereits in der Universitätsfrauenklinik als Assistentin in der Endometriose-Sprechstunde mitgearbeitet und das Zentrum der Stufe III dann auch seit 2015 selbst koordiniert. In jedem Bereich der Gynäkologie spielt Endometriose eine Rolle – in der allgemeinen Ambulanz, in der Kinderwunsch-Sprechstunde und in der Notaufnahme.
Ich habe mich damals bewusst diesem Thema angenommen, weil ich ein großes Verständnis und Herz für die Frauen aufbringen konnte und es nachvollziehen kann, was es für eine Frau bedeutet, wenn sie jeden Monat Schmerzen hat und deswegen z.B. auch im Beruf ausfällt.
Finden Sie, dass die Endometriose ausreichend erforscht wird?
PD Dr. Nicolaus: Leider nein. Andere Gebiete der Gynäkologie, wie zum Beispiel die Karzinomerkrankungen, werden mit einer anderen Intensität und Vielfalt beleuchtet. Zudem ist die Erkrankung meiner Meinung nach gesundheitspolitisch viel zu unterschätzt.
Was würden Sie sich für die Forschung der Endometriose wünschen?
PD Dr. Nicolaus: Ich bin im Herzen ein Kliniker und deswegen würde ich mir neben Grundlagen-Forschung viel mehr klinische Forschung wünschen.
Forschen Sie denn auch selbst?
PD Dr. Nicolaus: Ja. Ich habe mich im Juli dieses Jahres an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena zum Thema Endometriose und unerfüllter Kinderwunsch habilitiert. Ich habe mich mit verschiedenen klinischen Fragestellungen zum Thema Endometriose beschäftigt wie z.B. welche Symptome lassen auf welche Lokalisation der Endometriose schließen, wie oft kommt Endometriose bei anderen gynäkologischen Operationen vor, wie oft führt eine Endometriose zum Verschluss der Eileiter etc.
Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Erkenntnisse, die bisher über die Endometriose gewonnen werden konnten?
PD Dr. Nicolaus: Die Endometriose ist eine chronische und hormonabhängige Erkrankung. Die Symptome können vielfältig sein und das Therapiekonzept muss immer ein Gesamtkonzept aus operativer und/oder medikamentöser Therapie sowie ganzheitlichen Ansätzen sein. Das Thema Kinderwunsch sollte simultan immer mit beleuchtet werden, da viele Patientinnen mit Endometriose einen unerfüllten Kinderwunsch haben und wiederum viele Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch auch eine Endometriose haben.
3 Gründe, warum es so lange bis zur Diagnose der Endometriose dauert
Was denken Sie, warum es bisher recht lange dauert, bis einer Frau die Diagnose Endometriose gestellt wird?
PD Dr. Nicolaus: Ich denke, es gibt hierfür 3 Gründe:
- Regelschmerzen werden von den Frauen selbst, von Freunden und auch von der Familie als normal befunden. Und auch bei regelmäßiger Einnahme von Schmerzmitteln oder einer regelmäßigen Arbeitsunfähigkeit gehen die Frauen damit viel zu spät zum Arzt.
- Haus- und auch Frauenärzte denken viel zu spät an Endometriose und/oder verkennen die Vielfältigkeit der Symptome. Es sind nicht nur die typischen Regelschmerzen, nein, auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schmerzen beim Wasserlassen oder Stuhlgang und selbst chronische Unterbauchschmerzen sollten ein Signal für Endometriose sein.
- Der Goldstandard der Diagnostik stellt die Bauchspiegelung dar. Viele haben Angst vor einer Operation, auch wenn diese minimal-invasiv ist und zögern vor diesem Schritt der Diagnostik.
Denken Sie, es müsse mehr Aufklärung unter Frauenärzten stattfinden, damit diese Beschwerden der Patientinnen schneller ernst nehmen und handeln?
PD Dr. Nicolaus: Auf jeden Fall. Leider kennen sich noch immer viel zu wenig Frauenärzte mit der zweithäufigsten, gutartigen Erkrankung ihres Faches zu schlecht aus. Zudem herrscht unter vielen Frauen eine „Hormonangst“ und somit erfolgt keine Pilleneinstellung, um die Schmerzen zu lindern. Hier sollte in einem Gespräch offen über die Ängste gesprochen und der Patientin die zahlreichen Optionen der hormonellen Therapie aufgezählt werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für fast jede Frau ein richtiges Präparat gibt.
Braucht diese Krankheit mehr Aufmerksamkeit?
PD Dr. Nicolaus: Auf jeden Fall. Ich bin aber auch der Meinung, dass der „Verdacht auf Endometriose“ nicht die alleinige Begründung für sämtliche Beschwerden sein sollte. Eine Patientin sollte meiner Meinung nach medikamentös eingestellt werden und beim Versagen der Therapie eine operative Abklärung erhalten. Sollte sich eine Endometriose nicht bestätigen oder nach OP noch immer Beschwerden bestehen, ist es wichtig, die Patientin auch bei anderen Disziplinen, wie z.B. der Gastroenterologie vorzustellen.
Endometriose – das Chamäleon unter den Krankheiten
Wie schätzen Sie die psychische Belastung ein, die Frauen erleiden, wenn sie lange nicht ernst genommen werden?
PD Dr. Nicolaus: Extrem hoch, und das sehen wir ja auch in der täglichen Praxis. Häufig bestehen psychische Ko-Morbiditäten. Ich denke, es ist nicht nur das Problem „nicht ernst genommen werden“, es sind Folgen chronischer Schmerzen, die über Monate und Jahre bestehen, es sind unzählige Arbeitsausfälle wegen Unterbauchschmerzen und daher vielleicht Probleme am Arbeitsplatz und es sind vor allem auch Probleme in der Partnerschaft, z.B. durch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Wie fühlt sich dann eine Frau, wenn Sie das Thema Regelschmerzen beim Arzt anspricht und nicht ernst genommen wird?
Wie gehen Sie mit der Individualität dieser Krankheit um?
PD Dr. Nicolaus: Ich versuche ihr genauso individuell zu begegnen. Ich betreue junge Frauen mit Regelschmerzen, die unter einer Pille wieder beschwerdefrei sind. Ich betreue Frauen mit chronischen Schmerzen nach vielfachen Endometriose-Operationen, die zusätzliche Betreuung durch Schmerztherapeuten benötigen. Ich betreue Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch und Endometriose, die ich im Rahmen ihrer Kinderwunschbehandlung mitbetreue und ich betreue Patientinnen mit asymptomatischen Befunden rein konservativ und habe ein regelmäßiges Auge darauf, dass die Endometriose nicht wächst. Ich denke diese Aufzählungen zeigen, wie individuell die Erkrankung ist.
Was raten Sie Patientinnen im Umgang mit der Endometriose besonders?
PD Dr. Nicolaus: Ich versuche Mut zu machen und wirke motivierend auf die Frauen ein. Frauen müssen um den chronischen Verlauf wissen und somit um die Notwendigkeit der regelmäßigen Kontrollen und der ggf. auch dauerhaften Therapie. Das Thema Kinderwunsch wird in meiner Praxis immer sehr „aggressiv“ angesprochen, weil ich denke, dass die Frauen viel zu wenig sensibilisiert sind.
Worauf kommt es bei einer passenden Endometriose-Behandlung an?
PD Dr. Nicolaus: Die Therapie muss wirksam bezüglich der Beschwerden sein, sie muss vertretbare Nebenwirkungen haben, sie muss das Thema Kinderwunsch (nicht aktiv – latent – aktiv – unerfüllt – oder abgeschlossen) mit einbeziehen und auf die Wünsche und Bedürfnisse der Frau zugeschnitten sein. Die beste Pille der Welt nützt nichts, wenn die Frau sie wegen Angst oder Beschwerden nicht nimmt.
Bieten Sie Ihren Patientinnen besondere Angebote im Zusammenhang mit der Endometriose? Wenn ja, welche?
PD Dr. Nicolaus: Leider nein. Ich versuche, als niedergelassener Frauenarzt ein guter Berater in jeder Situation zu sein. Ich berate über alternative Therapiekonzepte, helfe bei der Entscheidung, der Auswahl der richtigen Klinik für die OP, helfe bei der Erstellung der AHB-Anträge und habe seit dem letzten Jahr zumindest versucht mir im Leipziger Raum ein gutes Netzwerk zu bauen aus „Diagnostikern und Therapeuten für Endometriose“.
Unterstützen Sie Patientinnen mit Kinderwunsch auf besondere Weise?
PD Dr. Nicolaus: Dieses Thema ist mir besonders wichtig. Ich versuche wie o.g. sehr frühzeitig zu sensibilisieren. Ich helfe auch vorzeitig, um Schritte der Kinderwunschdiagnostik abzuklären und überweise auch die Männer gleich zum Urologen. Anschließend erstelle ich mit meinen Patientinnen ein Gesamtkonzept über die „Ist“-Situation und die möglichen Therapien. Ich führe selbst Hormonstimulationen in meiner Praxis durch oder auch Eileiterdurchgängigkeitsprüfungen.
Ziel: Eine normale Lebensqualität
Gibt es bestimmte Therapieformen, die Sie besonders empfehlen?
PD Dr. Nicolaus: Mir ist stets der ganzheitliche Therapieansatz wichtig. Operation und Hormone allein reichen nicht. Ich versuche Optionen wie Ernährungstherapie, Yoga und z.B. auch eine psychologische Mitbehandlung der Patientin näherzubringen.
Wie viele Endometriose-Patientinnen betreuen Sie im Jahr ungefähr?
PD Dr. Nicolaus: Im letzten Jahr immerhin fast 100. In diesem Jahr werden es mehr sein, durch die Zertifizierung suchen viele Patientinnen unsere Praxis bewusst auf.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Behandlungsmöglichkeiten besonders (z.B. möglichst langer Erhalt der Gebärmutter und Eierstöcke bei Kinderwunsch)?
PD Dr. Nicolaus: Mein Ziel ist es eigentlich „nur“, dass die Frauen keine Schmerzen mehr haben und mit einer normalen Lebensqualität ihren Alltag und vor allem ihr Berufsleben bestreiten können. Dieses Ziel erreiche ich bei vielen Patientinnen einfach nur, in dem ich sie auf eine „gute Pille“ einstelle.
Wann und warum sollten sich Frauen mit Endometriose in einem Endometriosezentrum behandeln lassen?
PD Dr. Nicolaus: Ich denke, in einem Endometriosezentrum hat die Patientin die Möglichkeit alle diagnostischen Möglichkeiten angeboten zu bekommen. Die Operationen können, wenn nötig interdisziplinär erfolgen und intraoperativ können z.B. Schritte der Kinderwunschdiagnostik ergänzt werden. Besteht kein Kinderwunsch und die Patientin hat vorab z.B. mehrere Pillen nicht vertragen, kann intraoperativ gleich eine Spirale eingelegt werden. Auf dem Gebiet der Endometriose hat sich im Vorgehen mit der aktuellen Leitlinie einiges verändert. Ich denke, dass Personal eines spezialisierten Zentrums, die Beschwerden nicht nur ernst nimmt, sondern auch entsprechend der aktuellen Leitlinien und somit dem aktuellen Wissensstand behandelt.
Denken Sie, dass es eines Tages eine Heilung der Endometriose geben könnte?
PD Dr. Nicolaus: Das hoffe ich doch sehr!
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