Auf der Webseite und in der Endometriose Community wurden hier schnelle Schlüsse gezogen und wir schauen nun mit euch gemeinsam, was diese Studie wirklich aussagt.
Koreanische Wissenschaftler der Inje University und der Kyungpook National University werteten Daten der koreanischen Krankenkasse aus.
Sie untersuchten dabei Personen mit folgenden Merkmalen:
Es gab zwei Gruppen:
In der Gruppe der Frauen, die im Verlauf der Beobachtung Dienogest nahmen, gab es mehr erneute Operationen.
Das was nun natürlich alle interessiert ist – kann man daraus schließen, dass eine Einnahme von Dienogest das Risiko einer erneuten Operation erhöht?
Auf den ersten Blick fällt auf, dass es sich um eine retrospektive Studie handelt. Das heißt, die Forscher nahmen Daten aus der Vergangenheit und werteten sie aus. Klingt erstmal logisch und unproblematisch. Doch wenn man isolierte Daten aus der Vergangenheit nimmt, hat man keine Möglichkeit, alle Einflussfaktoren mitzubestimmen, die wichtig sind.
Um das genauer zu erklären, hier ein Beispiel:
Würde man sich zum Beispiel Daten der Stadt Sydney anschauen und die Rate an Haibissen mit dem konsumierten Speiseeis vergleichen, dann würde man ggf. feststellen, dass in Zeiten mit mehr Eiskonsum auch mehr Haibisse stattfanden. Vielleicht sogar, dass Personen eher an Tagen von Haien gebissen wurden, an denen sie selber mehr Eis gegessen haben.
Würdest du daraus den Schluss ziehen, dass Eiscreme ein höheres Risiko für Haibisse beinhaltet? Sollten wir kein Eis mehr essen, weil das eine Art Gewürz für den Haisnack ist, dem die Haie nicht widerstehen können?
Eher nicht, oder?
Während es vielleicht wahr ist, dass Haibisse häufiger sind, wenn viel Eis gegessen wird, kann man aus diesen Informationen nicht ablesen, dass das Eis der Grund für die Haibisse ist. Theoretisch würde es zu den Daten passen, aber ist es wirklich so?
Es ist in diesem Beispiel naheliegender, dass aufgrund der warmen Temperaturen mehr Eis gegessen wird und mehr Surfer im Wasser sind, bzw. die Surfer mehr surfen und den Haien nahe kommen und auch mehr Eis essen, weil Sommer ist.
Man darf aus zurückschauenden, retrospektiven, Studien also keine Schlüsse darüber ziehen, welcher Aspekt den anderen ausgelöst hat. Man kann nur sagen, was gleichzeitig in dieser speziellen Gruppe passiert ist. Warum, das kann man nur vermuten und Theorien aufstellen.
Sondern man kann sagen, die Leute, die Dienogest genommen haben, sind auch häufiger operiert worden. Aber lag das am Dienogest? Oder gibt es auch hier einen Zusammenhang, wie das Wetter im Hai und Eis Beispiel? Einen Grund, warum die Frauen Dienogest genommen haben UND erneut operiert wurden? Was von beidem stimmt und wie der Zusammenhang ist, kann aus der Studie nicht geschlossen werden.
Wenn wir uns die Daten genauer anschauen, können wir aber etwas vermuten, das mehr Sinn macht als ein direkter Zusammenhang. Ein indirekter Zusammenhang. Wir müssen den Sommer aus dem Hai und Eis Beispiel finden.
Wenn wir uns die Daten genau anschauen, merken wir, dass die Frauen nicht alle zum gleichen Zeitpunkt Dienogest eingenommen haben. Im Mittel war es 100 Tage nach der GnRH Analoga Therapie. Manche starteten direkt, andere erst nach 6, 12 oder mehr Monaten nach Abschluss der GnRH Analoga Therapie.
Aus der klinischen Perspektive naheliegend ist, dass man Dienogest entweder direkt als Vorbeugung eines Rückfalls (Rezidivprophylaxe) verschreibt oder aber wenn erneute Symptome auftreten.
Es ist also anzunehmen, dass die erneute Verschreibung von Dienogest aus einem von drei Gründen erfolgte:
Grund 2 oder 3 würden für sich genommen schon einmal für ein erhöhtes Reoperationsrisiko sprechen, dem man ja mit dem Dienogest entgegentreten möchte.
Schaut man sich die Daten genau an, sieht man folgendes:
Hier würde ich denken, könnte es nahe liegen, dass dies Frauen waren, die das Dienogest bekamen, weil sie wieder Symptome hatten. Wenn diese durch das Dienogest nicht ausreichend behandelt wurden, müssten diese dann wieder operiert werden.
Das ist eine Theorie – endgültig herauslesen, warum diese Frauen eher operiert wurden, kann man nicht.
Die Verfasser der Studie zeigen weitere Limitationen selber auf:
Ist die Studie also schlecht?
Retrospektive Studien sind ein wichtiger Teil der Forschung, da sie interessante Korrelationen aufdecken und so Hinweise für weitere – dann geplante und prospektive Studien – liefern.
Die Studie hat ihre Limitationen und Fehler, aber sie hat trotzdem ihre Daseinsberechtigung und wurde in einem Peer-Reviewed Paper gedruckt, weil es ein Baustein zur Entwicklung weiterer Theorien ist. So diskutieren die Autoren zum Beispiel aus den Daten heraus, wann ein sinnvoller Zeitpunkt zum Einsatz von Dienogest nach GnRH Analoga sein könnte und wann es vielleicht nicht sinnvoll sein könnte. Somit können dann sie oder andere Forscher eine prospektive Studie dazu planen.
Wenn wir jetzt wirklich wissen wollten, ob Dienogest vor Rezidiven nach Operation oder nach GnRH Analoga schützt, wie müsste man diese Studie aufbauen?
Um wirklich einen Nachweis zu erbringen – man nennt das konfirmatorische Untersuchung – sollte eine Studie die folgenden Merkmale haben:
Das ist bei retrospektiven Studien schlichtweg nicht möglich und daher ist die Aussage immer begrenzt – wie bei den Haien und der Eiscreme.
Es ist daher immer wichtig, bei den Berichten über so eine Studie in der Vergangenheit zu sprechen und die Aussagen auf die spezielle Gruppe zu beziehen. Verallgemeinerungen sind normalerweise nicht möglich.
Bei der Beurteilung von Studien darf man sie zudem nicht einzeln betrachten, sondern natürlich gemeinsam mit allen anderen Studien. Wie passt das alles zusammen?
Beispielsweise ergab eine randomisierte, kontrollierte Studie, dass Dienogest das Risiko für eine erneute Operation gleich viel senkt wie GnRH Analoga[3]. Es konnte also ein Schutz vor erneuten Operationen gezeigt werden. Die in der koreanischen Studie betrachtete Gabe nach GnRH Analoga findet in Deutschland zudem selten statt, da GnRH Analoga Therapie der zweiten Wahl und Dienogest Therapie der ersten Wahl ist. In Deutschland ist die Reihenfolge meist also andersherum, Dienogest wird direkt eingesetzt, sodass die Aussage der koreanischen Studie für Deutschland sehr limitiert ist.
In einer Meta-Analyse zum Rezidivrisiko (eine strukturierte Bewertung und Analyse von vorhandenen qualitativ guten Studien) kam 2020 zu dem Schluss, dass Dienogest das Risiko einer erneuten Endometriose-Operation signifikant verringert [4].
Die Leitlinie Diagnostik und Therapie der Endometriose [1] empfiehlt aufgrund der aktuellen Studienlage für Deutschland den Einsatz von Dienogest zur Symptomkontrolle und Rezidivprophylaxe. Alternativen sind je nach Situation andere Gestagene und kombinierte Pillen. Die genaue Auswahl sollte immer individuell mit dem Arzt besprochen werden.
Schlüsse, die aus der Studie [2] gezogen werden sollten sind:
Hormontherapie ist immer etwas, das individuell mit dem Arzt abgesprochen werden sollte. Auch wenn die Literatur und Leitlinien sagen, dass Dienogest je nach Situation erste Wahl ist, sollte über Nebenwirkungen aufgeklärt werden und Nutzen und Risiko fortlaufend gemeinsam zwischen Arzt und Patientin abgewogen werden.
Wenn ihr andere Studien habt, die ihr von uns erklärt haben möchtet oder zu denen ihr spezifische Fragen habt, sendet sie gerne an info@endometriose.app.
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