Schwerbehindertenausweis und Grad der Behinderung bei Endometriose

Das SGB IX beinhaltet alle gesetzlichen Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Das Wort „behindert“ sollte dich an dieser Stelle nicht abschrecken. Lies zunächst die unten stehende Erklärung und es fällt dir wahrscheinlich leichter, dich damit zu identifizieren.

Eine kurze Erklärung, wie der Begriff zu verstehen ist, findet sich im neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX):

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“

Das heißt, es geht nicht um die Art der Erkrankung oder die Diagnose, sondern immer um das Defizit und die Auswirkung. Relevant ist also, ob du durch die Endometriose mehr belastet bist als andere ohne Endometriose. Und wenn das der Fall ist, hast du ein Anrecht auf mehr Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch.

Das heißt aber andersherum auch, wenn du keine Beeinträchtigung hast, dann gilt die Unterstützung nicht nur aufgrund der Diagnose.

Ein Beispiel: Frau Müller hat seit 2 Jahren die Diagnose Endometriose, aber glücklicherweise keinerlei Symptome oder Beschwerden. Nur aufgrund der Diagnose Endometriose kann Frau Müller keinen Grad der Behinderung beantragen, da sie keinerlei Einschränkungen im Alltag erfährt.

Es kommt also allein darauf an, wie eingeschränkt du in deinem Alltag, deiner Arbeit und dem täglichen Leben durch die Endometriose bist. Überlege kurz, welche Einschränkungen du im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Endometriose hast.

Grad der Behinderung (GdB)

Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Zehnergraden angegeben. Der niedrigste Grad liegt bei 20 und der höchste bei 100.

Die unterschiedlichen Beeinträchtigungen werden nicht miteinander addiert, das ist ein Mythos und schlichtweg falsch. Es ist etwas komplizierter, denn entscheidend für den Gesamt-GdB ist, wie sich die Funktionsbeeinträchtigungen, ausgehend vom höchsten Einzel GdB „in ihrer Gesamtheit auswirken.“[1]

Ab einem Grad von 20 gilt die Beeinträchtigung als Behinderung und du erhältst einen Bescheid.

Ab einem Grad von 50 gilt man als schwerbehindert und kann einen Ausweis beantragen. Jetzt gelten besondere Regeln beim Kündigungsschutz. Beispielsweise muss die Zustimmung der/des Integrationsbeauftragten eingeholt werden. Und du hast Anspruch auf Extra Urlaubstage.

Ab einem GdB von 30 kann man als Arbeitnehmerin einen sogenannten Gleichstellungsantrag über die Agentur für Arbeit stellen. Unter bestimmten Umständen wird man dann einem Menschen mit GdB von 50 gleichgestellt und hat ebenfalls besonderen Kündigungsschutz.

Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf einen Nachteilsausgleich. Dieser hängt von GdB ab.

Dazu gehören je nach Grad beispielsweise finanzielle Ermäßigung bei Freizeitaktivitäten (Kino, Museum, Schwimmbad), bei Transportmitteln oder gestaffelte Steuererleichterungen. Ebenso können Menschen mit GdB Hilfe und Leistungen durch den Integrationsfachdienst in Anspruch nehmen.

Der Integrationsfachdienst arbeitet im Auftrag der Integrationsämter. Er berät und unterstützt betroffene behinderte Menschen bei der Teilhabe am Arbeitsleben, er informiert und gibt Hilfestellungen für den Arbeitgeber, um einen reibungslosen Ablauf für beide Parteien herstellen zu können. Damit die Integration bestmöglich umgesetzt werden kann. Diese Ämter und Fachdienste gibt es überall in Deutschland. Du kannst den Kontakt über die Agentur für Arbeit suchen.

Den Antrag stellen

Die rechtliche Grundlage für die Ermittlung des Grades der Behinderung sind die versorgungsmedizinischen Grundsätze (Link zur kostenlosen Ministeriumspublikation). Diese gelten seit dem 01.01.2009. Die dort aufgeführten Kriterien dienen nur der Orientierung. Die Feststellung der Behinderung ist individuell zu bemessen und erfolgt von der zuständigen Behörde.

Wo bekomme ich das Antragsformular?

Beim jeweiligen Versorgungsamt oder der zuständigen Behörde kann bei dir lokal ein Antrag auf den GdB gestellt werden. Wer zuständig ist, ist unterschiedlich. Die Zuständigkeit kannst du beim Bürgeramt deiner Stadt erfragen. Jedes Versorgungsamt oder die nach Landesrecht zuständige Behörde hat Vordrucke für diesen Antrag.

In vielen Bundesländern kannst du deinen Antrag zum Teil oder vollständig online ausfüllen. Der Antrag beinhaltet deine Daten, Daten der Ärzte und die Beschreibung deiner Einschränkungen. Du benötigst zunächst keine medizinischen Fachbegriffe dafür.

Wer kann mich unterstützen?

Gibt es jemanden in deinem Endometriose-Team, der dir behilflich sein kann? Es kann hilfreich sein, das mit dem Arzt oder der Ärztin, die für die Krankheit, die den größten Teil der Einschränkungen verursacht, zuständig ist, zu besprechen.

Wie gehe ich weiter vor?

Der Grad der Behinderung wird durch ärztliche Gutachten festgestellt. Die Begutachtung erfolgt nach Aktenlage durch die Behörde.
Du beantragst also keinen spezifischen Grad, sondern beschreibst nur deine Beeinträchtigungen. Zähle alle Erkrankungen und auch Einschränkungen daraus, auf die du hast und füge die Unterlagen bei, die angefordert werden. Unterstützung bei fehlenden Unterlagen kannst du bei deinem Arzt oder deiner Ärztin bekommen.

Sobald das Versorgungsamt oder die zuständige Behörde über deinen Antrag entschieden hat, bekommst du das schriftlich im sogenannten Bescheid mitgeteilt.

Wenn es geklappt hat, prima!
Sollte das Versorgungsamt den Antrag auf Feststellung des GdB ablehnen, bzw. die Höhe des GdB ist fehlerhaft, hast du in der Regel die Möglichkeit innerhalb eines Monats schriftlich oder vor Ort Widerspruch einzureichen. Prüfe diese Frist aber noch einmal in deinem speziellen Fall.
Am Ende deines Bescheids, bei der sogenannten Rechtsbehelfsbelehrung, stehen die genauen Informationen.

Was tun, wenn der Antrag abgelehnt wird?

Das wichtigste, Ruhe bewahren. Auch hier hilft es nicht, sich zu sehr mit anderen Betroffenen zu vergleichen. Trotzdem kann ein Erfahrungsaustausch natürlich wichtig sein. Es gibt ähnliche Krankheitsverläufe mit ganz unterschiedlichen Beurteilungen des Versorgungsamtes und auch unterschiedliche Krankheitsverläufe mit ähnlichen Beurteilungen des Versorgungsamtes. Wichtig ist, dass du deine Rechte kennst und selbst entscheiden kannst, ob und wie du Gebrauch davonmachen möchtest.

Widerspruch einreichen, um die Frist zu wahren

Häufig kann man einen formlosen, unterschriebenen Widerspruch (einfaches Schriftstück) einreichen, um die Frist zu wahren und dann mehr Zeit für die Bearbeitung zu haben. Schaue, ob das bei dir der Fall ist!

Prüfe deine Unterlagen und Krankenakte

Um deinen Widerspruch gut und ausreichend begründen zu können, benötigst du deine Akte mit allen für die Begutachtung relevanten Schriftstücken, insbesondere die versorgungsärztliche Stellungnahme, die von der Behörde gestellt wurde. Bei der versorgungsärztlichen Stellungnahme sind die zu berücksichtigen Erkrankungen und der GdB aufgelistet. Hier kannst du schnell überprüfen, ob alle angegebenen Beeinträchtigungen berücksichtigt worden sind.

Bei dem Widerspruch solltest du darauf achten, neue Informationen vorzulegen bzw. zu prüfen, ob alle von dir eingereichten Fakten berücksichtigt wurden. Mach dir die Mühe und schreibe deine Folgen und Beeinträchtigungen deiner Erkrankung auf. Hilfreich ist dies so übersichtlich wie möglich zu formulieren, beispielsweise in Form einer Tabelle. Denn auch die Sachbearbeiter können so schnell erfassen, um welche Einschränkungen es sich handelt und müssen nicht erst seitenlange Schriftstücke durcharbeiten. Manche reichen dieses Schriftstück schon beim Erstantrag mit ein, dann solltest du nach weiteren, ggf. vergessenen Beeinträchtigungen schauen. Gehe dabei deinen Tagesablauf durch und schreibe alles auf, egal wie unwichtig oder peinlich dir das Ganze erscheint. Wenn dir nichts mehr einfällt, berate dich nochmals mit dem Arzt oder frage Personen aus deinem nahen Umfeld. Die haben ggf. Einschränkungen beobachtet, die nicht in den Fokus deiner Wahrnehmung gerückt sind.

Zusammenfassung für einen gelungenen Widerspruch

Am sinnvollsten ist es, wenn möglich, zunächst formlos zu widersprechen. Dann hast du noch etwas Zeit und kannst Schritt 1-4 durchführen:

  1. Unterlagen des Versorgungsamtes anfordern und sichten
  2. ärztliche Beratung einholen
  3. Widerspruch begründen und neue Erkenntnisse liefern
  4. fristgerechte Abgabe

Lass dich beraten

Du kannst dich sowohl beim Erstantrag als auch beim Widerspruch rechtlich beraten lassen. Dies kann eine sinnvolle Bereicherung für deine Schiffsmannschaft, dein Endometriose-Team sein, denn ein Anwalt kennt die rechtlichen Gewässer der Behörden sehr gut, um dich sicher hindurchzuführen.

Rechtsanwalt – Fachanwalt für Sozialrecht

Wenn dir das alles zu viel ist oder du Sorge hast, etwas falsch zu machen, hast du die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Ein Fachanwalt für Sozialrecht wäre eine gute Wahl. Ein Rechtsanwalt ist mit Kosten verbunden. Ggf. hast du eine Rechtsschutzversicherung oder du kannst Prozesskostenhilfe beantragen.

Einen Lichtblick gibt es: Das Versorgungsamt muss die Kosten für deinen Rechtsanwalt beim Widerspruch übernehmen, wenn das Sozialgericht in deinem Sinne entscheidet. Aber nur, wenn deinem Widerspruch stattgegeben wird, du also Recht bekommst. Die Gerichtskosten und die Kosten zur Beweiserhebung werden vom Staat gezahlt, auch wenn du die Klage verlieren solltest.

Zunächst kannst du einen Erstberatungstermin bei einem Rechtsanwalt deiner Wahl vereinbaren und dann mit deinem Rechtsanwalt alles Weitere besprechen. Danach hast du in Ruhe die Möglichkeit zu entscheiden, was du tun möchtest.

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Lisa Schaller