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Medical Gaslighting bei Endometriose




07.03.2024

Medical Gaslighting bei Endometriose


5 Min. Lesezeit

Vielleicht hast du in letzter Zeit auf Social Media von der „Endo March“-Kampagne gehört oder darüber gelesen und dich gefragt: „Was ist das eigentlich?“ Der Endo March ist eine weltweite Initiative, die im März das Bewusstsein für Erkrankungen wie Endometriose, Adenomyose und verwandte Leiden schärfen soll.

Die allgemeinen Ziele dieser Kampagne sind es, Betroffenen eine Stimme zu verleihen, Verständnis zu fördern, schnellere Diagnosen zu ermöglichen, die Forschung zu intensivieren, die medizinische Fachkompetenz zu stärken und Therapiemöglichkeiten zu optimieren. Zusätzlich wird auf die Bagatellisierung und medizinisches Gaslighting aufmerksam gemacht, um das Bewusstsein zu schärfen und die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.

Der folgende Artikel wird speziell auf das Thema „medizinisches Gaslighting“ eingehen und warum wir darüber sprechen müssen. 

Wenn du mehr zu Medical Gaslighting wissen willst, gibt es auch ein Podcast über dieses Thema mit der Psychologin Nina Reiter.

Inhalt:

Was ist Medical Gaslighting?  

Endometriose-Betroffene häufige Opfer von Medical Gaslighting 

Wege und Möglichkeiten der Selbsthilfe gegen Medical Gaslighting 

Fazit 

Inhalt:

        1. Was ist Medical Gaslighting?
        2. Endometriose-Betroffene häufige Opfer von Medical Gaslighting
        3. Wege und Möglichkeiten der Selbsthilfe gegen Medical Gaslighting
        4. Fazit

Was ist Medical Gaslighting?

Was ist Medical Gaslighting?


In den letzten Jahren hat der Ausdruck „medical gaslighting“ oder eingedeutscht: „medizinisches/ärztliches Gaslighting“ in den Medien an Bedeutung gewonnen. Viele teilen ihre Erlebnisse, bei denen sie sich nicht respektiert, abgelehnt und nicht gut versorgt fühlen. Ursprünglich in der Psychologie als ein Problem in Beziehungen zwischen Menschen beschrieben, wird Gaslighting nun auch auf die medizinische Betreuung angewandt [1].  

Es beschreibt, wenn Patient:innen den Eindruck haben, dass ihre Symptome nicht ernst genommen oder heruntergespielt werden, und dadurch dazu neigen, ihre eigene Wahrnehmung zu hinterfragen [1,2]. Oft werden Schmerzen auf diese Weise in Zweifel gezogen und gerne abgestritten. Sätze wie „Möglicherweise handelt es sich hier um eine psychische Komponente“ oder „Könnte es sein, dass Sie derzeit unter erhöhtem Stress stehen?“ sind vielen Patient:innen bereits begegnet und stellen ihre eigene Schmerz- oder Beschwerdenwahrnehmung infrage. 

Für Menschen, die von Medical Gaslighting betroffen sind, bedeutet dies eine doppelte Belastung. Zum einen wird die Diagnose verzögert, und es fällt schwer, eine angemessene Behandlung zu erhalten. Zum anderen führt die dadurch entstehende Verunsicherung zu psychischem und emotionalem Leiden [2]. 

Mögliche Auswirkungen von Medical Gaslighting sind beispielsweise: 

  • Verzögerte Diagnosen aufgrund mangelnder Beachtung von Symptomen
  • Fehlende angemessene medizinische Versorgung
  • Psychologische Auswirkungen wie Stress und Unsicherheit
  • Vertrauensverlust in die medizinische Gemeinschaft

Endometriose-Betroffene häufige Opfer von Medical Gaslighting

Endometriose-Betroffene häufige Opfer von Medical Gaslighting


Insbesondere im Zusammenhang mit Endometriose wird der Begriff Medical Gaslighting häufig verwendet. In zahlreichen ärztlichen Gesprächen hört man oft Standardsätze wie „Das sind nur ganz normale Periodenschmerzen“. Für die Patient:innen bedeutet dies, ohne eine klare Diagnose zurückzubleiben – weiterhin mit den gleichen Schmerzen und Ängsten, nun jedoch auch mit dem belastenden Gefühl, sich Schmerzen einzubilden, die gar nicht existieren.  

Es ist bekannt, dass Menschen, die von Endometriose betroffen sind, häufig Medical Gaslighting erleben, vorwiegend aufgrund der mangelnden Anerkennung ihrer Symptome durch das medizinische Fachpersonal. Die Symptome von Endometriose werden oft nicht ernst genommen oder übersehen. Dies schließt starke Menstruationsbeschwerden, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und chronische Unterleibsschmerzen ein. Das Nichternstnehmen ihrer Symptome wirkt sich direkt auf ihre Lebensqualität und den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung aus [2]. 

In unserer ungleichen Gesellschaft, die noch immer vom Patriarchat geprägt ist, werden Frauen* oft als zu empfindlich abgestempelt, was dazu führt, dass geschlechtsspezifische Beschwerden nicht oder weniger ernst genommen werden. Es fällt auf, dass Frauen* und People of Colour deutlich häufiger Erkrankungen abgesprochen werden als Männern. Insgesamt betrifft Medical Gaslighting daher vor allem marginalisierte Gruppen. Leider ist das Thema noch nicht ausreichend erforscht, und viele Erkenntnisse beziehen sich auf das psychische Phänomen Gaslighting ohne den medizinischen Kontext.

Die Gesundheitswissenschaftlerin J. Sebring hat in ihrem Artikel die soziologischen Aspekte von Medical Gaslighting erforscht. Sie argumentiert, dass dies ein Ergebnis tief verankerter und unangefochtener Ideologien sei, die im Gesundheitssektor weiterhin präsent sind. Nach ihren Erkenntnissen ist Medical Gaslighting im Alltag von Frauen, Transgender, Intersexuellen, queeren und rassifizierten Personen, die medizinische Versorgung suchen, verbreitet [3]. 

Da es dazu noch keine ausreichende Forschung gibt, beziehen sich derzeitige Kenntnisse hauptsächlich auf die Erfahrungsberichte von Betroffenen. In der Community und im Internet gibt es zahlreiche Geschichten von Betroffenen, die von Mediziner:innen schlecht behandelt wurden. Dies darf nicht toleriert werden.

In der Praxis ist es nicht einfach zu erklären, warum die Leiden oft nicht ernst genommen werden. Der Zeitdruck, unter dem Mediziner:innen arbeiten, spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Die Behandlung einer großen Anzahl von Menschen täglich kann zu einer Abstumpfung und Verringerung der Empathiefähigkeit führen. Um Patient:innen richtig zuzuhören und ihre Probleme angemessen einordnen zu können, ist vor allem Zeit erforderlich. Diese Zeit steht Ärzt:innen jedoch oft nicht zur Verfügung, wodurch eine umfassende Betreuung sowie eine intensive Suche nach möglichen Differenzialdiagnosen beeinträchtigt wird. Gynäkolog:innen sehen täglich viele verschiedene Erkrankungen und sind möglicherweise nicht direkt auf Endometriose spezialisiert.  

Ein weiterer entscheidender Faktor ist der sogenannte Gender Health Gap. Dieser bezeichnet die geschlechtsspezifische Ungleichheit im Gesundheitswesen, bei der Frauen* oft benachteiligt werden. Insbesondere bei Erkrankungen wie Endometriose zeigt sich diese Lücke deutlich, da die Symptome oft nicht ernst genommen oder als normale Periodenschmerzen abgetan werden. Weiterhin werden die geschlechtsspezifischen Erkrankungen, zu denen auch Endometriose und Adenomyose gehören, im Medizinstudium nicht ausreichend berücksichtigt. Es herrscht eine mangelnde Aufklärung und Sensibilisierung, da die generalisierte Ausbildung wenig Raum für spezifische Erkrankungsbilder lässt. Angesichts der Häufigkeit von Endometriose sollte diese Erkrankung einen größeren Fokus in der medizinischen Grundausbildung und Facharztausbildung von Gynäkolog:innen erhalten. 

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Erklärungen respektloses Verhalten nicht entschuldigt. 

Wege und Möglichkeiten der Selbsthilfe gegen Medical Gaslighting

Wege und Möglichkeiten der Selbsthilfe gegen Medical Gaslighting


Nicht jede von Endometriose betroffene Person ist ein Opfer von Medical Gaslighting und kann von solchen Erfahrungen berichten. Es gibt viele engagierte und kompetente Ärzt:innen, die sich um ihre Patient:innen kümmern und angemessene Behandlungen anbieten. 

Allerdings ist es auch wichtig zu erkennen, wenn man das Gefühl hat, eben nicht angemessen behandelt zu werden. Hier sind einige Tipps, die bei der Bewältigung von Medical Gaslighting helfen können: 

Selbstreflexion und -bildung: 

  • Führe ein Symptomtagebuch (z.B. in der Endo-App), um Muster und Details zu deinen Beschwerden festzuhalten.
  • Informiere dich über deine Symptome

Aktive Kommunikation mit Ärzten: 

  • Bereite dich gut auf Arzttermine vor. Notiere deine Fragen und Symptome
  • Sprich klar und offen über deine Beschwerden und Sorgen.
  • Lasse dich nicht durch stereotype Aussagen entmutigen und bestehe darauf, dass deine Erfahrungen ernst genommen werden.

Hole eine Zweitmeinung ein: 

  • Wenn du Zweifel an der Diagnose oder dem vorgeschlagenen Behandlungsplan hast, scheue dich nicht, eine Zweitmeinung einzuholen.
  • Suche Spezialist:innen auf (z.B. im Endo-Zentrum)

Unterstützung durch vertraute Personen: 

  • Nimm vertraute Personen zu Arztterminen mit, die dich unterstützen und Zeugen deiner Erfahrungen sein können.
  • Teile deine Bedenken und Erfahrungen mit Freunden, Familie oder in Selbsthilfegruppen.

Selbstverantwortung und Selbstfürsorge: 

  • Vertraue auf dein Bauchgefühl. Wenn du das Gefühl hast, nicht ernst genommen zu werden, stehe für deine Bedürfnisse ein.
  • Setze klare Grenzen und suche bei Bedarf Unterstützung, um für deine Gesundheit einzutreten.

Feedback geben: 

  • Teile deine Erfahrungen mit den Ärzten und Ärztinnen. Beschreibe, wie du dich behandelt gefühlt hast, und betone die Auswirkungen auf deine Gesundheit.

Gemeinschaft und Selbsthilfe: 

  • Suche den Austausch mit anderen Betroffenen in Communities, Selbsthilfegruppen oder über spezialisierte Organisationen.
  • Gemeinsame Erfahrungen können stärken und Möglichkeiten zur Bewältigung aufzeigen.

Therapeutische Unterstützung: 

  • Bei schweren psychischen Belastungen durch Gaslighting kann eine professionelle Therapie unterstützend sein. Therapeut:innen können helfen, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und die psychische Gesundheit zu stärken.

Es ist wichtig zu betonen, dass das aktive Eintreten für deine Gesundheit und das Bewusstsein für deine Bedürfnisse entscheidend sind. Wenn du weiterhin das Gefühl hast, nicht angemessen behandelt zu werden, suche nach Alternativen und setze dich für eine adäquate medizinische Versorgung ein. 

Fazit

Fazit


An dieser Stelle möchten wir dich besonders sensibilisieren, dass starke Periodenschmerzen und viele weitere Endo-Symptome keinesfalls normal sind! Bleibe dir treu und nimm dich selbst ernst. Vertraue auf dich und dein Bauchgefühl. Aktives Vorgehen gegen Medical Gaslighting kann den Arztwechsel und die Einholung einer zweiten Meinung einschließen. Der direkte Weg über ein spezialisiertes Endometriose Zentrum kann ebenfalls effektiv sein. Wenn problematisches Verhalten auffällt, ist es wichtig, dies offen anzusprechen. In solchen Situationen ist es entscheidend, in die Eigenverantwortung zu gehen, sich selbst treu zu bleiben und auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen.

Man sollte sich nicht einfach wegschicken lassen, denn niemand kann vorschreiben, wie man sich fühlen oder Schmerzen empfinden soll. Der Austausch mit anderen Betroffenen in Communities, der Endometriose-Vereinigung oder Selbsthilfegruppen in Endometriose-Zentren kann sehr unterstützend sein. 

Es ist wichtig, bei Erfahrungen mit Medical Gaslighting immer eine Rückmeldung zu geben. Falls man sich nicht ernst genommen fühlt, sollte dies in eigenem und allgemeinem Interesse geschehen, idealerweise auch schriftlich per E-Mail. Es ist erlaubt und notwendig, sich zu wehren, denn man ist keine schlechte oder unfreundliche Person, nur weil man eine angemessene medizinische Versorgung anstrebt.

Der offene Austausch untereinander, mit Angehörigen und auch mit Ärzten und Ärztinnen ist entscheidend, um sich gegenseitig zu unterstützen und für eine adäquate medizinische Betreuung einzustehen. 


  1. Wise J. Sixty seconds on . . . medical gaslighting. BMJ. Published online August 9, 2022:o1974. doi:10.1136/bmj.o1974
  2. Walkden SM. “So It’s Like a Painful Period?” Living with Endometriosis: My Journey. Health Commun. Published online December 18, 2023:1-5. doi:10.1080/10410236.2023.2296189
  3. Sebring JCH. Towards a sociological understanding of medical gaslighting in western health care. Sociol Health Illn. 2021;43(9):1951-1964. doi:10.1111/1467-9566.13367

Dieser Beitrag wurde geschrieben von:

Louisa Zschenderlein

Medizinjournalistin

Louisa ist wissenschaftlicher Redakteur im Redaktionsteam der Endo Health GmbH. Als Medizinexpertin hat sie tiefe Einblicke in aktuelle Forschungsthemen. Diese wertvollen Informationen aufzubereiten und für Betroffene und Interessierte zugänglich zu machen, ist ihre Leidenschaft.


Dieser Text wurde fachlich, nach bestem Wissen und Gewissen, geprüft. Er wurde auf Grundlage der aktuellen Forschung erstellt. Trotzdem können und wollen wir kein ärztliches Gespräch oder ärztliche Aufklärung ersetzen.


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Louisa Zschenderlein

Ich bin Louisa, und ich verbinde meine Leidenschaft für Medizin und Biotechnologie in meiner Arbeit als Medizinjournalistin. Mein Hintergrund als Medizinische Biotechnologin (M. Sc.) und mein laufendes Studium in der Humanmedizin haben mir tiefe Einblicke in die Welt der medizinischen Forschung verschafft. Diese Erfahrungen setze ich mit Begeisterung ein, um neugierige Leserinnen und Leser mit wertvollen Informationen rund um ihre Gesundheit zu versorgen.

veröffentlicht von
Louisa Zschenderlein

 

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