Endometriose an den Beckennerven: Das kann die Neuropelveologie leisten

Womit beschäftigt sich die Neuropelveologie?

Die Neuropelveologie ist eine relativ neue Fachrichtung in der Medizin, die maßgeblich von Marc Possover mitentwickelt wurde. Sie beschäftigt sich mit krankhaften und krankmachenden Vorgängen (Pathologien) des Nervensystems oder einzelner Nerven im Beckenbereich [1]. In der Neuropelveologie werden Pathologien mithilfe verschiedener Verfahren diagnostiziert und behandelt [2]. Welche Methoden angewandt werden, hängt vom individuellen Krankheitsbild ab und sollte in der Regeln von der behandelnden Ärztin beziehungsweise dem behandelnden Arzt und der Patientin gemeinsam entschieden werden.

Warum ist dieses Fachgebiet speziell für Endometriose von Bedeutung?

Die Neuropelveologie ist speziell bei Endometriose oder Adenomyose von Bedeutung, da diese in einigen Fällen das sehr komplexe Nervengeflecht im Beckenbereich betreffen können. Im Beckenbereich liegen außerdem die inneren Genitalorgane, die Blase, der Enddarm und auch viele Muskeln [3]. Das Nervengeflecht im Becken ist zudem wichtig für die Sexualfunktion, die Blasen- und auch die Darmkontrolle [4]. Um hier die richtigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen

zu wählen und durchzuführen braucht es besonders ausgebildete und geschulte Ärztinnen und Ärzte: die Neuropelveologinnen beziehungsweise Neuropelveologen . Mehr Infos zu verschiedenen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie im Rahmen der Neuropelveologie bei Endometriose findest du im Text weiter unten.

Welche Nerven sind bei Endometriose im Beckenbereich meistens betroffen?

Wie schon erwähnt, können bei Endometriose oder Adenomyose auch Nerven im Beckenbereich betroffen sein [5] [6]. In den meisten Fällen handelt es sich dabei entweder um den Plexus Lumbosacralis, den Plexus Sacralis (beides sind Nervengeflechte die mit aus dem Rückenmark entspringenden Spinalnerven verbunden sind) oder den Ischiasnerv (ein besonders dicker Nerv, der aus dem Beckenbereich kommt und bis in die Beine verläuft) [6]. Allerdings können auch andere Nerven oder Bereiche im Becken betroffen sein und es sollte immer im Einzelfall abgeklärt werden ob und welche Nerven betroffen sind.

Vor allem bei einer Endometriose am Ischiasnerv kann es zu schwerwiegenden und einschränkenden Symptomen wie starken Schmerzen in den Beinen, im Gesäß oder im Rücken, Taubheitsgefühlen in den Beinen oder Füßen oder auch zu einer Bewegungseinschränkung der Beine oder Füße kommen [7]. Diese Symptome können oftmals auch mit einem Bandscheibenvorfall verwechselt werden, unterscheiden sich hiervon jedoch vor allem dadurch, dass die Vorderseiten der Oberschenkel schmerzfrei bleiben [7].

Bei einer tiefen Endometriose an Nerven im Beckenbereich ist es besonders wichtig, diese möglichst frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Diese Formen der Endometriose sollten nicht nur hormonell, sondern auch operativ behandelt werden, da ansonsten Schäden an den betroffenen Nerven entstehen können [7]. Nervenschäden können oft nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Welche Diagnose-Verfahren werden in der Neuropelveologie eingesetzt?

In der Neuropelveologie werden verschiedenen Verfahren zur Diagnostik einer Endometriose eingesetzt. Zuallererst sollte immer eine ausführliche Anamnese (Patientinnenbefragung) durchgeführt werden, damit die Ärztin beziehungsweise der Arzt die Symptome richtig einschätzen und passende weitere Methoden zur Diagnostik auswählen kann.

Zu den eingesetzten diagnostischen Verfahren zählen die folgenden:

  1. Untersuchung: Mit einer Untersuchung auf vaginalem und rektalem Wege können geübte Mediziner:innen Veränderungen ertasten und schmerzende Stellen besser lokalisieren, um so das weitere Vorgehen zu planen.
  2. Elektromyographie (EMG): Mit einer Elektromyographie (EMG) können eventuell vorhandene Nervenschäden nachgewiesen und lokalisiert werden [7]. Vorhandene Nervenschäden weisen auf möglicherweise bestehende Endometrioseherde hin und können wichtige Anhaltspunkte für eine Heilungsprognose geben [8].
  3. Ultraschall: Ein Ultraschall wird oftmals verwendet um relativ schnell und einfach um erste Hinweise auf Endometriose im Beckenbereich, und insbesondere auch am Ischiasnerv, zu sammeln [9]. Im Ultraschall kann zudem überprüft werden ob und wie sich endometriales Gewebe beispielsweise während einer medikamentösen Behandlung verändert. Nichtsdestotrotz sollte ein Ultraschall in den meisten Fällen unterstützend zu anderen diagnostischen Verfahren verwendet werden.
  4. Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT): Im MRT, einem bildgebenden Verfahren, können kontrastreich auch tiefere Gewebestrukturen dargestellt werden. Es wird oftmals von Ärztinnen und Ärzten angewandt, wenn eine tiefe oder besonders schwere Endometriose vermutet wird [10]. Es ist wichtig zu wissen, dass MRT nicht gleich MRT ist und verschieden gute Auflösungen und Interpretationen von MRT-Bildern möglich sind. Insbesondere in Endometriose-Zentren werden ausreichend gut aufgelöste Bilder angefertigt und anschließend von Ärztinnen und Ärzten ausgewertet, die in der Erkennung von Endometriose geschult und erfahren sind.
  5. Bauchspiegelung: Um eine definitive Bestätigung der Endometriose im Beckenbereich zu erhalten ist eine Bauchspiegelung (Laperoskopie) notwendig [7]. Diese wird in den allermeisten Fällen minimalinvasiv durchgeführt.

Neben der Diagnostik führen Neuropelveologinnen und Neuropelveologen auch Operationen durch, bei denen endometriales Gewebe im Beckenbereich bzw. an den Nerven chirurgisch entfernt wird. Auch diese Operationen finden in aller Regel per Bauchspiegelung, also minimalinvasiv, statt [7]. Vor allem wenn Nerven betroffen sind ist es wichtig das endometriale Gewebe so exakt wie möglich zu entfernen, um eine Beschädigung der Nerven zu verhindern.

Warum solltest Du Dich von einer Neuropelveologin oder einem Neuropelveologen operieren lassen?

Bei Endometriose im Beckenbereich geht es, insbesondere wenn Nerven betroffen sind, um sehr komplexe Operationen. Neuropelveologinnen und Neuropelveologen kennen sich mit diesen aus und sind in der Lage, die Operationen minimalinvasiv durchzuführen. Wie oben schon beschrieben, ist es wichtig insbesondere betroffene Nerven so vollständig wie möglich zu erhalten, um zum Beispiel Sexualfunktionen, Blasen- und Darmkontrolle, oder auch die Bewegungsfähigkeit nicht oder nur so wenig wie möglich einzuschränken.

Auch wenn andere Operateurinnen und Operateure über viel Wissen und Erfahrungen verfügen, hat eine Neuropelveologin oder ein Neuropelveologe den Vorteil von hochspezialisiertem Wissen mit solcherlei Operationen, was einen entscheidenden Vorteil bei Operationserfolg und der Heilungsprognose machen kann. Viele, nicht hierauf spezialisierte Ärztinnen und Ärzte sind zudem leider nach wie vor nicht ausreichend für die Erkennung und Therapie von (tiefer) Endometriose sensibilisiert. Auch in der medizinischen Ausbildung findet dieses Thema nur begrenzt Anerkennung. Daher ist es wichtig, dass du für die Diagnostik und Therapie nach Möglichkeit in ein Endometriose-Zentrum gehst. Auch außerhalb von Zentren gibt es Ärztinnen und Ärzte, die sich mit Endometriose auskennen.

Wo finden Betroffene entsprechende Expertinnen und Experten, gibt es diese in jedem Endometriose-Zentrum?

Die Neuropelveologie ist ein relativ neues Feld in der Medizin und die Suche nach Ärztinnen und Ärzten in diesem Fachbereich kann sich deshalb als schwierig erweisen. Denn es gibt noch nicht so viele Neuropelveologinnen und Neuropelveologen. Es gibt jedoch einige Ärztinnen und Ärzte, die Weiterbildungen zu diesem Thema gemacht haben und geeignete Expertinnen beziehungsweise Experten sind. Ärztinnen, die ein Zertifikat der International Society of Neuropelveology (ISON) haben, sind eine gute Anlaufstelle. Sie sind meist an Endometriose-Zentren zu finden, allerdings ist nicht in jedem Zentrum auch eine Neuropelveologin beziehungsweise ein Neuropelveologe tätig.

Besonders die Klinik von Prof. Possover in Zürich (Schweiz), dem Begründer der Neuropelveologie, ist für komplexere Fälle mit Beteiligung der Nerven eine geeignete Anlaufstelle. Dabei handelt es sich jedoch um eine Privatklinik, die nicht für jede Person erreichbar und bezahlbar ist. Insgesamt gibt es leider momentan noch zu wenige neuropelveologische Angebote für den großen Bedarf.

Fazit

Die Suche nach einer geeigneten Neuropelveologin beziehungsweise einem geeigneten Neuropelveologen kann sich schwierig gestalten. Der Aufwand und die Mühe sind es jedoch wert und wir möchten dich darin bestärken, dich nicht entmutigen zu lassen! Vielleicht bist Du in Kontakt mit anderen Betroffenen oder hast Freundinnen beziehungsweise Freunde oder Familienmitglieder, die Dich bei der Suche unterstützen können? Denn das komplexe Nervengeflecht im Becken erfordert besonders ausgebildete und geschulte Ärztinnen und Ärzte.

Weitere Infos zu diesem Thema findest du auch im Interview mit Prof. Ibrahim Alkatout.

Referenzen

[1] Possover, M., Andersson, K. E., & Forman, A. (2017). Neuropelveology: an emerging discipline for the management of chronic pelvic pain. International Neurourology Journal, 21(4), 243.

[2] Possover M. Neuropelveology: An Emerging Discipline for the Management of Pelvic Neuropathies and Bladder Dysfunctions through to Spinal Cord Injury, Anti-Ageing and the Mars Mission. J Clin Med. 2020 Oct 13;9(10):3285. doi: 10.3390/jcm9103285. PMID: 33066247; PMCID: PMC7656309.

[3] Lemos N, D’Amico N, Marques R, Kamergorodsky G, Schor E, Girão MJBC. Recognition and treatment of endometriosis involving the sacral nerve roots. Int Urogynecol J. 2016;27(1):147–50.

[4] Dietrich-Bonhöffer-Klinikum (n.D.). Informationsblatt Neuropelveologie/Endometriose. Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. https://dbknb.de/gyn/leistungen/neuropelveologie-und-endometriose

[5] Usta, T., & Khazali, S.. (2022). Pelvic Nerve Endometriosis (Neuropelveology) (pp. 251–270).

https://doi.org/10.1007/978-3-030-97236-3_21

[6] De Sousa ACS, Capek S, Amrami KK, Spinner RJ. Neural involvement in endometriosis: review of anatomic distribution and mechanisms. Clin Anat. 2015;28(8):1029–38.

[7] Possover, M. (2023, August). Endometriose des Ischiasnervs und der Sakralwurzeln: Diagnose und Behandlung im Rahmen der Neuropelveologie.  https://blog.possover.com/de/neuropelveologie/endometriose-des-ischiasnervs-und-der-sakralwurzeln-diagnose-und-behandlung-im-rahmen-der-neuropelveologie

[8] Niro J, Fournier M, Oberlin C, Le Tohic A, Panel P. Endometriotic lesions of the lower troncu-lar nerves. Gynecol Obstet Fertil. 2014;42(10):702–5.

[9] Arányi Z, Polyák I, Tóth N, Vermes G, Göcsei Z. Ultrasonography of sciatic nerve endometrio-sis. Muscle Nerve. 2016;54(3):500–5.

[10] Endo-App (n.D.). Endometriose an den Beckennerven: Ein Interview mit Prof. Ibrahim Alkatout.

Bist du bereits mit der Neuropelveologie in Berührung gekommen und kannst darüber berichten?

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Tom Lühmann