Aktuelle Forschung zu Endometriose: Ein Interview mit Dr. Liza Ball

Wir haben in unseren qualitativen Interviews gehört, dass mit Schmerzen alles schwieriger ist. Das schmälert aber nicht die große Chance, die Apps und Telemedizin an sich darstellen.“

Charlotte Weber: Würden Sie so freundlich sein, sich unseren Leserinnen vorzustellen? 

Dr. Liza Ball: Mein Name ist Elizabeth, oder Liza, Ball. Ich arbeite als Gynäkologin in London in einem großen Universitätskrankenhaus in einem Viertel mit vielen Patientinnen mit Migrationshintergrund. Vor etwa zehn Jahren habe ich ein Endometriosezentrum gegründet.

Wir behandeln hauptsächlich Patientinnen mit höhergradiger Endometriose. Im Laufe meiner Arbeit kam eine Forschungsfrage auf. Ich sah in meinem Alltag, dass einige Frauen schlechter auf die laparoskopische Therapie und die Entfernung der Endometriose reagierten. Ich hatte das Bedürfnis, mehr Informationen für prognostische Gespräche zu haben, um den Menschen sagen zu können, wie viel Hoffnung sie haben können, dass eine Operation helfen wird.

Im Laufe der Jahre habe ich mehr und mehr verstanden, dass die Operation ein neues Kapitel in der medizinischen Geschichte darstellt und dass sie am besten funktioniert, wenn zusätzliche Änderungen des Lebensstils, wie man hier sagt, einbezogen werden. Als Prähabilitationsmaßnahmen möchte ich Sport, Ernährung und Physiotherapie nennen. Auch Entspannungstechniken gehören dazu.

Das sind wichtige Dinge, vor allem jetzt, da wir wissen, dass neuromodulatorische Medikamente nicht gut wirken. Das hat sich kürzlich gezeigt. Die drei Säulen der Endometriosetherapie sind Chirurgie, Hormone und Schmerztherapie. In den Krankenhäusern, in denen ich arbeite, habe ich festgestellt, dass viele Frauen während und nach der COVID-19-Pandemie zögern, Hormone oder Anti-Hormone zu nehmen. Ich habe dies in den sozialen Medien verfolgt. Es scheint eine Bewegung in der Bevölkerung zu geben, die Hormone nicht akzeptiert, obwohl sowohl eine gute Schmerzbehandlung, gute Hormone als auch eine Operation helfen können.

Über Dr. Liza Ball

Dr. Liza Ball arbeitet als Gynäkologin in London in einem großen Universitätskrankenhaus. Ihre Forschung befasst sich mit der Frage, welche Einflussfaktoren entscheidend sind, ob eine Laparoskopie den gewünschten Erfolg bringt oder nicht. 

Liza Ball sitzt auf einem Stuhl und trägt einen OP-Kittel.

Vor diesem Hintergrund habe ich die Frage gestellt, ob man den Erfolg einer Operation, den wir als Verbesserung der Schmerzen definiert haben, anhand von Faktoren vorhersagen kann, die man vor oder während der Operation erheben kann. Im therapeutischen Gespräch kann man also sagen: „Sie gehören zu der Gruppe, bei der ich die Hoffnung habe, dass es Ihnen nach der Operation besser gehen wird“, oder: „Die Operation kann einen Nutzen bringen, aber es könnte hilfreich sein, zusätzlich andere Dinge zu betrachten.“ Das war der Ansatzpunkt.

Charlotte Weber: Das kann ich mir gut vorstellen. Es gibt viele junge Patientinnen. Da will man nicht operieren, wenn man wenig Hoffnung hat, dass es etwas bringt. Wie kam es dazu, dass Sie so viel Endometriose operieren? Es gibt schließlich noch viele andere gynäkologische Erkrankungen.  

Dr. Liza Ball: Ich habe in der Fetalmedizin angefangen. Dafür bin ich sehr dankbar. Es gab einen Moment, in dem einer meiner Mentoren sagte: „Deine Linke und rechte Hand sind gleich gut. Du musst eine Laparoskopie machen.“ Das war für mich immer ein großes Bedürfnis und ein Grund, warum ich nach England ging.

Damals sah ich dort bessere Karrierechancen als in einem operativen Fachgebiet. Als ich mich qualifizierte, sahen diejenigen, die meine Karriereberatung durchführten, vor, dass ich eine Praxis eröffnen würde, nicht die Krankenhausmedizin. Das wollte ich nicht tun. Ich hatte später Mentoren, die sagten: „Liza, willst du wirklich sieben Stunden lang im OP stehen und Endometriose herausschneiden?“ Ja, ich will!  

Das ist ein großes Bedürfnis für mich. Was mir immer wieder Energie gibt, ist eine Rekonstruktion der Anatomie zu schaffen. Endometriose führt zu Verwachsungen. Diese Verwachsungen, so wie ich sie unter anderem durch meine Forschung verstehe, sind ein großer Teil des Schmerzempfindens.

Die Fibrose und die Tatsache, dass sich die Organe nicht mehr so elastisch bewegen können, wie sie es gerne möchten, tragen ebenfalls dazu bei. Der Moment, in dem ich die Endometriose herausschneide und alle Organe, die vorher zusammengeklebt waren, wieder frei atmen können, ist großartig. 

Charlotte Weber: Das ist das Richtige für Sie. Man sieht direkt was man Gutes tut.   

Dr. Liza Ball: Ja, das gibt mir sehr viel. Das ist immer ein positiver Moment für mich. Das gebe ich auch an meine Kollegen, meine Assistenzärzte, weiter.

Charlotte Weber: Welche Parameter haben Sie für das Vorhersagemodell ermittelt oder untersucht?   

Dr. Liza Ball: Wir haben herausgefunden, dass die Endometriose, die möglicherweise schlechter auf die Operation anspricht – oder, anders formuliert, bei jenen, bei welchen die Schmerzerleichterung gering ist – die sogenannte Surface-Endometriose, also Oberflächen-Endometriose, ist.  

Man klassifiziert sie mit Hilfe des AFS-Stadiums eins und zwei. Liegt Endometriose auf der Oberfläche des Peritoneums, scheint die Schmerzerleichterung nach einer OP geringer zu sein.  

Die Faktoren, die mir am meisten erinnerlich sind und für mich Sinn machen, sind folgende. Wenn wir während der Operation beobachtet haben, dass Endometriose in den Ovarien war, oder wenn Endometriose in den uterosakralen Ligamenten war. 

Das sind Muskelbänder, die die Gebärmutter stabilisieren. Sie verlaufen oberhalb der Scheide auf Höhe der Zervix. Sie sind ein Hotspot für Endometriose. 

Mir scheint, dass sie die Ligamente als Portal verwendet, um tiefe Endometriose zu werden. Das waren für mich Schlüsselpunkte. Wenn ich die Endometriose dort erwischen konnte, habe ich häufig Leute gehabt, die über viele Jahre keine weitere tiefe Endometriose bekommen haben. Ovarial-Endometriose kann immer wieder auftreten, aber ich habe das Gefühl, dass diese uterosacralen Ligamente wichtig sind. Tatsächlich waren in unseren Modell Leute, die eine uterosacrale Lokation hatten und bei denen die Eierstöcke, also Ovarien, befallen waren.

Das waren Prädiktoren für besonders guten OP-Erfolg im Rahmen der Schmerzerleichterung. Natürlich waren wir enttäuscht, weil wir gerne wissen würden, ob man es vorher im Sprechzimmer sagen kann. Das Gute ist, dass sowohl Ovarial-Endometriose als auch die Ligamente, von denen ich eben gesprochen habe, durch eine vaginale Ultraschalluntersuchung bereits vorher erkannt werden können. 

Diese beiden Endometriose-Typen kann man durch einen einfachen Ultraschall erkennen. Ovarialzysten kann man früh in seiner Ultraschallkarriere sehen. Die Ligamente oder die hinter dem Muttermund entstehenden Vernarbungen können mit etwas Übung durch den Gynäkologen erhoben werden. Die beiden Dinge sind bereits zwei gute Bausteine, von denen man sagen könnte, das ist vielversprechend für eine Operation. 

Charlotte Weber: Welche Rolle spielen andere bildgebende Verfahren als der bereits erwähnte Ultraschall?    

Dr. Liza Ball: Wenn ich Leute habe, die diese retrozervikalen Vernarbungen haben, ist das für mich ein Wegweiser, zu denken, dass möglicherweise eine Infiltration des Enddarms abgelaufen ist. Nicht durch mein Modell, aber durch meine klinische Erfahrung sage ich Folgendes.

Die Schmerz-Scores für Regelschmerzen und für Schmerzen bei Geschlechtsverkehr erreichen häufig sieben von zehn und mehr. Gemeinsam mit Schmerzen beim Stuhlgang, besonders während der Periode, und meinem Untersuchungsbefund würde ich ein MRT mit Gadolinium vorschlagen. Das ist ein Kontrastmittel. Damit kann man von der Endometriose, die die Verdauungswege befällt, eine Art Landkarte erstellen. Das ist wichtig für jemanden, der ein Endometriose-Zentrum hat. Wenn diese Patienten eine OP wollen, muss man einen Darmchirurgen dabeihaben, damit man es zusammen gut meistern kann, ohne Verletzungen zu setzen.

Die OP muss zusätzlich geplant werden und die Patienten müssen wissen, was sich dort abspielt. Schwere Entscheidungen sollten nicht getroffen werden müssen, ohne sie vorher im anamnestischen und präoperativen Gespräch besprochen zu haben. Je besser man vorbereitet ist, desto besser. Man kann sagen, dass ich meinen eigenen Algorithmus benutze, wenn ich mir Leute ansehe, bei denen möglicherweise diese intestinale Endometriose vorliegt. 

Charlotte Weber: Wenn Sie sich das in Zukunft weiter ansehen wollen, haben Sie bereits einen genauen Plan, Bögen oder bestimmte Scores, die man vorher erhebt?    

Dr. Liza Ball: Ja. Ich halte es für wichtig, und das mache ich in meiner Klinik routinemäßig, bei der Erstuntersuchung nach den verschiedenen Formen von Endometrioseschmerzen zu fragen. Gibt es nichtzyklische Schmerzen, periodische Schmerzen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schmerzen beim Stuhlgang oder Schmerzen beim Wasserlassen?

Ich erhebe ohnehin alle diese Schmerzwerte. Sie sind auch in unser Modell eingeflossen. Wenn Sie Modelle entwickeln, ist die Validierung wichtig. Sie wollen, dass die Modelle sinnvolle Vorhersagen machen. Sie sollen nicht nur für die Gruppe funktionieren, mit der Sie die Studie durchgeführt und die ursprünglichen Daten erhoben haben, sondern auch für neue Patienten. Wir arbeiten an dieser Validierung. Wir hatten guten Erfolg mit der internen Validierung, d. h. mit der großen Gruppe von Endometriose-Patientinnen, mit deren Daten wir das Modell erstellt haben.

Wir hatten zusätzlich andere Datenbanken aus anderen Studien. Sie waren jedoch alt und klein. Ich finde es aber gut, dass wir einen internationalen Kontext haben. Es wäre ideal, eine andere große Datenbank in einem anderen Land zu finden, in dem weiteren Arbeiten zur Validierung des Modells durchgeführt werden können. Wir haben die Originaldaten aus einer nationalen Datenbank. Hier im Vereinigten Königreich müssen alle Endometriosezentren für ihre eigene Validierung und Anerkennung als Endometriosezentrum operative und präoperative Daten, einschließlich aller gerade erwähnten Schmerzwerte, in eine Datenbank eingeben.

In dieser Datenbank befanden sich Tausende von Patientendaten. Sie wurden natürlich anonymisiert. Wir haben diese Daten verwendet, um das ursprüngliche Modell zu erstellen. Jetzt bin ich auf der Suche nach einer weiteren Datenbank dieser Größe, um sie zu validieren und eine Feinabstimmung unseres Modells vorzunehmen.

Charlotte Weber: Das ist ein spannendes Thema. Ich denke, es ist genauso spannend für die Patienten selbst. Die Diagnose ist schwierig, es dauert lange. Sie haben einen langen Leidensweg hinter sich und fühlen sich nicht verstanden, weil niemand dem Ganzen einen Namen gibt, was es sein könnte.  

Dr. Liza Ball: Es ist schmerzhaft, wenn Menschen ein Leiden haben, das sich auf ihr Leben auswirkt, und dann mit den Schultern zucken, weil man das als Frau durchmachen muss und nichts tun kann. Man kann viele Dinge tun und gut mit Endometriose leben.

Charlotte Weber: Sie hatten multimodale Therapie, Physiotherapie und andere erwähnt. Haben Sie Kontakt mit einer digitalen Unterstützung, zum Beispiel einer App, aufgenommen? 

Dr. Liza Ball: Ja, ich habe mit der Gruppe zusammengearbeitet, die Headspace entwickelt hat. Wir haben an dem Schmerzmodul gearbeitet, das jetzt auf der Headspace-Plattform zu finden ist. Wir haben uns etwas Interessantes einfallen lassen. Als es um Apps ging, bestand unsere Fokusgruppe aus Frauen, die abends Zeit hatten, die also keine Kinder hatten oder reich genug waren, um sich ein Kindermädchen zu leisten. Sie fanden die App wunderbar und nutzten sie ständig. Sie waren begeistert von ihr.  

Als wir sie bei unseren Studienfrauen einsetzten, die meist Migrantinnen und große Frauen waren, hatten sie ein weniger natürliches Verhältnis zu Apps. Sie haben die App nicht ausreichend genutzt, obwohl sie ein großartiges Geschenk sein kann. Sie war sechs Monate lang kostenlos. Die Nutzung einer App, die sonst viel Geld kostet, kann ein Vorteil sein. Das ist meine Erfahrung mit Apps.

Apps sind gut für Menschen, die sich selbst in einer Gruppe sehen, die von Apps profitiert. Wenn man jedoch Menschen mit Apps bekannt macht, zu deren Lebenskreis sie nicht gehören, ist es schwieriger. 

Charlotte Weber: Ich denke, es ist wichtig, auf den Patienten einzugehen. Man muss sehen, dass die Physiotherapie einer Person hilft, weil sie es will und dafür offen ist, und einer anderen nicht. Vor allem bei den Schmerzen, die unterschiedlich sind, braucht man Werkzeuge, die man je nach Patientin einsetzt. 

Dr. Liza Ball: Es ist schön, das haben wir in Fokusgruppen oft gehört, dass sie es immer dabeihaben. Sie brauchen dafür keinen Arzt. Um es menschlich auszudrücken: Eine App kann auch Trost spenden.

Charlotte Weber: Ja, man kann sich informieren, sich selbst begleiten und besser beobachten. Aber man muss es gerne tun. Ich glaube nicht, dass es irgendetwas ersetzen kann, aber unterstützend ist es sicherlich eine gute Sache für viele  

Dr. Liza Ball: Wir haben in unseren qualitativen Interviews gehört, dass mit Schmerzen alles schwieriger ist. Das schmälert aber nicht die große Chance, die Apps und Telemedizin an sich darstellen. 

Charlotte Weber