Endometriose, Reizdarm und Essstörungen – Stimme aus der Praxis

Eine im letzten Jahr erschienene Studie aus Frankreich versuchte in ihrer Publikation eine Verbindung zwischen Endometriosepatient:innen, Reizdarm und Essstörungen herzustellen. Die Patient:innen wurden aus der CIRENDO-Kohorte rekrutiert, in die histologische Daten von 18 bis 50 Jahre alten Endometriose Betroffenen, seit Juni 2009 eingeflossen sind. Eingeschlossen wurden dabei nur die Fälle deren Diagnose nicht mehr als vier Jahre zurücklagen und die sich bereit erklärten an der ENDONUT Pilotstudie teilzunehmen. 54 Betroffenen erklärten sich bereit an der Studie teilzunehmen. Auf Basis dieser Fälle wurde dann in statistischen Auswertungen eine signifikante Verbindung zwischen Reizdarm, Essstörungen und Endometriose festgestellt [1]. Natürlich muss dieses Ergebnis mit einer größeren Studie belegt werden, aber sie zeigt ein Phänomen, welches auch in der Ernährungsberatungspraxis zu beobachten ist: Nämlich, dass gerade bei chronischen Schmerzerkrankungen wie Endometriose und Reizdarm die Wahrscheinlichkeit an einer Essstörung zu erkranken höher sein kann.

Reizdarm oder Endobelly?

Viele Endometriose Betroffene kennen das Problem Endobelly, das als Symptom oft mit der Ausschlussdiagnose Reizdarm in Verbindung gebracht wird (mehr zum Reizdarm hier). Das Meiden von bestimmten Lebensmitteln, aber auch eine allgemein als gesund angesehene Ernährung, kann dabei helfen, die Bauchschmerzen in den Griff zu bekommen und den Körper dabei unterstützen, die Endometriose in Schach zu halten. Was das mit Essstörungen zu tun haben kann, ist erstmal nicht so eindeutig.

Orthorexie oder auch Orthorexia nervosa, …

…bezeichnet ein zwanghaft gesundes Essverhalten, das nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft aber noch nicht als Erkrankung in der ICD-Codierung (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) anerkannt ist. Die Gründe für ein solches zwanghaft gesundes Essen können unterschiedliche psychologische und physiologische Ursachen haben. Viele essen jedoch sehr bewusst aus der Angst eine chronische Erkrankung zu bekommen oder (bereits bestehende) Lebensmittelunverträglichkeiten zu verschlimmern [2]. Was erst einmal gar nicht so schlimm klingt, ist für die Betroffenen oft eine Tortur. Die Freude am Essen geht verloren und die soziale Abgrenzung, die vielleicht durch eine chronische Erkrankung schon begonnen hat, setzt sich möglicherweise weiter fort. Weitere Folgen können Mangelernährung, Gewichtsverlust und auch ein Ausbleiben des Zyklus sein. Orthorexie wird aktuell mehr als die Vorstufe einer Essstörung angesehen, ist aber gerade vor dem Hintergrund von bereits bestehenden chronischen Erkrankungen durchaus ein wichtiges Merkmal für Behandelnde.

Denn nicht selten werden aus der Angst, die Erkrankung – in unserem Fall die Endometriose – weiter zu befeuern, sehr strikte Diäten eingehalten. Dass diese Diäten gerade psychologisch meist mehr verschlimmern als verbessern ist zumindest denen klar, die schon einmal versucht haben eine solche Diät über einen längeren Zeitraum einzuhalten. Man überlegt sich genau, ob man zu Geburtstagen geht, weil es da bestimmt nichts gibt, was in den Diätplan passt und kapselt sich schlimmstenfalls komplett von sozialen Aktivitäten ab. So kann eine Abwärtsspirale beginnen, die nicht selten therapeutisches Eingreifen benötigt.

Über Nicole

Nicole Heinze arbeitet als Ernährungsberaterin und ist zusätzlich an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) angestellt. Dort hat sie zu den verschiedensten Ernährungsthemen geforscht und bereits ein Buch veröffentlicht.

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Nicoles Buch:
Ernährung und Endometriose. Zusammenhänge, Hindernisse und Möglichkeiten
Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2018.
ISBN: 978-3-96146-615-3

Endometriose und Psyche – Was die Diagnosedauer damit zu tun haben kann

Sowohl bei Reizdarm als auch bei der Endometriose ist man oft bis zur Diagnose mit seinen Beschwerden auf sich gestellt, was gerade bei einer Diagnosezeit über fünf Jahren bei Endometriose massive Einbußen in der Lebensqualität bedeutet [3], [4]. Auch die Unkenntnis vieler Ernährungsfachkräfte über das Thema Endometriose und den Leidensdruck, der damit einhergeht, begünstigen eine Fehlinformation vieler Betroffenen in Ernährungsfragen.

Umdenken für mehr Lebensqualität

Die Überforderung mit der Frage: „Was tut mir gut?“, gepaart mit einem fehlenden Vertrauen in den eigenen Körper, lassen einige betroffene Personen in Extreme abdriften, um die Kontrolle über ihren Körper zumindest vermeintlich wiederzubekommen. Das Ergebnis dieser doch eher kleinen Studie ist somit nicht verwunderlich, spiegelt sogar vielmehr den Bedarf nach mehr verlässlichen Informationen wider, um über die Ernährung besonders Endobelly, Regelschmerzen und Co. den Kampf anzusagen. Dazu muss ein Umdenken stattfinden bei Ernährungsfachkräften und Endometriose Betroffenen. Weg vom Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip, oder der ausschließlichen Gabe von Medikamenten hin zu einem individuellen, ganzheitlichen und körperorientierten Ansatz. Lebensmittel als das sehen, was sie sind: Ressourcen, um unseren Körper zu nähren und mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen. Wir haben in unserer westlichen Welt den Luxus, dass wir das essen können, was unserem Körper guttut, dass unser Körper im Grunde keinen Mangel leiden muss und doch schaffen wir es regelmäßig, ihm zu wenig von den Lebensmitteln zu geben, die gut für uns sind.

Was ziehen wir also aus dieser Studie?

Der Weg zu einer guten Ernährung ist ein individueller, einer der viele Faktoren mit einbezieht und sowohl die Ängste der Betroffenen mindert als auch die Verbindung zum Körper wieder herstellt. Egal ob die Ausschlussdiagnose Reizdarm, eine Essstörung oder eine andere Erkrankung parallel zur Endometriose festgestellt wurde, hol dir jede Hilfe, die du bekommen kannst und versuch so deine individuellen Herausforderungen ganzheitlich anzugehen. Du hast nur den einen Körper, in all seiner Komplexität und mit seinen kleinen und großen Herausforderungen, versuch ihn zu verstehen, denn nur so kannst du für dich sorgen und Frieden mit ihm schließen. Und dass dafür das beste Team, was du kriegen kannst, gerade gut genug ist, sollte fast selbstverständlich und du es dir wert sein.

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Referenzen

  1. Aupetit A, Grigioni S, Roman H, Coëffier M, Bréant A, Hennetier C, Achamrah N. Association between Endometriosis, Irritable Bowel Syndrome and Eating Disorders: ENDONUT Pilot Study. J Clin Med 2022. doi:10.3390/jcm11195773.
  2. Valente M, Syurina EV, Muftugil-Yalcin S, Cesuroglu T. „Keep Yourself Alive“: From Healthy Eating to Progression to Orthorexia Nervosa A Mixed Methods Study among Young Women in the Netherlands. Ecol Food Nutr. 2020;59:578–97. doi:10.1080/03670244.2020.1755279.
  3. Brandes I, Kleine-Budde K, Heinze N, Binder S, Klug C, Schippert C, et al. Cross-sectional study for derivation of a cut-off value for identification of an early versus delayed diagnosis of endometriosis based on analytical and descriptive research methods. BMC Women’s Health. 2022;22:521. doi:10.1186/s12905-022-02044-x.
  4. Sims OT, Gupta J, Missmer SA, Aninye IO. Stigma and Endometriosis: A Brief Overview and Recommendations to Improve Psychosocial Well-Being and Diagnostic Delay. Int J Environ Res Public Health 2021. doi:10.3390/ijerph18158210.

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