Endometriose & Gender

Disclaimer

Wir haben uns viel Mühe gegeben, diesen Text inklusiv zu gestalten und eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Solltet Ihr Verbesserungsvorschläge haben oder euch an bestimmten Stellen eine andere Sprache und/oder einen anderen Ton wünschen, dann kontaktiert uns gerne. Wir verstehen, dass dieser Beitrag Themen enthält, die für einige Menschen sensibel sind, und möchten unser Bestes tun, respektvoll mit diesen Themen und allen Menschen umzugehen.

Endometriose ist eine Krankheit, die zunächst einmal fast nur Frauen betrifft. In Einzelfällen können auch Männer betroffen sein, zum Beispiel nach einer hochdosierten Östrogentherapie bei Prostatakrebs. Eine andere Gruppe, die neben Frauen von Endometriose betroffen sein kann, sind Transpersonen, die mit Gebärmutter und Eierstöcken geboren wurden, sich aber mit einem anderen Geschlecht identifizieren. Dieser Blogbeitrag soll euch einen Einblick darin geben, wie Endometriose und Gender zusammenhängen, inwieweit Transpersonen von Endometriose betroffen sein können, und wie der aktuelle Stand der Forschung ist.

Endometriose: Inklusive Aufklärung und Forschung für alle Geschlechteridentitäten

Wir von der Endo-App finden es wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass Endometriose nicht ausschließlich Frauen betrifft, die sich auch als Frauen identifizieren. Lange Zeit wurde diese Krankheit, wie viele andere, die vorwiegend Frauen betreffen, von der Medizin und Forschung vernachlässigt. Obwohl es positive Entwicklungen und vielversprechende Forschungsergebnisse zu Diagnose- und Therapiemöglichkeiten gibt, bestehen immer noch erhebliche Wissenslücken.

Insbesondere im Hinblick auf Transpersonen sind die Informationslücken bei Endometriose besonders groß, wie weiter unten im Text erläutert wird. Die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit und Forschung für Endometriose bei diesen Menschen bedeutet keineswegs eine Verringerung der Aufmerksamkeit und Forschung für Frauen. Im Gegenteil: Ein umfassendes Verständnis von Endometriose und die Entwicklung optimaler Diagnose- und Therapiemöglichkeiten erfordern, dass alle Betroffenen berücksichtigt werden.

Was ist eigentlich Gender?

Gender ist ein Begriff der ursprünglich aus dem Englischen kommt und im Deutschen mit „Geschlecht“ übersetzt werden kann. Der Begriff Gender bezieht sich dabei jedoch vor allem auf das soziale Geschlecht, also die individuelle Identität und soziale Rolle jedes Menschen in Bezug zu dem Geschlecht [1]. Auch die Bewertung und Rolle von Geschlecht in der Gesellschaft spielen dabei eine Rolle. Das Gender einer Person muss nicht zwangsläufig mit dessen biologischem Geschlecht übereinstimmen, eine biologische Frau versteht sich also nicht unbedingt auch als soziale Frau.

Das Genderkompetenzzentrum der Humboldt Universität Berlin schreibt hierzu: „Geschlecht ist keine natürliche Gegebenheit. Die Tatsache, dass es Frauen und Männer gibt und diese als zwei unterschiedliche Gruppen von Menschen wahrgenommen werden, ist vorrangig das Ergebnis einer Reihe von gesellschaftlichen Zuschreibungen und Erwartungen, die durch Erziehung, Medien, Rollenvorstellungen und Normen vermittelt werden. Das biologische Geschlecht ist also nicht die Grundlage von Gender, sondern immer ein Teil von Gender“ [2].

Eine andere Bezeichnung für Menschen, deren biologisches Geschlecht mit deren Geschlechtsidentität übereinstimmt, ist „cis“. Der Sexualwissenschaftler Volkmar Busch hat den Begriff „zissexuell“ 1991 als Gegenbegriff zu „transsexuell“ geprägt. [3] Eine Frau, der bei ihrer Geburt anhand ihrer äußerlichen Merkmale das Geschlecht weiblich zugewiesen wurde und die sich auch im weiteren Verlauf ihres Lebens mit dem weiblichen Geschlecht identifiziert, ist demzufolge eine Cis-Frau.

Endometriose-Häufigkeit bei Transmenschen

Transpersonen stehen oft vor besonderen Herausforderungen, wenn sie Endometriose haben. Diese hängen nicht immer direkt mit Endometriose zusammen, sondern oft mit einem grundsätzlich schlechteren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und den Personen, die diese anbieten [4]. Schlechterer Teilhabe an der Gesellschaft und an medizinischer Versorgung hängen oft mit Diskriminierung und struktureller Benachteiligung zusammen, die sich unter anderem in wenig Wissen unter medizinischem Personal zu transspezifischen Symptomen, Erkrankungen und Besonderheiten ausdrücken können.

Der aktuelle Stand der Forschung gibt zu den Besonderheiten von Endometriose bei Transpersonen leider aktuell noch nicht sehr viel her, es gibt hier also nach wie vor eine große Lücke. Diese wird auch von Forschenden um Alexandre Vallée [5] und von Cecile Ferrando [6] in ihren jeweiligen Übersichtsartikeln festgestellt. Eine der Studien, die durchgeführt wurden, untersuchte die Häufigkeit von Endometriose unter Transmännern, die sich einer Hysterektomie (Entfernung des Uterus) zur Geschlechtsangleichung unterzogen haben [7]. Diese zeigte, dass knapp 27 Prozent der untersuchten Personen Endometriose hatten. Bei denjenigen, die Schmerzen im Beckenbereich hatten, wurde dabei häufiger Endometriose (32 Prozent) nachgewiesen als bei denjenigen ohne solche Schmerzen (22 Prozent). Eine andere Studie untersuchte die Häufigkeit von Endometriose unter Transmännern, die sich einer hormonellen Geschlechtsangleichung unterzogen haben und bei denen eine Dysmenorrhöe (Schmerzen im Zusammenhang mit der Menstruation) festgestellt wurde [8]. Von diesen Studienteilnehmern wurde im Rahmen der Studie bei 20 Prozent Endometriose diagnostiziert. Die Ergebnisse dieser Studien geben zwar keinen klaren Hinweis auf die generelle Häufigkeit von Endometriose unter Transmännern, verdeutlichen jedoch, dass Endometriose in nicht geringer Häufigkeit auch bei ihnen vorkommt. Auch eine Hormontherapie oder Entfernung des Uterus scheint nicht zwangsläufig zu einem vollständigen Rückgang aktiver Endometriose zu führen.

Besondere Krankheitsaspekte bei Transmenschen

Auch die Pathophysiologie – so nennen Mediziner:innen die Lehre von krankhaften Veränderungen am Körper – von Endometriose unterscheiden sich bei Transmännern im Vergleich zu Cis-Frauen. Dies kommt zum Beispiel durch hormonelle Veränderungen bei geschlechtsangleichenden Therapien zustande. So zeigte eine Studie von Asseler et al. [9] eine verringerte Dicke des Endometriums bei Transmännern, die eine Testosteronbehandlung zur Geschlechtsangleichung bekamen.

Wie genau Endometriose bei Transmenschen nach einer Hormonbehandlung funktioniert ist unklar. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass extern zugeführtes Testosteron in bestimmten Geweben zu Estradiol umgewandelt wird, und dass diese Umwandlung damit im Zusammenhang steht [7]. Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Hypothesen wie dieses verdeutlichen, wie wenig die Auswirkungen von Hormonbehandlungen und Geschlechtsangleichungen auf das Endometrium und auch auf Endometriose erforscht sind.

Endo-Diagnose bei Transmenschen

Wie du vielleicht schon weißt oder sogar selbst erfahren hast, dauert es bei Cis-Frauen oft sehr lange, bis eine Endometriose sicher diagnostiziert wurde. Bei Transmenschen führen die zuvor genannten Dinge oftmals auch zu sehr großen Herausforderungen bei der Diagnose. Es gibt zwar keine Daten dazu, wie lange die durchschnittliche Zeit bis zur Diagnose dauert, sie wird aber in vielen der zuvor genannten Studien als große Herausforderung benannt.

Gründe für eine späte Diagnose von Endometriose bei Transmenschen sind oft ähnlich wie die Gründe bei Frauen. Zusätzlich dazu wird Endometriose aber von vielen Menschen und auch von Medizinern und Medizinerinnen nicht als Krankheit wahrgenommen, die auch Transmänner betreffen kann. Auch sind die Symptome von Endometriose bei Transmännern im Vergleich zu Cis-Frauen oft unterschiedlich [10], was sich oft auf die schon angesprochene Hormonbehandlung zur Geschlechtsangleichung zurückführen lässt [11].

Was wir tun können

Endometriose diskriminiert nicht nach Gender, sie trifft Menschen unabhängig von ihrem sozialen Geschlecht. Wir sollten diese Tatsache anerkennen und verstehen, dass Endometriose auch und insbesondere für Transmänner eine enorme Herausforderung darstellt. In dieser Zeit sollten wir uns miteinander vernetzen, eine inklusive Gemeinschaft schaffen und uns gegenseitig unterstützen. Es ist von großer Bedeutung, dass wir uns für die Berücksichtigung von Transmenschen in der Forschung, in der Politik, im Gesundheitswesen und im Alltag einsetzen.

Durch die gemeinsame Vernetzung und Unterstützung können wir dazu beitragen, eine gerechtere Welt zu gestalten. Endometriose ist keine leichte Erkrankung, und der Weg zur Diagnose und zur geeigneten Therapie kann langwierig sein. Aber gemeinsam können wir dazu beitragen, dass auch Transmenschen, die von Endometriose betroffen sind, ein Leben nach ihren Wünschen führen können.

Die Geschichte der Endometriose hat gezeigt, dass durch Aufmerksamkeit und laute Stimmen wichtige Ressourcen in die Erforschung und die Entwicklung besserer Diagnose- und Therapiemöglichkeiten investiert werden können. Der Weg mag lang sein, aber wenn wir ihn gemeinsam beschreiten, haben wir die beste Chance, ihn mit Hoffnung bis zum Ende zu gehen und ein gutes Leben zu führen.

Referenzen

[1] Richter, Dagmar; Bundeszentrale für politische Bildung (2015): Gender. https://www.bpb.de/lernen/politische-bildung/193100/gender/ (zuletzt abgerufen 07.11.2023).

[2] Gender-Kompetenzzentrum der Humboldt Universität zu Berlin (2006): Was ist Gender? http://www.genderkompetenz.info/w/files/gkompzpdf/gkompz_was_ist_gender.pdf (zuletzt abgerufen am 07.11.2023)

[3] Volkmar Sigusch: Neosexualitäten: Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Campus, Frankfurt/New York 2005, ISBN 3-593-37724-1, S. 210.

[4] Gonzales, G., & Henning‐Smith, C. (2017). Barriers to care among transgender and gender nonconforming adults. The Milbank Quarterly95(4), 726-748.

[5] Vallée, A., Feki, A., & Ayoubi, J. M. (2023). Endometriosis in transgender men: recognizing the missing pieces. Frontiers in Medicine10.

[6] Ferrando, C. A. (2022). Endometriosis in transmasculine individuals. Reproduction and Fertility3(2), C7-C10.

[7] Ferrando, C. A., Chapman, G., & Pollard, R. (2021). Preoperative pain symptoms and the incidence of endometriosis in transgender men undergoing hysterectomy for gender affirmation. Journal of Minimally Invasive Gynecology28(9), 1579-1584.

[8] Shim, J. Y., Laufer, M. R., & Grimstad, F. W. (2020). Dysmenorrhea and endometriosis in transgender adolescents. Journal of Pediatric and Adolescent Gynecology33(5), 524-528.

[9] Asseler, J. D., Caanen, M. R., Verhoeven, M. O., Huirne, J. A., Goddijn, M., van Dulmen-den Broeder, E., … & van Mello, N. M. (2022). Endometrial thickness assessed by transvaginal ultrasound in transmasculine people taking testosterone compared with cisgender women. Reproductive BioMedicine Online45(5), 1033-1038.

[10] Grimstad FW, Boskey E, Grey M. New-onset abdominopelvic pain after initiation of testosterone therapy among trans-masculine persons: a community- based exploratory survey. LGBT Health. (2020) 7:248–53. doi: 10.1089/ lgbt.2019.0258

[11] T’Sjoen G, Arcelus J, Gooren L, Klink DT, Tangpricha V. Endocrinology of transgender medicine. Endocr Rev. (2019) 40:97–117. doi: 10.1210/er.2018-00011

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Doro
Doro
11. Dezember 2023 13:22

Toller Artikel, hab ihn gleich mal geteilt.

Kleine Anmerkung bezüglich Gender:
Es ist in der Community üblich cis und trans ausschließlich als Adjektive zur weiteren Unterteilung der Geschlechter zu nutzen.
Also cis Frauen/Männer und trans Frauen/Männer/Menschen. (Und natürlich inter für intergeschlechtliche Menschen)
Zusammensetzung wie Transmänner oder Cis-Frauen wird häufig abwertend und als ausschließend wahrgenommen.
Falls ihr das anpassen könntet, wäre das super.

Mich würde noch interessieren wie sich Endometriose auf cis Männer und trans Frauen auswirkt und ab es Daten gibt warum und ab wie viel Östrogen die Krankheit entsteht. Und ob ihr Informationen dazu habt ob dies eventuell schon (weiter) untersucht wird.

Vielen Dank! ????
Liebe Grüße

Doro

Tom Lühmann