Dienogest bei Endometriose: Ein Überblick

Die Diagnose Endometriose zu bekommen kann, auch wenn sie oft immer noch viel zu lange dauert, für Betroffene auch eine Erleichterung sein: endlich ist geklärt woher das Unwohlsein, die Schmerzen, die Einschränkung der Lebensqualität kommt. Vielleicht hast du etwas ähnliches erfahren. Doch auch wenn eine solche Diagnose ein wenig Klarheit verschaffen kann, steht danach die schwierige Entscheidung an, dich zusammen mit deinem Arzt oder deiner Ärztin für die beste Therapiemöglichkeit zu entscheiden.

Und mit dieser Entscheidung bist du auch nicht allein! Wir wollen dich unterstützen, daher haben wir uns in diesem Beitrag einem Überblick über eine Behandlung mit Dienogest gewidmet.   

Frau hält Pillen-Blister in der Hand.

Dienogest: Was ist das überhaupt?

Dienogest ist ein künstlich hergestelltes Hormon, das zur Behandlung von Endometriose und Adenomyose eingesetzt wird. Es gehört zur “Hormongruppe” der Gestagene und ist ein künstlich hergestelltes Progesteron. Als solches bindet Dienogest an den körpereigenen Progesteron-Rezeptor.

Dadurch hemmt es bei regelmäßiger Einnahme die Ausschüttung von Gonadotropinen im ganzen Körper [3]. Gonadotropine sind eine Gruppe von Hormonen, die im weiblichen Zyklus unter anderem die Funktion der Eierstöcke regulieren [4]. Zusätzlich hat Dienogest auch eine örtlich begrenzte antientzündliche und antiproliferative, also Zellteilungs-hemmende, Wirkung auf EndometrioseHerde.

Es hemmt auch die Durchblutung von Endometriose-Herden durch seine beschränkende Wirkung auf die Gefäßneubildung [3]. Diese direkten Wirkungen auf Endometriose-Herde sind der Hauptunterschied zwischen Dienogest und anderen Progestinen der gleichen Kategorie [2, 5].

Dienogest ist ein sogenanntes first-line treatment, also sozusagen die erste Wahl bei einer Entscheidung für eine hormonelle Behandlung von Endometriose [6]. 

Wann wird es eingesetzt?

Dienogest wird – wie du vermutlich schon weißt, wenn du diesen Artikel liest – zur Behandlung von Endometriose eingesetzt. Hier kann es sowohl als alleinige Therapie verwendet werden, als auch nach einer operativen Entfernung von EndometrioseHerden, um deren Wiederaufflammen zu verhindern.

Manchmal wird es auch vor einer OP gegeben, um zu schauen, ob eine OP überhaupt notwendig ist oder ob sich Beschwerden auch schon durch Dienogest verbessern lassen. Laut dem Pharmaindex Gelbe Liste gibt es aber auch noch verschiedene andere Anwendungsgebiete. Es kann zum Beispiel gemeinsam mit einem Östrogen-haltigen Präparat zur hormonellen Empfängnisverhütung eingesetzt werden.

Außerdem wird es zur Behandlung von mittelschwerer Akne und in Kombination mit einer Östrogenkomponente auch bei Östrogenmangel in der Menopause verwendet [7]. 

Wirksamkeit von Dienogest

Der Einsatz von Dienogest bei Endometriose wurde in mehreren klinischen Studien der Phasen 3 und 4 erforscht [5, 8, 9]. Die Effekte und auch mögliche Risiken und Nebenwirkungen sind also relativ gut bekannt. Das Hauptziel einer Behandlung mit Dienogest ist die Verringerung von Endometriose-bezogenen Symptomen und eine damit einhergehende positive Wirkung auf die Lebensqualität [10].

So zeigten zum Beispiel die Studien von Paulo Leonardo-Pinto et al. [11] und Kouhei Sugimoto et al. [12], dass Dienogest bei einer Anwendung über fünf Jahre das Wiederkehren von Endometriose Herden nach einer OP verhindern und Schmerzen reduzieren kann. Auch positive Effekte auf die physische, mentale, soziale, emotionale und allgemeine Gesundheit wurden in einer anderen Studie nachgewiesen [13].

Ein anderer, sehr wichtiger Faktor, auf den sich Dienogest laut derselben Studie positiv auswirken kann, ist das Sexleben von Betroffenen. Wie du vielleicht weißt, oder dir vorstellen kannst, kann sich das ziemlich einschneidend auf die Lebensqualität und auf Partnerschaften auswirken. Es gibt also auch dafür Handlungsmöglichkeiten und – vielleicht wichtiger – Hoffnung auf ein (Sex-)leben nach den eignen Vorstellungen.

Gut zu wissen!

Inwiefern und in welchem Maße Dienogest allerdings empfängnisverhütend wirkt, also ob du während einer Einnahme schwanger werden kannst, scheint noch unklar zu sein [3, 6].

Daneben kann Dienogest, wie oben schon kurz beschrieben, auch postoperativ zur Verhinderung sogenannter Rezidive, also dem Wiederkehren von Endometriose-Herden nach Entfernung, verschrieben werden. Dies soll verhindern, dass Endometriose-Symptome auch nach einer OP wieder auftreten, was häufig beobachtet wird [14].

Die Einnahme nach einer OP wurde in mehreren Studien untersucht und empfohlen [15-17], und scheint auch effektiver zu sein als die Gabe von z.B. kombinierten oralen Kontrazeptiva – also der “Pille” [6]. Kombinierte orale Kontrazeptiva sind hormonelle Medikamente, die aus verschiedenen Wirkstoffen bestehen und meist zur Verhütung benutzt werden. Sie können aber auch von Ärztinnen und Ärzten bei Endometriose verschrieben werden. 

Alles in allem scheint Dienogest also ziemlich effektiv darin zu sein die Symptome zu lindern, die mit Endometriose zusammenhängen. Ob das auch bei dir der Fall ist, musst du aber natürlich in Zusammenarbeit mit deiner Ärztin oder deinem Arzt herausfinden. Die eine Lösung für alle, so schön sie auch wäre, gibt es leider nicht. 

Dienogest bei tief infiltrierender Endometriose und Adenomyose

Bei Adenomyose wird, anders als bei Endometriose, manchmal versucht auf eine OP zu verzichten, um die Chance zu erhöhen, dass Gebärmutter und Eierstöcke intakt bleiben. Dadurch haben Betroffene eine größere Chance weiterhin schwanger zu werden und Kinder zu bekommen [24]. Allerdings werden bei Adenomyose oftmals andere Präparate als Dienogest verwendet [25].

Sollten Gründe gegen diese anderen hormonellen Medikamente vorliegen, kann aber auch auf Dienogest zurückgegriffen werden. Die Wirksamkeit auch bei Adenomyose wurde zum Beispiel in einer größeren Studie von Osuga et al. [26] nachgewiesen. 

Auch bei tief infiltrierender Endometriose wurde Dienogest als wirkungsvolles Medikament beschrieben. In einer Studie von Yamanaka und Anderen [27] zeigte sich bei Frauen mit tief infiltrierender Endometriose eine Reduktion Endometriose-bezogener Schmerzen (inkl. Dysmenorrhö, Schmerzen im Beckenbereich, im Bereich des Darms und im Genitalbereich).

Dennoch sollte bei einer Beteiligung der Blase, des Harnleiters, des Darms oder der Nieren eine Operation in Erwägung gezogen werden [28]. Eine alleinige Behandlung mit Dienogest erweist sich in den meisten Situationen als unzureichend durch Endometriose hervorgerufene Langzeitschäden zu verhindern. 

Sicherheit und Risiken

Grundsätzlich wird Dienogest als ein Medikament beschrieben, dessen Nutzen die Risiken und Nebenwirkungen überwiegt [3]. Trotzdem hat es, wie alle Medikamente und insbesondere hormonelle, auch unerwünschte Wirkungen. Die häufigsten Nebenwirkungen sind laut einer Metastudie Kopfschmerzen, Unwohlsein im Bereich der Brust, depressive Verstimmungen und Akne [8].

Diese traten allerdings „nur“ bei 5-9% der Probandinnen und grundsätzlich mit milder bis moderater Intensität auf. Zudem schreibt das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte auf seiner Website, dass das Thromboserisiko von Dienogest-haltigen Medikamenten nicht genau festgestellt werden konnte. Es sei jedoch um den Faktor 1,6 leicht höher als bei kombinierten oralen Kontrazeptiva mit den Wirkstoffen Levonorgestrel und Ethinylestradiol [18]. 

Neben diesen Nebenwirkungen ist es für dich noch gut zu wissen, dass sich Dienogest potenziell auch auf die sogenannte Knochenmineraldichte, also wie viele Mineralien sich in deinen Knochen befinden, auswirken kann. Und in einigen Fällen auch zu unregelmäßigen oder verstärkten Blutungen führen kann. Einer Langzeitstudie von Römer [19] zufolge kann Dienogest zu einem langfristigen Absenken des Östrogenspiegels führen.

Dies kann sich dann negativ auf die Knochenmineraldichte auswirken. Wie stark dieser Effekt ist und wie häufig er auftritt, scheint nicht ganz klar zu sein. Allerdings regeneriert sich der Knochen nach einem Absetzen vermutlich innerhalb von sechs Monaten wieder [16, 20]. Experten empfehlen dennoch nicht die Knochendichte routinemäßig zu überwachen [3]. Falls du jedoch an einer Knochenerkrankung leiden solltest und über eine Behandlung mit Dienogest nachdenkst, solltest du dies mit deinem Arzt oder deiner Ärztin besprechen.

Gegebenenfalls lassen sich durch bestimmte Veränderungen im Lifestyle (z.B. erhöhte Aufnahme von Calcium und Vitamin D oder Krafttraining) diese Folgen auch wieder ausgleichen [3]. Dienogest führt, wie andere Gestagene auch, zu einer Rückbildung der normalen Gebärmutterschleimhaut, wodurch es bei der Einnahme zu unregelmäßigen Blutungen kommen kann [21]. Vor allem in den ersten Monaten der Einnahme kann es zu verstärkten Menstruationsblutungen mit einer Dauer von ungefähr 8-10 Tagen kommen, die bei etwa 20% aller Personen auftritt, die Dienogest einnehmen [8, 9].

Die fortlaufende Einnahme über längere Zeiträume (sogenannter Langzeitzyklus) und ohne eine Pause wie sie z.B. bei der Pille zur Verhütung üblich ist, führt oft zum vollständigen Ausbleiben der Periode [8]. So blieb in einer klinischen Studie bei einem knappen Fünftel der Teilnehmenden die Periode nach circa 3-6 Monaten vollständig aus. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Teilnehmerinnen mit verstärkten Blutungen um etwa die Hälfte ab [8].

Trotzdem kann es bei einer Einnahme im Langzeitzyklus auch zu Zwischenblutungen kommen [21]. Dies ist erst einmal nichts Ungewöhnliches, auch wenn es natürlich unter Umständen unangenehm sein kann. Trotzdem solltest du deinen Arzt oder deine Ärztin bitten, auch andere mögliche Ursachen zu bedenken, wenn du Blutungen hast, die besonders stark sind oder besonders lange andauern. 

Endometriose kommt oft nicht allein, sondern wird von anderen Umständen oder auch Krankheiten begleitet, die damit in Zusammenhang stehen – in der Medizin wird dann von Komorbiditäten gesprochen. Wenn du selbst oder Bekannte von dir an Endometriose leiden, dann weißt du vielleicht, dass sich dies oft in psychischen oder sozialen Dingen bemerkbar macht.

Vor allem depressive Verstimmungen, Depressionen oder Angststörungen sind relativ häufig [22]. Das kann auch im Zusammenhang mit einer Behandlung mit Dienogest wichtig sein, da sich Dienogest unter Umständen negativ auf die Stimmung auswirken kann und in selteneren Fällen sogar zu depressiven Verstimmungen führen kann [8]. Das ist auch bei anderen hormonellen Medikamenten, wie zum Beispiel kombinierten oralen Kontrazeptiva, möglich.

Diese Auswirkungen sollten von deinem Arzt oder deiner Ärztin offen mit dir besprochen werden, insbesondere dann, wenn du schon vor der Behandlung Probleme damit gehabt hast. 

Doch lieber die Pille oder ganz ohne Hormone: Der Vergleich

Zu einer Abwägung, ob du dich mit Dienogest behandeln lassen möchtest, gehört natürlich auch ein Vergleich mit anderen Behandlungsoptionen. Dieser Beitrag ist in erster Linie nicht dafür gedacht Dienogest mit diesen zu vergleichen. Trotzdem möchten wir dir zumindest einen groben Überblick verschaffen, inwiefern Dienogest und kombinierte orale Kontrazeptiva (“Pille”) zueinanderstehen.

Die Pille ist, wie dir vermutlich bekannt ist, eigentlich zur Empfängnisverhütung gedacht. Sie kann aber auch zur Behandlung von Endometriose eingesetzt werden. Man spricht dann von einem off-label use, also einer Verwendung für einen anderen Zweck als dem eigentlich angedachten. Ihre Wirksamkeit bei Endometriose wurde in Studien nachgewiesen, diese waren aber nicht standardisiert und ihre Aussagekraft ist damit zumindest aus rein wissenschaftlicher Sicht begrenzt [3, 6, 23].

Zudem haben die kombinierten oralen Kontrazeptiva mehr Kontraindikationen, also mögliche Umstände, die gegen eine Behandlung sprechen können, als Dienogest [6]. Dienogest wird daher als Mittel der ersten Wahl für eine hormonelle Behandlung von Endometriose beschrieben [3, 6]. Auch hier gilt aber natürlich, dass diese Aussage nicht immer und für jede gilt und du dies im Einzelfall mit deiner Ärztin oder deinem Arzt besprechen solltest.  

Und jetzt?

Mit dem Lesen dieses Beitrages ist dir vermutlich schon klar geworden, dass es keine leichte und allgemeine Antwort auf die Frage gibt, ob du dich mit Dienogest behandeln lassen sollst. Es lässt sich trotzdem recht eindeutig sagen, dass Dienogest ein effektives Mittel zur Behandlung von Endometriose, tief infiltrierender Endometriose und Adenomyose ist.

Natürlich ist aber auch die Entscheidung gegen Hormone legitim und kann genauso richtig sein, wie eine Entscheidung dafür. Es gibt aber bei der Entscheidung für Dienogest einige Dinge, die du beachten und mit deiner Ärztin oder deinem Arzt besprechen solltest. Das ist vor allem wichtig, wenn du eine Vorgeschichte mit psychischen Erkrankungen oder Knochenerkrankungen hast. Abschließend möchten wir dir auch noch mit auf den Weg geben, dass es viele Mittel und Wege zu einem normalen und schmerzfreien Leben mit Endometriose gibt!

Lass dich von den vielen Informationen und Gefühlen nicht überwältigen und falls das doch mal passieren sollte, dann umgib dich mit Menschen, die dir gut tun! Auch wir von der Endo-App und vor allem unser Support Team tun ihr Bestes, um dich zu unterstützen! 

Referenzen

  1. Edwards M, Can AS. Progestin. [Updated 2023 Mar 11]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2023 Jan-. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK563211/# Zugriff 12.11.2023 
  2. Angioni, S., Cofelice, V., Pontis, A., Tinelli, R., & Socolov, R. (2014). New trends of progestins treatment of endometriosis. Gynecological Endocrinology, 30(11), 769-773. 
  3. Murji, A., Biberoğlu, K., Leng, J., Mueller, M. D., Römer, T., Vignali, M., & Yarmolinskaya, M. (2020). Use of dienogest in endometriosis: a narrative literature review and expert commentary. Current medical research and opinion, 36(5), 895-907. 
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  7. Pharmaindex Gelbe Liste (2022). Dienogest. Available from:  https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Dienogest_18867#Anwendung Zugriff 12.11.2023 
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  9. Lang J, Yu Q, Zhang S, Li H, Gude K, von Ludwig C, et al. Dienogest for treatment of endometriosis in Chinese women: a placebo-controlled, randomized, double-blind phase 3 study. J Women’s Health (Larchmt). 2018; 27(2):148–55 
  10. Johnson, N. P., Hummelshoj, L., World Endometriosis Society Montpellier Consortium, Abrao, M. S., Adamson, G. D., Allaire, C., … & Vercellini, P. (2013). Consensus on current management of endometriosis. Human reproduction, 28(6), 1552-1568. 
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