Endometriose tritt nicht isoliert auf

Die deutschstämmige Ärztin und Künstlerin Dr. Susanne Ilschner von der Australian National University betrachtet die Krankheit Endometriose aus einer ganzheitlichen Perspektive. Sie hat das “Endo Art Project” ins Leben gerufen, um auf die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit aufmerksam zu machen und plädiert dafür, auch den klinischen Blick auf die Endometriose zu erweitern. Im Interview gibt sie Einblicke in Ihre Arbeit.

Frau Dr. Ilschner, bitte stellen Sie sich zunächst kurz vor!

Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits stamme ich aus Familien, die durch den Krieg geprägt wurden. Ich bin in verschiedenen deutschen Städten aufgewachsen, hauptsächlich in Göttingen und in Erlangen, wo ich das musische Gymnasium besuchte und Medizin studierte. Nach dem Abitur studierte ich zunächst ein Jahr lang Kirchenmusik in Bayreuth und konnte so während meines Medizinstudiums als Organistin Geld verdienen. Seit 1986 lebe ich hauptsächlich in Australien, wo ich später auch Kunst studierte und einen Abschluss in Drucktechnik erwarb.

Während meines Medizinstudiums interessierte ich mich besonders für Naturheilkunde und außereuropäische Heilmethoden und verbrachte einige Monate in Kottakal, Indien, um etwas über Ayurveda zu lernen. Ich interessierte mich auch für Neurologie und Neurobiologie, insbesondere für die Physiologie des Sehens. Dieses Interesse führte zu meiner Doktorarbeit und weiteren Arbeiten auf diesem Gebiet in Australien. Aus persönlichen Gründen habe ich mich mehr und mehr klinischen Themen zugewandt, zum Beispiel zerebraler Malaria, Gedächtnis, Parkinson und schließlich Endometriose.

Wie sind Sie zur Endometriose-Forschung gekommen?

Mein erster Kontakt mit dem Thema Endometriose entstand, als ich Daten für eine größere Studie eingab, die Melissa Parker in Canberra, Australien, durchführte. Wir sprachen viel über Endometriose und ich entwickelte ein wachsendes Interesse an dieser Krankheit. Hinzu kam, dass Endometriose und in mancher Hinsicht ähnliche gesundheitliche Probleme in meinem Freundes- und Bekanntenkreis plötzlich immer häufiger auftraten. So kam es, dass ich an der ANU, der Australian National University, einen PhD über Endometriose begonnen habe.

Was fasziniert Sie am meisten am Thema Endometriose und Kunst? Was ist Ihre Hauptmotivation?

Endometriose erscheint mir fast wie die „Mutter aller Krankheiten“. Sie kann sehr junge Mädchen plötzlich befallen, sich unvorhersehbar zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten entwickeln, das soziale Umfeld verändern oder einschränken, berufliche und private Pläne durcheinanderbringen und die stärksten Schmerzen und Beeinträchtigungen verursachen. Und es ist offensichtlich, dass wir wenig darüber wissen, wie all dies geschieht.

Zu allen Zeiten haben Menschen versucht, solche Probleme durch Worte, Musik, Tanz und Kunst zu kommunizieren und zu beeinflussen. Aufgrund meiner Erfahrungen in der Sehphysiologie und Neurobiologie lag es nahe, solchen Botschaften Aufmerksamkeit zu schenken. Gerade die neueren Forschungen zum Zusammenspiel von Sinneseindrücken, Emotionen und Bewegung weisen auf neue Möglichkeiten hin, unser Wissen und Verstehen auch im klinischen Bereich zu erweitern und zu vertiefen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen auf dem Gebiet der Endometriose?

Derzeit gibt es einige vielversprechende Ideen und Ansätze, die helfen könnten, die Endometriose besser zu verstehen und zu behandeln. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist wichtig, weil einige biologische Systeme betroffen sind. Gleichzeitig gibt es aber auch unabhängig von aussagekräftigen Forschungsergebnissen und evidenzbasierten Therapieleitlinien noch viele Fragen zum Umgang und zum Leben mit dieser Erkrankung.

Können Sie Ihre Forschungsarbeit für unsere Leserinnen in wenigen Worten zusammenfassen?

Künstlerinnen (v. l. n. r.): J. Coldrey (Vereinigtes Königreich), A. Molendijk (Deutschland)

Endometriose tritt nicht isoliert auf. Es geht immer um eine Person, in ihrem individuellen Umfeld und mit ihrer individuellen Geschichte. Meine Projekte zielen darauf ab, die Laborforschung mehr mit den Menschen zu verbinden und das Wissen und die Sorgfalt durch Aufmerksamkeit für die Vorschläge und Beobachtungen der Patientinnen zu ergänzen.

Zu diesem Zweck habe ich zunächst eine umfassende Interviewstudie durchgeführt. Dabei habe ich mit Patientinnen zusammengearbeitet, um in Wort und Bild einen persönlichen Überblick über die lange Zeit mit Endometriose zu geben. Da die Teilnehmerinnen aus Australien und Frankreich kamen, gab es auch kulturelle und sprachliche Unterschiede. Aufgrund meines Interesses für Kunst und Sehphysiologie habe ich das „Endo Art Projekt“ ins Leben gerufen, um hinter die Kulissen der Kulturen und Sprachen zu schauen. Dieses Projekt ist nun abgeschlossen und ich konzentriere mich wieder auf die Forschung im Labor. Dabei versuche ich, die Ideen aus den Interviews und den visuellen Arbeiten der Patientinnen aufzugreifen und in die aktuelle Laborforschung zu integrieren.

Wie kann Ihre Forschung dazu beitragen, das Leben von Frauen mit Endometriose langfristig zu verbessern?

Mit meiner Forschung verfolge ich Ziele auf mehreren Ebenen: Durch und während meiner Arbeit spreche ich viel mit Studienteilnehmerinnen, um die verschiedenen Aspekte des Erlebens von Endometriose immer besser zu verstehen. Ich denke, dass ich so dazu beitragen kann, eine gemeinsame Sprache zwischen Patientinnen und Ärzten bzw. Heilberufen zu finden. Ich bin überzeugt, dass zum Beispiel die historisch gewachsene Gegenüberstellung von Ärzten und Patientinnen heute nicht mehr so funktioniert wie vor der Zeit des Internets.

Ich hoffe, dass ich aufzeigen kann, wo und wie die Kommunikation erweitert und verbessert werden kann, um die Ziele der allgemeinen Empfehlungen und der individuellen Hilfe in Einklang zu bringen.

Ich möchte herausfinden, ob es möglich ist, einen Bogen zu spannen von der Begegnung mit einem Menschen in verschiedenen Ausdrucksformen bis hin zu den biologischen Details eines Krankheitsprozesses, die sich in einer Blutprobe manifestieren. Ich habe in meinen Studien schon viel von den Überlegungen der Teilnehmerinnen gelernt, zum Beispiel über den möglichen Einfluss von Infektionen auf den Verlauf einer Endometriose. Wir brauchen ein besseres Verständnis auf allen Ebenen, und das ist auch für andere Gesundheitsprobleme wichtig.

Was sind Ihre zukünftigen Forschungsziele?

In der nächsten Zeit möchte ich versuchen, den Zusammenhang zwischen dem relativ neu entdeckten Informationssystem im Körper, das aus etwa 100-nanometergroßen Bläschen (extrazellulären Vesikeln) besteht, die von verschiedenen menschlichen Zelltypen produziert werden, und ähnlichen Partikeln, die von Infektionserregern, zum Beispiel Bakterien, gebildet werden, zu verstehen. Dies soll mit Hilfe eines chemischen „Fingerabdrucks” – eines Lichtabsorptionsspektrums – geschehen.

Was halten Sie von Gesundheits-Apps zur Selbsthilfe, zum Beispiel bei Endometriose?

Ich habe große Hoffnungen, dass wir durch den Einsatz von Apps und KI eines Tages besser in der Lage sein werden, individualisierte Medizin („personal medicine”) zu praktizieren. Wenn wir nicht immer auf kontrollierte Studien warten müssen, um nützliche Ideen zu verfolgen, sondern von Tausenden und Millionen von Erfahrungen von Menschen in ähnlichen Situationen profitieren können, können wir vielleicht auch auf diese Weise das Leben einfacher und sozialer machen. Dennoch wird es wichtig bleiben, die Laborforschung fortzusetzen und die medizinische Versorgung individuell mit Ärzten und anderen Gesundheitsberufen zu besprechen. Dabei müssen vielleicht vor allem die Ärzte geschult und unterstützt werden, ihr verändertes Berufsbild zu verstehen und eine langfristige und verlässliche Betreuung zu ermöglichen („continuity of care”).

Gibt es sonst noch etwas, was Sie den Betroffenen mit auf den Weg geben möchten?

Endometriose ist nicht klar definiert und hat Gemeinsamkeiten mit vielen anderen Krankheiten. Ich wünsche mir, dass es uns Menschen gelingt, das Leben für uns alle erträglich, nachhaltig („sustainable”) und sozial verbunden zu gestalten und mehr nach Gemeinsamkeiten und Verständnis zu suchen als nach Konkurrenz und Vorteilen.

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Teresa Götz