Endometriose und Fatigue: Mehr als Ich bin auch manchmal müde

Wenn du von Endometriose betroffen bist, hast du dies vielleicht auch schon erlebt: Du fühlst dich dauerhaft müde, abgeschlagen, kannst dich schlecht konzentrieren oder hast zudem noch Kopfschmerzen. Und dies ist kein Zufall, wie aktuelle Studien zeigen [1;2]. Nach Aussage dieser Studien leiden sogar rund 50 % der Endometriose-Betroffenen regelmäßig unter Fatigue, die auch mit Schlafstörungen, Schmerzen und Depressivität in Verbindung stand. Doch was genau ist Fatigue?  

Fatigue heißt übersetzt so etwas wie „Erschöpfung“, „Ermüdung“, oder „Müdigkeit“ und wird in der Medizin als ein Zustand starken Erschöpfungs- und Schwächegefühls bezeichnet. Neben Endometriose tritt Fatigue auch im Rahmen anderer Erkrankungen wie zum Beispiel Rheuma, Diabetes oder auch Post-Covid auf. Aber warum ist das so? Das schauen wir uns mal genauer an.   

Müde Frau sitzt auf Bettkante.

Was genau ist Fatigue?

Fatigue bedeutet also Erschöpfung. Erst einmal ist Erschöpfung ein natürlicher Zustand unseres Körpers und Geistes, den wir alle gut kennen: Nach einem anstrengenden Arbeitstag ist die Aussicht auf die kuschelige, ruhige Couch das Einzige, was uns noch antreibt. Beine hoch, Decke über den Kopf und bloß nicht ansprechen lassen. Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus. Das ist völlig normal und auch gut so. Denn da hat uns der Körper die Notbremse gezogen. Er zeigt uns auf diese Weise, dass unsere Energiereserven nicht unerschöpflich sind: Es ist Zeit für Ruhe und Entspannung. 

Von Fatigue betroffen zu sein bedeutet hingegen weit mehr als „auch mal erschöpft“ zu sein. Bei Fatigue handelt es sich um ein klar definiertes, medizinisches Symptom. Denn Fatigue beschreibt eine übermäßig und unverhältnismäßig starke, oft dauerhaft auftretende Erschöpfung und Ermüdbarkeit. Diese Erschöpfung steht also nicht mehr im Verhältnis zur vorangegangenen Belastung. Das kannst du dir so vorstellen, als würde sich der Energiespeicher deines Körpers nicht vollständig aufladen können.

Auch Ruhe und Schlaf füllen diesen „Energie-Akku“ nicht hinreichend. Dieses Ungleichgewicht von Belastung und Erschöpfung kann verschiedene Ausprägungen annehmen: von einer leicht erhöhten Ermüdbarkeit, bei der zum Beispiel eine 6 km-Joggingrunde nach den ersten 3 km erschöpfend ist, bis hin zu schwerer Fatigue, bei der bereits das Ausräumen der Waschmaschine eine schwere Fatigue verursacht. 

Fatigue bei Endometriose

Fatigue kann im Rahmen verschiedener Erkrankungen, insbesondere chronischer Erkrankungen, auftreten. Bei vielen spielen Entzündungsprozesse eine Rolle. So wird Fatigue beispielsweise vermehrt bei rheumatischen Erkrankungen, Diabetes mellitus, Hashimoto, Infektionserkrankungen, Tumorerkrankungen, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Zöliakie, Multiple Sklerose, Parkinson und auch Endometriose gefunden [3]. Weiterhin kann Fatigue bei Depressionen, ADHS, Fibromyalgie, aber auch bei Schlafstörungen, Herzinsuffizienz oder Eisenmangel auftreten.  

Du kannst dir sicher gut vorstellen, dass gerade in solchen Fällen Erschöpfungszustände auftreten, wenn der Körper chronischen Belastungen ausgesetzt ist. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind dabei aber teilweise verschieden und auch sehr komplex. Grundsätzlich zeigen die Studien, dass Fatigue bei Endometriose-Betroffenen häufiger vorkommt als bei Nicht-Betroffenen. Allerdings heißt dies nicht, dass Fatigue immer bei Endometriose auftritt. Und vor allem: auch wenn Fatigue sehr unangenehm ist, sind die Symptome nicht gefährlich. 

Was Fatigue bildlich gesprochen bedeutet, kannst du dir wie bei einem verändert funktionierenden Handy-Akku vorstellen. Deine Grunderkrankung, die Endometriose, entzieht dem Akku somit schon einen Teil der Energie und es bleibt weniger Energie für den Tag übrig. Leider kann der Akku auch nachts nie voll aufgeladen werden. Würdest du dein Handy so intensiv wie gewohnt benutzen, könnte der Akku schon vor Ende des Tages verbraucht sein.

Dabei hättest du früher kaum einmal über den Akkuladestand nachdenken müssen. Wenn du eine App anwendest, verbraucht diese zudem viel mehr Akku als früher. Es wäre fast so, als hätte jemand unbemerkt eine sehr komplexe, Energie zehrende Grafikanimation in die App eingebaut.  

Mechanismen bei Fatigue und Endometriose

Viele Endometriose-Betroffene erleben regelmäßig Fatigue-Symptome. Darüber hinaus gibt eine Studie aus dem Jahr 2023 erste Hinweise darauf, dass zwischen den Mechanismen von Endometriose und der Fatigue-Erkrankung ME/CFS Zusammenhänge bestehen [1] 

Gut zu wissen!

ME/CFS ist eine klar definierte Erkrankung und steht für Myalgische Encephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom. Sie kann neben Fatigue auch Schmerzen, Belastungsintoleranz, also eine Zustandsverschlechterung nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, Veränderungen der Durchblutung und des Hormonsystems sowie des Immunsystems mit sich bringen. Wenn du noch mehr darüber wissen möchtest, was ME/CFS ist, schau doch einfach bei diesem Artikel vorbei. 

Diese Mechanismen sind sehr komplex und basieren aktuell noch weitestgehend auf Hypothesen.  

Nach diesem Stand wird konkret vermutet, dass Fatigue bei Endometriose unter anderem durch eine fehlgesteuerte Eng- und Weitstellung der Blutgefäße erklärbar ist. Obwohl Endometriose von ME/CFS grundsätzlich abzugrenzen ist, werden auch Parallelen in der Entstehung von Schmerzen oder Krämpfen bei Endometriose und ME/CFS gesehen. So treten bei ME/CFS Schmerzen in den Skelettmuskeln auf, während die Schmerzen bei Endometriose den Bereich des Unterleibs und der Gebärmutter betreffen.

Dies erklären sich Forschende in Kurzform so: Sowohl bei Endometriose als auch bei ME/CFS führen Durchblutungsstörungen und Sauerstoff-Mangelversorgung des Gewebes zur Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen, die wiederum die Schmerzempfindlichkeit steigern und dann sogar Symptome in weiter entfernten Körperbereichen auslösen können.  

Im Detail wird dabei folgendes vermutet: Bei Endometriose ist der Druck innerhalb der Gebärmutter erhöht. Dieser erhöhte Druck führt zu einem Sauerstoffmangel in den dortigen Blutgefäßen, sodass die Gebärmutter schlechter durchblutet ist. Infolge der Mangeldurchblutung werden Entzündungsbotenstoffe wie zum Beispiel Bradykinin, Prostaglandine, Prostacyclin und Adenosin ausgeschüttet.

Denn diese können bewirken, dass die Durchblutung in der Gebärmutter auf natürliche Weise gefördert und somit der Sauerstoffmangel reduziert wird. Es handelt sich also um eine sehr sinnvolle Reaktion des Körpers. Die Freisetzung dieser Botenstoffe hat allerdings gleichzeitig zur Folge, dass Muskelkrämpfe innerhalb der Gebärmutter begünstigt werden. Zudem entstehen allgemeine Entzündungen und eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit.

Die freigesetzten Entzündungsbotenstoffe können sogar über die Blutbahn weitere Organe wie die Blase oder Niere erreichen. Und in den noch weiter entfernten Muskeln oder im Gehirn können ME/CFS-spezifische wie Fatigue, Brain Fog und Kopfschmerzen ausgelöst werden. 

Kurz und knapp

Zusammengefasst erleben rund die Hälfte der Endometriose-Betroffenen eine begleitende Fatigue. Fatigue bezeichnet eine übermäßig starke und unverhältnismäßig starke Erschöpfung, die häufig im Rahmen von chronischen Erkrankungen auftritt. Darüberhinausgehend kann bei einem Teil der Endometriose-Betroffenen ME/CFS vorliegen.

Du siehst: Die Zusammenhänge sind sehr komplex und es gibt, gerade symptomatisch, viele Überschneidungen, die eine konkrete Diagnose von Fatigue als reines Endo-Symptom oder der eigenständigen Erkrankung ME/CFS oft schwer machen. Allerdings wird aufgrund der hohen Aufmerksamkeit durch Post-Covid viel geforscht.

Somit besteht große Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Versorgungslage. Schon jetzt gibt es aber eine Reihe von Möglichkeiten, Fatigue und damit verbundene Symptome deutlich zu lindern, unter anderem durch Pacing, Schmerztherapie und Entspannungsverfahren 

Referenzen

  1. Wirth, K. J.; Löhn, M. Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) and Comorbidities: Linked by Vascular Pathomechanisms and Vasoactive Mediators? Medicina (Mex.) 2023, 59 (5), 978. 
  2. Ramin-Wright, A.; Schwartz, A. S. K.; Geraedts, K.; Rauchfuss, M.; Wölfler, M. M.; Haeberlin, F.; von Orelli, S.; Eberhard, M.; Imthurn, B.; Imesch, P. Fatigue–a Symptom in Endometriosis. Hum. Reprod. 2018, 33 (8), 1459–1465. 
  3. Renz-Polster, H.; Scheibenbogen, C. Post-COVID-Syndrom Mit Fatigue Und Belastungsintoleranz: Myalgische Enzephalomyelitis Bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom. Inn. Med. 2022, 63 (8), 830–839. 
  4. Carruthers, B. M.; Jain, A. K.; De Meirleir, K. L.; Peterson, D. L.; Klimas, N. G.; Lerner, A. M.; Bested, A. C.; Flor-Henry, P.; Joshi, P.; Powles, A. P. Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: Clinical Working Case Definition, Diagnostic and Treatment Protocols. J. Chronic Fatigue Syndr. 2003, 11 (1), 7–115. 
  5. Freitag, H.; Szklarski, M.; Lorenz, S.; Sotzny, F.; Bauer, S.; Philippe, A.; Kedor, C.; Grabowski, P.; Lange, T.; Riemekasten, G. Autoantibodies to Vasoregulative G-Protein-Coupled Receptors Correlate with Symptom Severity, Autonomic Dysfunction and Disability in Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. J. Clin. Med. 2021, 10 (16), 3675. 
  6. Busch, L.; Schriek, C.; Paul, M.; Heidecke, H. Modulation of Beta-Adrenergic Autoantibodies Over Time in Post-Viral ME/CFS Is Related to Fatigue and Pain Symptoms. Isr. Med. Assoc. J. IMAJ 2023, 25 (4), 259–264. 
  7. Boneva, R. S.; Lin, J.-M. S.; Wieser, F.; Nater, U. M.; Ditzen, B.; Taylor, R. N.; Unger, E. R. Endometriosis as a Comorbid Condition in Chronic Fatigue Syndrome (CFS): Secondary Analysis of Data from a CFS Case-Control Study. Front. Pediatr. 2019, 7, 195. 
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