Das Endometriosezentrum an der Uniklinik Ulm: Ein Interview mit Dr. Davut Dayan und Dr. MUDr. Štefan Lukáč
Die Psychologin der Endo-App, Teresa Götz, hat ein Interview mit Dr. Davut Dayan und Dr. MUDr. Štefan Lukáč vom Endometriosezentrum der Uniklinik Ulm geführt. Die beiden Mediziner geben spannende Einblicke in die Arbeit am Endometriosezentrum sowie in die Forschung der Arbeitsgruppe.
Teresa Götz: Guten Tag, Herr Dr. Dayan und Herr Dr. Lukáč! Schön, dass ich heute hier sein kann. Dürfte ich Sie einleitend erst mal bitten, sich unseren Leserinnen vorzustellen?
Dr. Davut Dayan: Ich bin seit 2020 hier in Ulm als Leiter des Endometriosezentrums tätig. Davor war ich drei Jahre in Kempten, wo ich auch ein Endometriosezentrum gegründet habe. Mit Endometriose habe ich also seit vielen Jahren zu tun. Seit über fünf Jahren bin ich auch MIC-III-Operateur (Anmerkung der Redaktion: das ist die höchste Operateurs-Zertifizierung laut Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische und Geburtshilfliche Endoskopie). Parallel dazu führe ich als Onkologie-Operateur große Eingriffe durch.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Ich bin seit zweieinhalb Jahren als Facharzt in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Ulm tätig. Seit 2021 bin ich auch als Endometriose-Spezialist (ENDO 1) der Arbeitsgemeinschaft Endometriose der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zertifiziert.
Teresa Götz: Können Sie grob sagen, viele Patientinnen Sie im Jahr betreuen?
Dr. Davut Dayan: Letztes Jahr hatten wir nach unserem Wissen 212 reine Endometriose-OPs. Einige werden jedoch nicht richtig dokumentiert. In 2021 waren es 230 und trotz der steigenden Zahlen sind unsere OP-Kapazität leider zu gering. Deswegen können wir leider nicht so viel operieren, wie wir müssten. 500 waren es letztes Jahr ungefähr. Wenn wir die Kontrollen dazurechnen, sogar über 600 Fälle pro Jahr.
Teresa Götz: Das heißt, Sie machen viel, aber natürlich ist der Bedarf noch größer. Wahrscheinlich auch, weil die Leute alle aus dem Umland, teilweise von weit herkommen.
Dr. Davut Dayan: Ja, wir betreuen vom Bodensee bis Nordlingen, Schwäbisch Hall und Crailsheim die ganze Gegend.
Teresa Götz: Was würden Sie den Betroffenen sagen, ab wann und warum sie in ein Endometriosezentrum gehen sollten?
Dr. Davut Dayan: Das ist eine komplizierte Frage. Am besten sollten sie von vornherein ein Zentrum besuchen. Denn, wenn wir uns anschauen, wie die Patientinnen „draußen“ teilweise betreut werden, ist es besser, sich gleich zur Betreuung in die richtigen Hände zu begeben. Ich würde sagen, wenn eine Patientin merkt, dass mit ihrer Menstruation etwas nicht in Ordnung ist, sollte sie es abklären lassen. Denn die schmerzhafte Menstruation einfach zu akzeptieren, muss ja nicht sein. So wie bei anderen Problemen wie Beinschmerzen oder sonstigen Beschwerden, die das normale Leben beeinträchtigen, sollte sich die Patientin ab dem Zeitpunkt, ab dem sie etwas stört, Hilfe suchen. Meist geht es dann über einen Frauenarzt in das Endometriosezentrum. Und ich plädiere dafür, dass die Patientinnen in einem Zentrum betreut werden. Denn die Betreuung in Praxen, wo sich die Endometriose-Patientinnen einmal alle zwei Monate vorstellen, verzögert die korrekte Behandlung. Dort wird manchmal die Hälfte wegoperiert, der Rest weggelassen, es gibt keine Follow-ups und auch eine komplexe Betreuung der Patientinnen wird dort nicht angeboten. Und dadurch werden die Patientinnen benachteiligt.
Teresa Götz: Das nimmt meine andere Frage vorweg. Denken Sie, dass es unter nicht spezialisierten Gynäkologinnen und Gynäkologen mehr Aufklärung geben müsste in Bezug auf Endometriose?
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Es betrifft alle Spezialisten und deswegen haben wir letztes Jahr eine Review im Deutschen Ärzteblatt geschrieben. Diese Zeitschrift bekommt jeder Arzt in Deutschland zugestellt. Dadurch möchten wir die Awareness steigern und haben über extragenitale Endometriose geschrieben (Anmerkung der Redaktion: extragenitale Endometriose meint das Vorkommen von Endometriose-Inseln außerhalb des kleinen Beckens). Gerade, weil es nicht die typischen Endometriose-Beschwerden sind, sollen andere Fachdisziplinen das berücksichtigen, sodass die Patientinnen nicht hin- und hergeschoben werden, sondern rechtzeitig im Rahmen der Differentialdiagnostik an Endometriose gedacht wird. Und das Ärzteblatt hat das als CME-Artikel genommen, um es noch attraktiver für die Kollegen und Kolleginnen zu machen, weil dadurch die Ärzte die Punkte sammeln konnten. Bis jetzt wurde unsere Artikel mehr als 15 000 mal zusätzlich in der online Version heruntergeladen, hatte also einen relativ guten Impact.
Teresa Götz: Mit einem solchen Artikel, der viele Ärzte und Ärztinnen erreicht, haben Sie also gut zur Aufklärung beigetragen.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Die niedergelassene Frauenärtzinnen und Frauenärzte denken relativ schnell an die Endometriose. Die Behandlung bleibt leider häufig oberflächlig. Dieses muss komplex und interdisziplinär erfolgen, nur Pille reichen nicht.
Teresa Götz: Das bringt mich schon zu meiner nächsten Frage. Endometriose wird auch als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet, weil die Erkrankung so komplex ist. Wie gehen Sie im Zentrum damit um?
Dr. Davut Dayan: Es ist von der Symptomatik über die Diagnostik bis zur Behandlung eine komplexe Erkrankung und es gibt keine festen Richtlinien, an die man sich halten kann, weil jeder Mensch unterschiedlich ist. Mein Lieblingsbeispiel: Stellen Sie sich vor, Sie möchten Schuhe kaufen. Das ist kompliziert, Sie finden keine und für jeden sind andere Schuhe besser geeignet. Ich finde, bei Endometriose ist es genauso, weil jede Frau erstens eine andere Symptomatik und eine andere Wahrnehmung hat und zweitens andere Erwartungen und Bedürfnisse.
Und dementsprechend muss man variieren. Bei einer Krebserkrankung gibt es bestimmte Richtlinien, wann eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung eingesetzt wird. Bei Endometriose kann es das nicht für jeden maßgeschneidert geben. Das funktioniert nicht. Bei einem Kinderwunsch oder einer Entleerungs-Störung der Blase müssen ganz unterschiedliche Verfahren angewendet werden. Und warum soll ich operieren, wenn die Patientin das alles nicht hat und mit der Endometriose gut leben kann? Warum soll ich dann Darm oder Blase resezieren?
Noch dazu ist es keine lebenslimitierende Erkrankung wie eine Krebserkrankung. Wenn wir bei einer Krebserkrankung Darm oder Blase resezieren und ein künstlicher Darmausgang notwendig ist, kann jeder verstehen und akzeptieren, dass das sein musste. Aber wenn man so etwas bei Endometriose, einer gutartigen Erkrankung, bei einer 20-, 25-, 30-jährigen Patientin tut, geht sowohl für die Frau als auch für den Arzt die Welt unter. Der Arzt weiß, es ist eine Chamäleon-Erkrankung und das wird auch so bleiben.
Teresa Götz: Oder eine Gratwanderung, wie Sie sagen. Man muss ja das Notwendige tun, aber auch nicht zu viel. Wir sprechen auch mit Frauen, die 25-mal operiert wurden. Da schlagen Sie wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammen, weil zu viel in die Richtung getan wurde.
Dr. Davut Dayan: Absolut.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Absolut. 25-mal haben Sie gesagt?
Teresa Götz: Ja, das wurde mir schon von Patientinnen berichtet.
Dr. Davut Dayan: Und das ist auch ein Punkt, den wir den Ärzten in Zukunft beibringen müssen. Wir müssen nicht so großspurig sein und denken, dass wir die besten sind. Alles hat eine bestimmte Grenze, und man muss diese Grenze erkennen und festlegen. Ich würde keine Frau 25-mal operieren. Das muss man sehr, sehr gut abwägen.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Für diese Aufklärung, für diese Sensibilisierung haben wir seit zwei Semestern ein Wahlfach über Endometriose für die Studenten an Universität Ulm. Es ist reduziert auf acht Personen, weil wir wollen, dass diese Personen einmal in der Sprechstunde sind, einmal im OP und Seminare zu den Hauptthemen der Endometriose. Es geht also nicht nur um die Masse, sondern wir wollen über die Qualität gehen.
Teresa Götz: Ich finde, die bisherigen Antworten sind richtig gute Botschaften für die Leserinnen. Das ist auch jetzt wieder eine hoffnungsfrohe Botschaft. Es verändert sich ein bisschen etwas. Ich würde gerne noch zur Frage kommen, was denn die Angebote im Endometriosezentrum für die Patientinnen sind. Können Sie diese beschreiben?
Dr. Davut Dayan: Wir bieten das gesamte Spektrum der Endometriose-Behandlung, von der Diagnostik bis zu Behandlung, nicht nur medikamentös, sondern auch operativ und als konservative Behandlung. Und wir versuchen uns in jede Richtung weiterzuentwickeln. Wir arbeiten zwar im Moment schon Hand in Hand mit den Kollegen der anderen Abteilungen zusammen: Wenn wir zum Beispiel einen Urologen brauchen, können wir uns kurzfristig abstimmen.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Dazu sind wir im Forschung sehr aktiv und wollen sich ständig weiterentwickeln. Z.B. Im Oktober findet beispielsweise der Welt-FIGO-Kongress statt (Anmerkung der Redaktion: FIGO ist die Abkürzung für „International Federation of Gynecology and Obstetrics“), für den ich ein 3D-Modell zur Verbesserung der Endometriose-Versorgung vorbereitet habe. Dieses 3-D-Modell, das wir uns ausgedacht haben, kann man so in Afrika und genauso in Australien oder in Nordamerika umsetzen.
Teresa Götz: Könnten Sie das für die Leserinnen bitte genauer erklären? Worum geht es bei dem 3-D-Modell?
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: In der Langform heißt es „3-D-Modell zur Verbesserung der Versorgung der Endometriosepflege und Versorgung der Patientinnen mit Endometriose“. Die drei Dimensionen bilden angehende Mediziner, praktizierende Ärzte und die Vertreter der Heilberufe, wie Physiotherapeuten und Ernährungsberater. Die Mediziner haben wir mit dem Ärzteblatt-Artikel adressiert, indem wir sie mit einem Handout mit den wichtigsten Fragen und Antworten zur Erkrankung versorgten: Wann denke ich an die Endometriose? Was sind die atypischen Symptome der Endometriose? Denn den Klassiker kann der Gynäkologe erkennen. Für die jungen Ärzte und Medizinstudenten haben wir das bereits beschriebene Wahlfach entworfen. Für die Vertreter der Heilberufe haben wir ein spezielles Projekt im Anlauf, das ich jetzt noch nicht spezifizieren möchte. Wenn es so weit ist, wird es vielleicht ein deutsches Unikat.
Teresa Götz: Ich finde es auf jeden Fall spannend. Und für Betroffene macht man sich Gedanken, wie man die Situation von verschiedenen Seiten her verbessern oder verschiedene Leute einbeziehen kann. Sie haben auf dem Endo-Kongress auch etwas zum Thema Corona-Impfung vorgestellt. Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Gibt es andere Studien, die gerade laufen oder gelaufen sind?
Dr. Davut Dayan: Wir haben vor fast zwei Jahren diese Umfrage bezüglich der Corona-Impfung und -Infektion in Zusammenhang mit Veränderungen des Menstruationszyklus und der Menstruations-Charakteristika gemacht, auch in Hinblick auf die Endometriose. Denn zu dem Zeitpunkt der Umfrage gab es Informationen dazu, dass die Blutung stärker wird und viele Frauen haben sich Sorgen darüber gemacht. Deswegen wollte ich wissen, wie sich die Endometriose-Symptomatik nach der Impfung verändert, damit die Frauen mit Endometriose sich keine Sorgen darüber machen müssen, dass es schon schlimm genug ist und noch schlimmer werden könnte. Das war eines unserer Projekte. Was wir jetzt noch geplant haben, beziehungsweise was viele unserer Patientinnen betrifft, ist die diaphragmatische Endometriose. Da möchten wir jetzt evaluieren, wie häufig diese vorkommt und was die Risikofaktoren sind. Das waren die zwei Projekte, die ich in Edinburgh vorgestellt habe und das sind auch gerade unsere Forschungsprojekte. Für das eine zur Versorgung der Patientinnen gibt es ein kleines Subprojekt, das wir in Deutschland starten möchten. Das ist das nächste, was uns erwartet. Aber da möchte ich noch nicht zu viel verraten.
Teresa Götz: Okay, danke schön. Ich habe noch die Frage mitgebracht, wie Sie zum Thema Endometriose im klinischen Bereich, aber auch zur Forschung, gekommen sind.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Ursprünglich, kam ich nach Ulm um im Bereich Brustkrebs zu forschen, weil Professor Janni hier der Top-Experte der Brustkrebsforschung in Deutschland ist. Und dann kam Herr Dr. Dayan zu mir und hat gefragt, ob ich nicht in sein Team kommen möchte. Ich hatte schon von ihm gehört, dass er ausgewiesener Operateur ist. Und als das Angebot kam, habe ich lange überlegt, ob ich meinen Weg jetzt anpasse, ändere, und habe dann zugeschlagen. Und seitdem mache ich das. Es war also reiner Zufall, aber ich freue mich sehr, weil das ein ziemlich spannendes Thema ist.
Teresa Götz: Es ist also ein Thema, bei dem es noch viel zu forschen, viel zu entdecken gibt, und bei dem viele Patientinnen Hilfe brauchen.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Ja, das ist ohnehin so. Ich versuche so zu forschen, dass das Ergebnis unserer Forschung eine Bedeutung für die Patientinnen hat. Dort liegt unser Fokus, dass unsere Forschung auch übertragbar ist auf die Patientinnen.
Teresa Götz: Und das nimmt die Frage vorweg, was die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Endometriose ist. Da kann man sehen, dass es noch ein Buch mit sieben Siegeln ist. Vieles haben wir noch nicht verstanden. Ich denke, das zeigt auch, dass es noch eine große Herausforderung ist.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Für mich ist die größte Herausforderung, eine Art der Therapie zu finden, die die Patientinnen nicht täglich einnehmen müssen. Aber Herr Davut wollte glaube ich auch noch erzählen, wie er zur Endometriose gekommen ist.
Dr. Davut Dayan: Ja, wie ich vorhin erwähnt habe, wollte ich immer minimalinvasiv operieren. Es ist faszinierend, wie gut man auf diese Weise helfen kann. Dann hilft es vielleicht, sich vor Augen zu halten, dass wir das tun, um Gutes zu bewirken. Wir entfernen ja nur etwas Fremdes. Bei Endometriose muss man diese Feinfühligkeit haben, um individuell auf die Patientinnen eingehen zu können, die mitunter aufgrund ihrer Erkrankung schlimme Schicksalsschläge erlitten haben. Diese Patientinnen brauchen Hilfe und haben in ihrer Vergangenheit häufig Ablehnung erlebt, weil sie nicht verstanden wurden. Wir können versuchen, sie zu verstehen und ihnen zu helfen. Diese Herausforderung nehme ich gerne an.
Teresa Götz: Ja, sehr gut. Und ich denke, dafür ist Endometriose ein gutes Thema.
Dr. Davut Dayan: Ja, und letztendlich ist es eine sehr unklare Geschichte. Wir wissen bisher kaum etwas über Entstehung und Ausbreitung diese Erkrankung. Wir kennen, wenn überhaupt, nur die Spitze des Eisberges. Nicht einmal das Stück, das über dem Wasser liegt, sondern nur dessen Spitze. Wir müssen noch sehr, sehr Vieles lernen.
Teresa Götz: Ja, das stimmt. Ich habe jetzt noch drei Fragen. Eine Frage wäre: Viele Betroffene holen sich Hilfe auf Social-Media-Kanälen. Was denken Sie darüber?
Dr. Davut Dayan: Wie alles im Leben, hat das Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass man immer öfter Patientinnen sieht, die sich selbst diagnostiziert haben und den Weg zu uns finden. Ein Nachteil ist, dass viele nicht ideale oder der Situation entsprechende Aussagen kursieren, die die Patientinnen verunsichern oder auf den falschen Weg führen. Wenn man das etwas besser sortieren oder aussortieren könnte, wäre das super. Aber das ist schwierig.
Teresa Götz: Ja, das stimmt. Manchmal ist es für Betroffene schwierig zu erkennen, wie vertrauenswürdig eine Aussage ist. Meine nächste Frage ist: Was halten Sie von Gesundheitsapps zur Selbsthilfe, wie zum Beispiel der Endo-App?
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Ich finde die supertoll! Im Moment ist mir auch keine vergleichbare Alternative bekannt.
Dr. Davut Dayan: Das ist toll. Wir haben letztes Jahr zusammen einen Artikel über Apps geschrieben, aber dieses Mal über Brustkrebs. Das ist auf jeden Fall eine sehr schöne Sache, eine sehr schöne Entwicklung. Wir freuen uns darüber.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Was ich noch bezüglich Social Media sagen wollte: Es ist gut, wenn sich die Patientinnen interessieren, denn, wie Herr Dayan gesagt hat, die kommen dann früher. Vielleicht hat der Arzt nicht daran gedacht, aber die denken: „ich könnte dieses oder jenes haben. Vielleicht suche ich mir selbst einen Weg.“ Das andere ist, dass man in Social Media alles Mögliche findet. Du sollst chinesische Pilze für 3.000 Euro kaufen und die sollen helfen. Deswegen finde ich es für Patientinnen, die sich für Social Media interessieren, wichtig, einen guten Ansprechpartner zu haben und fundierte Informationen zu erhalten, wie zum Beispiel über die Endo-App. Deswegen finde ich gut, dass die Patientinnen da ihren Ansprechpartner an der Hand haben. Ich bin aber weiterhin ein Freund von persönlichem Kontakt mit der Patientin.
Teresa Götz: Auf jeden Fall. Ich bin ja von Haus aus Psychologin, und da graut es mir natürlich davor, wenn es nachher heißt, die Endometriose-Betroffenen, denen es psychisch so schlecht geht, haben gerade erfahren, dass sie keine Kinder bekommen können. Und die haben dann nur eine App und sehen kein menschliches Gesicht. Da bin ich als Psychologin natürlich auch nicht angetan. Aber diese Verzahnung, dass die Patientinnen beides bekommen, das Gespräch und zuhause eine weitere Betreuung sozusagen, das sollte hoffentlich die Zukunft sein. Und dann habe ich nur noch eine letzte Frage. Gibt es noch etwas, was Sie Betroffenen noch mit auf den Weg geben möchten?
Dr. Davut Dayan: Dass es kein Weltuntergang ist, eine chronische Erkrankung zu haben und dass wir lernen müssen, damit zu leben, als ein Teil von uns.
Dr. MUDr. Štefan Lukáč: Ich hätte gesagt, dass die Erkrankungen in unserem Leben suchen wir uns nicht aus, aber wir können uns den Stellen und sie zu behandeln.
Dr. Davut Dayan: Das Problem ist, dass Endometriose eine chronische Erkrankung ist. Das ist nicht wie eine Erkältung, die eine Woche geht und dann geheilt wird. Bei Endometriose muss man akzeptieren, dass man etwas hat, was man nicht haben möchte. Es ist da und wenn man Frieden damit schließt, kann man besser damit umgehen. Aber wenn ich immer versuche, Abstand zu halten und mich davon zu distanzieren, was aber nicht gelingt, dann habe ich irgendwann psychischen Druck. Dann laufe ich von einem Arzt zum anderen und jeder denkt, dass er schlauer ist als der andere. Es wird operiert, und dann ein zweites, drittes, viertes oder sogar zwanzigstes Mal, wie Sie vorhin gesagt haben. Ich erlebe immer wieder, dass meine Patientinnen, solange sie mit anderen Sachen beschäftigt sind, mit Endometriose wenig Probleme haben. Aber sobald die anderen Beschäftigungen oder anderen Belastungen nachlassen, sind sie plötzlich mehr mit der Endometriose beschäftigt. Das bedeutet, man darf nicht vergessen, dass es auch eine psychosoziale Belastung gibt und dass das Psyche eine sehr große Rolle bei dieser Erkrankung spielt. Sie können das als Psychologin gut nachvollziehen.
Teresa Götz: Genau, Sie sprechen ein ganz wichtiges Thema an. In der Psychologie gibt es relativ neu dieses Konzept der Akzeptanz und Commitment-Therapie. Das finde ich ganz toll und auch da ganz passend. Wie Sie sagen, wenn man nur dagegen kämpft und es nicht akzeptieren kann, obwohl man es nicht ändern kann, holt man sich noch ein zweites Problem dazu. Dann ist es gut zu sagen: Es ist vielleicht nicht so toll, aber was kann ich jetzt machen?
Dr. Davut Dayan: Ja.
Teresa Götz: Das ist doch ein sehr schönes Schlusswort. Wie gesagt, vielen lieben Dank.
Dr. Davut Dayan: Vielen Dank auch für Ihre Zeit. Das war ein nettes Gespräch.
Teresa Götz: Genau, ich wollte auch sagen, es hat mir Spaß gemacht. Es war auch für mich interessant. Sehr gerne.
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