Chronische Schmerzen in der Endometriose

Auch, wenn Endometriosepatientinnen beschwerdefrei sein können, ist Schmerz für viele Betroffene ein zentrales Symptom der Endometriose. Vor allem chronische Schmerzen beeinträchtigen die Frauen in ihrer Lebensqualität sehr stark!

Bis heute ist die Schmerzentstehung bei Endometriose nicht vollends verstanden und aus diesem Grund ein aktuelles Forschungsthema. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass es nur eine sehr schwache Beziehung zwischen dem Ausmaß oder Umfang der Endometriose und der Schmerzhäufigkeit sowie Schmerzintensität gibt. Das bedeutet, dass der Schmerz keinen Rückschluss auf die Zahl, den Ort oder die Größe der Endometrioseherde zulässt. Starke Schmerzen können auch schon bei kleinen Endometriosebefunden auftreten und große Herde manchmal symptomlos sein.

Unterbauchschmerzen können aus verschiedenen Gründen chronifizieren. Der Zeitraum, bevor sich eine Frau mit Unterbauchschmerzen dazu entscheidet, ärztlichen Rat aufzusuchen, aber auch der Behandlungszeitraum von Endometriose selbst kann sehr lang sein und somit langanhaltenden Schmerz bedeuten.

Sich wiederholende Bauchspiegelungen, die der Entfernung von Endometrioseherden dienen, können ebenfalls der Auslöser für andauernden Schmerz sein. Hier sind (Nerven)Verwachsungen, Organverletzungen oder andere Komplikationen für anhaltenden Schmerz verantwortlich.

Lang anhaltender und dauerhafter Schmerz wird vom Körper „gelernt“ und zu einem chronischen Schmerz [5,6,8].

Vom Schmerzreiz zum Gehirn

Unser Körper besitzt für unterschiedliche Schmerzreize verschiedene Schmerzrezeptoren. Einige reagieren auf mechanische Einwirkungen, wie Stöße, andere nur bei Anwesenheit bestimmter Botenstoffe. Verschiedene Zellen sind dabei für Berührungsempfinden, dumpfen Schmerz und stechenden Schmerz verantwortlich.

Werden Schmerzsinneszellen aktiviert, strömen Ionen in die Nervenzelle ein. Nur, wenn der Schmerzreiz stark genug ist, strömen genug Ionen in die Zelle ein, um eine gewisse Schwelle zu überschreiten und eine Weiterleitung auszulösen. Die Zelle wird also aktiv.

Die Schmerzinformation wird in Form eines elektrischen Impulses vom Schmerzrezeptor zum Rückenmark und vom Rückenmark zum Gehirn transportiert.

Die Schwelle der Auslösung kann allerdings durch viele Faktoren beeinflusst werden – Entzündungsreaktionen, langanhaltende Schmerzen und Nervenverletzungen.

Was passiert (auch am Endometrioseherd) wenn Schmerz ausgelöst wird?

Auf den Reiz folgend wird das um den Schmerzrezeptor liegende Gewebe sensibilisiert. Es ist schmerzempfindlicher und wird stärker durchblutet. Außerdem wird das Immunsystem aktiv, Botenstoffe werden ausgeschüttet und Immunzellen angelockt.

Die Information über den Reiz wird übers Rückenmark ins Gehirn weiteregeleitet.

Im Gehirn ist der Thalamus die Filter- und Verteilstelle für Schmerzinformationen. Er sendet die Schmerzinformation beispielsweise in das limbische System, dort wird der Schmerz emotional bewertet.

Die absteigende Schmerzbahn läuft vom Gehirn zum Rückenmark und hemmt den Schmerz. Über die hemmende Schmerzbahn kann das Gehirn und somit auch unsere emotionale Bewertung, Einfluss auf die Schmerzweiterleitung nehmen.  Doch das Rückenmark selbst ist mehr, als nur eine Zwischenstation zum Gehirn. Es ist eine komplexe Verarbeitungsstelle, die die Schmerzempfindung reguliert und an der Entstehung von chronischen Schmerzen beteiligt sein kann. Das sogenannte Schmerzgedächtnis bildet sich auch in den Nervenzellen des Rückenmarks [2,3,9].

Das Empfinden der Schmerzen kann also an verschiedenen Stellen beeinflusst werden:

  1. Direkt an der Nervenzelle am Schmerzort (Periphere Sensibilisierung)
  2. Bei der Weiterleitung im Rückenmark (Zentrale Sensibilisierung)
  3. In verschiedenen Stellen im Gehirn (Zentrale Sensibilisierung)

Beeinflussung am Schmerzort – Periphere Sensibilisierung

Kurzfristige Reaktion

Nach einer Schädigung (Verletzung, Operation, Entzündung) setzt Gewebe bestimmte Substanzen frei. Diese Substanzen machen unsere Schmerzsinneszellen (Nozizeptoren) sensibler und es werden mehr  Nozizeptoren aktiviert. Das führt dazu, dass bereits sehr leichte Reize Schmerz auslösen. Es ist also nur weniger Reiz (durch den Endometrioseherd) notwendig um (den gleichen) Schmerz ans Gehirn zu melden. Man spricht von peripherer Sensibilisierung.

Periphere Sensibilisierung dauert häufig solange an, wie die periphere Schädigung (Entzündung, Verletzung) selbst.

Langfristige Reaktion

Anhaltende Schmerzen im Zusammenhang mit Verletzungen oder Krankheiten können mit Veränderungen der Eigenschaften von peripheren Nerven zusammenhängen. Diese Veränderungen können als Folge einer Schädigung von Nervenfasern auftreten.

Wird eine Nervenfaser verletzt (beispielsweise während einer OP oder durch Endometriose) kann es zu einer verstärkten spontanen Aktivität der Nervenzellen, zu Veränderungen der Leitungseigenschaft von Nervenfasern oder zu veränderten Botenstoffe in den Nervenzellen führen [2,3].

Was passiert bei Endometrioseherden an den Nervenzellen?

Periphere Mechanismen in Endometriose-aktiviertem Schmerz sind ein Zusammenspiel aus Endometrioseherden, dem Immunsystem, dem Bauchfell sowie peripheren Nervenfasern und Neuronen in und um Endometrioseherde.

Das Bauchfell oder auch Peritoneum bildet eine Flüssigkeit, die Peritonealflüssigkeit. Diese Flüssigkeit erleichtert die Bewegung verschiedener Organe entlang der Bauchwand, enthält aber auch Botenstoffe von Immun- und Nervensystem. Veränderungen in der Zusammensetzung der Peritonealflüssigkeit können Nozizeptoren und damit Schmerzprozesse aktivieren. Bei Endometriose konnten veränderte Mengen dieser Botenstoffe gefunden werden. Zu den veränderten Botenstoffen gehören zum Beispiel Wachstumsfaktoren von Nerven (BDNF), Chemokine (CCL2) und Cytokine (IL-6), die in Immunzellen hergestellt werden.

Diese Botenstoffe können Nerven sensibilisieren und wiederum dafür sorgen, dass leichte Reize zu Schmerzen führen. Neue, in die Endometrioseherde einwachsende, Nervenfasern scheinen ebenfalls eine Rolle bei peripherer Sensibilisierung zu spielen.

Endometrioseherde führen also wahrscheinlich selbst durch Nervenreizung, Entzündungsreaktionen und Nervenwachstumsfaktoren zu einer peripheren Sensibilisierung. Zusätzlich entwickelt diese sich auch durch die permanente Reizung [1,4,7].

Bildung eines Schmerzgedächtnisses – Zentrale Sensibilisierung

Zentrale Sensibilisierung ist ein wichtiger Mechanismus bei Endometriose-assoziiertem Schmerz und chronischen Unterbauchschmerzen. Nachdem eine zentrale Sensibilisierung erfolgt ist, wird kein Schmerzsignal aus der Peripherie (z.B. dem Uterus) benötigt, damit ein Schmerz gefühlt wird. Der Schmerz ist „eigenständig“.

Die neuronalen Mechanismen, die dies verursachen, sind denen der Gedächtnisbildung ähnlich. Deswegen kann zentrale Sensibilisierung zu einer Generierung von Schmerz ohne periphere Schmerzsignale führen. Aus diesem Grund kann Schmerz trotz einer Behandlung (beispielsweise einer OP) andauern [2,3,7].

Beeinflussung der zentralen Sensibilisierung ist möglich!

Das zentrale Nervensystem trägt zur Entstehung des Schmerzempfindens bei. Chronischer Unterbauchschmerz kann, neben dem Schmerzsignal selbst, durch Faktoren wie Verhalten, Sexualität oder Emotionen beeinflusst und verstärkt werden. Der Schmerz selbst modifiziert die Struktur des zentralen Nervensystems sowie seine Funktion. Es verändert sich beispielsweise die Antwort der Nervenzellen auf Schmerzinformationen sowie die Größe bestimmter Hirnregionen und ihre Aktivität [7].

Wie funktioniert zentrale Sensibilisierung genau?

Auf molekularer Ebene bedeutet das Veränderung von Botenstoffmengen, die langfristig dazu führen, dass die Verbindungen zwischen Nervenzellen stärker werden. Es wird sozusagen ein Pfad getrampelt, der die Übertragung von Schmerzinformationen verändert und die Schmerzen verschlimmert (Hyperalgesia). Der Patient wird sensitiver für periphere Schmerzsignale (z.B. im Unterbauch). Ein weiterer Mechanismus im Zuge von zentralen Sensibilisierung ist Disinhibition. Bei diesem Prozess verlieren Nervenzellen, die an der Hemmung von Schmerz beteiligt sind, über verschiedene Mechanismen ihre hemmende Funktion. Die Folge von fehlender Hemmung ist stärker empfundener Schmerz [7].

protektive Faktoren und Risikofaktoren für chronische Schmerzen

Wie bereits erwähnt, nimmt das Gehirn Einfluss auf die Verarbeitung von Schmerzinformationen. Die Hirnregionen, die unseren Schmerz emotional bewerten, sind auch Sitz unserer Gefühle. Körperlicher und seelischer bzw. emotionaler Schmerz sind eng miteinander verbunden. Die sozialen und  physischen Stress-Schmerzsysteme sind in unserem Körper eng miteinander verknüpft. Bei chronischen Schmerzerkrankungen können negative Gefühle und Schmerz oft nicht mehr getrennt voneinander wahrgenommen werden. Das bedeutet, dass Emotionen wie Angst oder Trauer den Schmerz nicht nur verstärken, sondern auch als solcher empfunden werden. Positive Emotionen und Gedanken hingegen, lassen uns Schmerz als weniger stark empfinden.

Aufgrund des großen Einflusses unserer Psyche auf unser Schmerzempfinden, ist es wichtig Risikofaktoren für eine Chronifizierung zu kennen. Dazu gehören unter anderem ein hohes inneres Stresslevel, länger andauernde Stress oder Schmerzerfahrungen aus der Vergangenheit, häufige Belastung über die eigenen Grenzen hinaus, familiäre Konflikte,  genetische Veranlagung, aber auch Depressionen oder Angsterkrankungen können eine Chronifizierung begünstigen. Eine umfangreiche Liste findest du hier.

Faktoren, die protektiv wirken können, sind unter anderem Annahme von Unterstützung durch das soziale Umfeld, eine positive Akzeptanz der Erkrankung mit Lösungsorientierung, eine vorherige konstruktive Krisenbewältigen und eine gute Arzt-Patienten-Beziehung [2,9,10].

Zusammenfassung

Chronische Unterbauchschmerzen sind ein häufiger Begleiter von Endometriose Patientinnen. Die Schmerzintensität und -häufigkeit gibt dabei keine Auskunft über das Ausmaß oder den Umfang der Endometriose.

Ein grundlegender Mechanismus für die Chronifizierung von Schmerzen ist zentrale Sensibilisierung. Der neuronale Mechanismus kommt der der Gedächtnisbildung gleich. Der Nerv und das Gehirn „erinnern sich“ an den Schmerz und nehmen ihn danach immer stärker war.

Zentrale Sensibilisierung kann zu einer Wahrnehmung von Schmerz ohne initialen Schmerzreiz führen.

Periphere Sensibilisierung hingegen findet nach einer Gewebeschädigung am Ort des Geschehens selbst statt. Das umliegende Gewebe produziert bestimmte Botenstoffe, die wiederum die Eigenschaften von Nervenzellen und -fasern verändern können und dazu führen, dass bereits schwache Reize als Schmerz wahrgenommen werden. Auch wird ein vermehrtes Wachstum von Nervenzellen getriggert.

All diese Prozesse können Angriffsstellen für Therapien gegen den Schmerz sein.

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