Schmerzen beim Sex: körperliche & psychische Ebene

Das Symptom „Schmerzen beim Sex“ wird tatsächlich mit am häufigsten genannt, wenn es um die Erkrankung Endometriose geht. Die sogenannte Dyspareunie steht im Allgemeinen für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Dahinter verstecken sich jedoch unterschiedliche Symptome sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene.

Wie wichtig ist also das Verständnis für das Zusammenspiel von Psyche und Körper für Betroffene? Was bedeutet dies für Endometriose-Betroffene und welche Lösungsansätze können das Sexleben verbessern, um eine schmerzfreie und lustvolle Sexualität zu erleben?

In diesem Artikel möchte ich die körperlichen und psychischen Faktoren erklären und dir mögliche Lösungswege für eine schmerzfreie Sexualität mit an die Hand geben.

Körper und Psyche – das untrennbare Paar

Bevor wir uns die körperliche und psychische Ebene einmal getrennt anschauen, ist es wichtig zu verstehen, dass Psyche und Körper immer zusammengehören. Ganz besonders wenn es um Schmerzen oder Erkrankungen geht. Psychische Erkrankungen spüren wir immer auch im Körper. Wenn du auf organischer Ebene Schmerzen hast, macht dies immer auch etwas mit deiner Psyche. [1] Die psychische und die körperliche Ebene lassen sich nicht trennen und sollten immer ganzheitlich betrachtet werden.

Daher ist es wichtig zu verstehen, welche Rollen diese beiden Ebenen einnehmen und wie wir mit unserer Gesundheit umgehen können, um beides in einem gesunden Gleichgewicht zu halten. Wenn es um deine sexuelle Gesundheit geht, schließt dies also immer Körper und Psyche mit ein. Schmerzhafter Sex belastet Endometriose-Betroffene und Partner:in auch im Alltag und bedarf einer guten medizinischen Versorgung und Aufklärung bzw. Begleitung von Expert:innen.

Sind deine körperlichen, also medizinischen Faktoren abgeklärt, gilt es die psychische Ebene durch eine Sexualberatung oder -therapie zu begleiten. Hier könnt ihr gemeinsam als Paar oder auch du als Endometriose-Betroffene die Möglichkeiten eurer Sexualität verstehen und neu ausrichten, mit dem Ziel eine genussvolle und schmerzfreie Sexualität zu leben.

Schmerzhafter Sex – organische/körperliche Ebene

Im ersten Schritt ist es wichtig abzuklären, ob deine körperlichen Schmerzen beim Sex tatsächlich mit der Endometriose zusammenhängen oder einen anderen Ursprung haben. Mögliche organische Ursachen für eine schmerzhafte Sexualität könnten, neben der Endometriose, sein:

  • Pilzinfektionen im Vaginalbereich
  • Beckenbodenentzündungen
  • Blasenentzündung
  • Geschlechtskrankheiten (Chlamydien)
  • Geburtsverletzungen
  • Zu geringe Feuchtigkeit in der Vagina
  • Hauterkrankungen (Lichen Sclerosus)
  • Allergische Reaktionen auf Gleitgele, Toys, Latexkondome
  • Mikroverletzungen in der Vagina
  • Weitere Erkrankungen/medizinische Ursachen

Diese vielen weiteren Ursachen für schmerzhaften Sex zeigen, wie wichtig es ist, sich medizinisch gut beraten und untersuchen zu lassen. Für viele dieser Punkte gibt es meist relativ einfache Lösungen. Eine Blasenentzündung oder auch Chlamydien lassen sich zum Beispiel mit Antibiotika behandeln und die Schmerzen beim Sex verschwinden in der Regel dann auch relativ zeitnah. Geburtsverletzungen, wie zum Beispiel Mikroverletzungen in der Vagina, oder auch Narben nach einer Geburt brauchen häufig etwas mehr Zeit und Pflege (z.B. Salben, Massagen), bis schmerzfreier Sex wieder möglich ist. Lass dich hier von einem:einer Gynäkologen:in deines Vertrauens untersuchen und beraten.

Wenn alles andere außer die Endometriose selbst als Auslöser für die Schmerzen beim Sex ausgeschlossen werden kann, dann ist es wichtig, dass du dich selbst aufmachst und deine Schmerzen genauer ergründest. Im ersten Schritt solltest du dich ganz genau damit auseinandersetzen, wie sich die körperlichen Schmerzen anfühlen und wann sie genau auftreten.

Endometriose – Wie fühlen sich die körperlichen Schmerzen beim Sex genau an und wann treten sie tatsächlich auf?

Schmerzen beim Sex zu haben ist erstmal eine sehr allgemeine Angabe. Damit Endometriose-Betroffene die Chance haben nicht nur gut medizinisch versorgt zu werden, sondern auch die eigene Sexualität wirklich schmerzfrei und lustvoll leben zu können, ist es wichtig die Schmerzen konkret benennen zu können. Dazu ist es wichtig zu wissen, welche Arten von Schmerz es aufgrund der Endometriose beim Sex geben kann.

In einer Studie wurde herausgefunden, dass speziell Menschen mit tief infiltrierender Endometriose eine Beeinträchtigung der Sexualität erleben und damit eine Abnahme des allgemeinen Wohlbefindens. Es wird hier darauf hingewiesen, dass Dyspareunie und vaginale endometriotische Läsionen die Sexualität stark beeinflussen. Allgemein ist es aber so, dass der Schweregrad der Endometriose nicht unbedingt etwas über die Stärke der Symptome im Alltag aussagt. [2]

Welche Arten von Schmerz gibt es denn nun?

  • Der Anstoßschmerz tritt auf, wenn ein Penis, Finger oder Toy zu tief eindringt und gegen deinen Muttermund oder gegen mögliche Endometriose-Verwachsungen in der Vagina bzw. Adenomyose-Verwachsungen in der Gebärmutter stößt. [3]
  • Ein verspannter Beckenboden, unter dem viele Endometriose Betroffene leiden, führt ebenfalls häufig zu Schmerzen beim Sex. Spezielle Übungen oder spezialisierte Physiotherapeut:innen können hier helfen. [4]
  • Schmerzen nach dem Orgasmus können auch auftreten und dir Probleme bereiten. Sie lassen sich darauf zurückführen, dass die benötigte Anspannung für den Aufbau des Orgasmus für deine Endometriose-Verwachsungen zu stark ist.
  • Es könnte auch sein, dass du nach einer Endometriose-Operation (Laparoskopie) Heilungsprozesse in deinem Körper durch die Bewegungen beim Sex ‚störst‘. Das heißt bestimmte Organe oder OP-Narben sind noch nicht so weit verheilt, dass die Bewegung und der Druck durch sexuelle Handlungen schmerzfrei möglich sind.

Gut zu wissen!

Viele Ärzt:innen empfehlen erst 14 Tage nach einer Laparoskopie wieder Sex zu haben, dies ist aber nur eine allgemeine Angabe, bei der es darum geht, dass nach 14 Tagen keine Narben mehr einreißen können und der Heilungsprozess so weit ist, dass du außer Gefahr bist, dir neue Verletzungen zuzufügen. Dieser Zeitraum bedenkt aber nicht, ob ganz speziell dein Körper und deine Psyche tatsächlich schon bereit für Sex sind. Nimm dir selbst also nach einer Operation unbedingt zusätzlich die Zeit, die du brauchst. Solange du mindestens die von Mediziner:innen empfohlene Schonfrist einhältst, gibt es hier kein richtig oder falsch, sondern es zählt dein eigenes Körpergefühl.

Dem Ursprung der körperlichen Schmerzen auf die Schliche kommen

Um herauszufinden welche Art von Schmerzen du wann hast, macht es Sinn, ein kleines Schmerz- und Sextagebuch zu führen. Hierbei kann es dir helfen, folgende Fragen zu beantworten:

  • Spüre ich den Schmerz nur bei Penetration oder auch schon vorab?
  • Tritt der Schmerz nur während des Sex oder auch davor oder danach auf?
  • Kenne ich diese Art Schmerz aus meinem Alltag mit Endometriose oder ist es ein eigener Schmerz, der nur beim Sex spürbar ist?
  • Kann ich genau benennen, wo der Schmerz in mir auftritt?
  • Wie viel Lust verspüre ich selbst wirklich, bevor ich mit meinem:meiner Partner:in Sex habe?
  • Wie geht es mir emotional vor, während und nach dem Sex?
  • Spüre ich Angst vor dem Sex, Unsicherheit oder Scham?
  • Gibt es Dinge, die ich aussprechen möchte, aber nicht kann, oder nicht weiß, wie? Welche sind das, kann ich sie für mich aufschreiben?

Das Schmerz-Sextagebuch kann dir nicht nur helfen deine Schmerzen zu verstehen, sondern auch deine Sexualität zu verbessern und zu lernen, über deine sexuellen Wünsche und Grenzen offen zu sprechen. Sexualität ist ein lebenslanger Prozess, du wirst immer wieder neue Dinge über dich selbst erfahren und vielleicht auch Neues ausprobieren wollen. Umso mehr positive intime Erfahrungen du mit deinem Körper und deiner Sexualität machst, umso besser wird dein Gefühl für deinen eigenen Körper, deine Bedürfnisse und deine Grenzen. Dies hilft dir, aus deiner Sexualität positive Energien zu schöpfen und stärker mit der Erkrankung Endometriose durchs Leben zu gehen.

Um die Fragen für dein Schmerztagebuch gut und genau beantworten zu können ist ein Grundwissen über deine eigene sexuelle Anatomie unerlässlich. Hier findest du einen Artikel über die Vulva, Vagina, Klitoris und weiteren Informationen zu den Lustzonen und sexuellen Funktionen des Körpers.

Schmerzhafter Sex – die psychische Ebene

Wenn du beginnst, dein Schmerz-Sextagebuch zu führen, wirst du schnell merken, dass die psychische Ebene eine sehr wichtige Rolle spielt. Wie fühlst du dich mit diesem Thema, was macht es mit deinen Gefühlen, deiner Körperwahrnehmung und deinem Selbstwertgefühl?

Sexualität gilt als ein Grundbedürfnis, nicht nur für unseren Körper, sondern auch für unsere Psyche. Eine gut gelebte Sexualität fördert unsere positive Körperwahrnehmung, verbindet uns mit unseren Bedürfnissen und lässt uns klarer spüren, was wir brauchen. Ist dieses Grundbedürfnis durch Schmerzen gestört, leidet unsere Psyche mit.

Zu wissen, dass fast die Hälfte aller Endometriose-Betroffenen an sogenannten Koitalschmerzen, also Schmerzen beim Sex, leiden, darf dir die Sicherheit geben, dass du nicht allein mit diesem Symptom bist und auch nichts an dir falsch ist. [5] In einer weiteren Studie wurde festgestellt, dass Endometriose-Betroffene in Zusammenhang mit ihrer Sexualität signifikant häufiger an Depressions- und Angstsymptomen und einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität leiden. [6] Besonders wenn es um unser Sexleben geht, sind die Psyche und Endometriose stark miteinander verknüpft.

Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Schmerzen beim Sex auch einen direkten psychischen Ursprung haben können, zum Beispiel durch extrem schmerzhafte medizinische Untersuchungen aufgrund der Endometriose oder durch schmerzhafte oder traumatische sexuelle Erlebnisse. Hat der Körper in der Vergangenheit schmerzhaften Sex oder übergriffige, schmerzhafte gynäkologische Untersuchungen erlebt, ist es nicht ungewöhnlich, dass dieser Schmerz bleibt und als eine Art Schutzschild vor neuen körperlichen Kontakten funktioniert.

Sexualität und psychosomatische Schmerzen

Bei dem Verdacht, dass deine Schmerzen einen psychischen Ursprung haben, ist es trotzdem immer wichtig, dich zunächst körperlich untersuchen zu lassen. Dass deine Schmerzen psychischen Ursprung haben, bedeutet nicht, dass sie weniger real oder schmerzhaft sind. Es bedeutet nur, dass deine Psyche sich den Körper zur Hilfe genommen hat. Dadurch besteht die Möglichkeit, über deine psychische Gesundheit deine körperlichen Symptome zu verbessern oder zu heilen. Damit ist nicht die Endometriose im Ganzen gemeint, sondern zusätzliche körperliche Symptome der Endometriose. Wie zum Beispiel Schmerzen beim Sex, die möglicherweise keinen organischen Ursprung haben.

Eine starke Psyche bedeutet in dem Fall weniger oder sogar keine körperlichen Symptome. Was kann dir aber dabei helfen, dich psychisch zu stärken, um herauszufinden, wie du deinen psychosomatischen Schmerzen entgegentreten kannst? Es gibt immer die Option, dich therapeutisch begleiten zu lassen. Du kannst dich an eine psychosomatische Ambulanz, Psychotherapeut:innen wenden oder dich konkret für eine Sexualberatung bzw. -therapie entscheiden. Die professionelle Begleitung in diesen Themen kann sehr hilfreich sein und dir helfen, dich auf einen schmerzfreien Weg zu begeben.

Schlaufuchs to go: Psychosomatik

“Von einer psychosomatischen Störung sprechen wir dann, wenn wir uns mit einem Symptom konfrontiert sehen, akut oder chronisch, bei dem eine einseitige physiopathologische (körperliche) oder psychopathologische (psychische) Erklärung oder eine entsprechend orientierte Behandlung allein nicht ausreicht, um Symptome oder Beschwerden zu verstehen, zu lindern oder zu heilen.” [7]

Vereinfacht gesagt: Stress im allgemeinen, Lebenskrisen oder auch traumatische Erfahrungen können schon vorhandene körperliche Beschwerden verschlimmern oder neue körperliche Beschwerden auslösen. Es kann zum Beispiel zu chronischen Schmerzen, Tinnitus, Magen- und Verdauungsproblemen oder anderen Symptomen kommen. Diese lassen sich auch mit intensiven medizinischen Untersuchungen nicht nachweisen, sind für Betroffene aber deutlich, teilweise sogar schmerzhaft spürbar und einschränkend.

Kurz und knapp zusammengefasst

Sexualität ist etwas sehr Individuelles und Einzigartiges. Auch wenn du aktuell Schmerzen beim Sex hast, kannst du ganz sicher einen Weg finden, eine schmerzfreie, lustvolle und liebevolle Sexualität zu leben. Das funktioniert nicht unbedingt auf Knopfdruck, aber das Schöne ist, dass der Weg dahin schon unglaublich viel Freude machen kann und du dich selbst und deinen Körper ganz neu kennenlernen darfst. Das stärkt deine Psyche und dein positives Körpergefühl. Es ist ganz normal, sich am Anfang vielleicht etwas unsicher zu fühlen, wenn du dich ganz neu mit dem Thema befasst. Mit der Zeit wirst du immer mehr Selbstbewusstsein entwickeln und merken, wer dich gut beraten oder begleiten kann. In der Endo-App hast du die Möglichkeit, dich über dieses Thema weiter zu informieren und deine Schmerzen zu tracken.

Mit der Endo-App kannst du täglich dein Wohlbefinden dokumentieren.

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Referenzen

  1. Vadivelu N, Kai AM, Kodumudi G, Babayan K, Fontes M, Burg MM. Pain and Psychology-A Reciprocal Relationship. Ochsner J. 2017;17(2):173-180.
  2. Montanari G, Di Donato N, Benfenati A, et al. Women with deep infiltrating endometriosis: sexual satisfaction, desire, orgasm, and pelvic problem interference with sex. J Sex Med. 2013;10(6):1559-1566. doi:10.1111/jsm.12133
  3. Yong PJ, Mui J, Allaire C, Williams C. Pelvic floor tenderness in the etiology of superficial dyspareunia. J Obstet Gynaecol Can. 2014;36(11):1002-1009. doi:10.1016/S1701-2163(15)30414-X
  4. Bahlani, Sonia. 2019. “When Sex Hurts: Understanding Pelvic Pain and Intercourse.” When Sex Hurts: Understanding Pelvic Pain and Intercourse (pelvicpaindoc.com), Zugriff am 03.11.2022
  5. Pluchino N, Wenger JM, Petignat P, et al. Sexual function in endometriosis patients and their partners: effect of the disease and consequences of treatment. Hum Reprod Update. 2016;22(6):762-774. doi:10.1093/humupd/dmw031
  6. De Graaff AA, Van Lankveld J, Smits LJ, Van Beek JJ, Dunselman GA.Dyspareunia and depressive symptoms are associated with impaired sexual functioning in women with endometriosis, whereas sexual functioning in their male partners is not affected. Hum Reprod. 2016;31(11):2577-2586. doi:10.1093/humrep/dew215
  7. Rimpel, J., Hähnlein, V. 2008. „Systemische Psychosomatik – Ein integratives Lehrbuch“, Klett-Cotta: Stuttgart.

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