Chronischer Schmerz – eine Übersicht

Akute Schmerzen erfüllen im menschlichen Körper eine wichtige Überlebensfunktion. Sie dienen dem Körper als Warnsignal und sind somit biologisch sinnvoll. Schmerzen können verschiedene Auslöser, wie zum Beispiel reale körperliche oder psychische Verletzungen haben. Diese klassische, allen von uns geläufige, Form von Schmerz wird als akuter Schmerz bezeichnet. Chronischer Schmerz hingegen, auch chronischer Unterbauchschmerz in der Endometriose, muss gesondert betrachtet werden. Aufgrund der langen Diagnose und Krankheitszeit sind chronische Unterbauchschmerzen bei der Endometriose ein häufiges Symptom. [6,10]

Definition chronischer Schmerz

Anders, als bei akutem Schmerz, fehlt bei chronischem Schmerz diese Warnfunktion oft. Auch wenn sich chronischer Schmerz oft aufgrund einer akuten Situation (z.B. Verletzung, Endometrioseherd) entwickelt, besteht er nach der Chronifizierung unabhängig von der ursprünglichen Erkrankung. Er ist häufig auf keine konkrete Ursache (mehr) zurückzuführen und stellt eine eigenständige Schmerzkrankheit dar.

Als chronischer Schmerz wird Schmerz bezeichnet, der mindestens über einen Zeitraum von 3 bis 6 Monate andauert oder wiederkehrt. Vermeidungs- oder Schonverhalten sowie physiologische und immunologische Prozesse können außerdem zu einer Verschlimmerung oder zu einer Chronifizierung, also dem Übergang von vorübergehendem Schmerz in eine dauerhafte Präsenz, führen. [3,11]

Warum entsteht chronischer Schmerz?

Um zu erklären, wie chronischer Schmerz entsteht, ist es
wichtig zu verstehen, wie Schmerz auf neuronaler Ebene im Körper verarbeitet
wird.

Das bedeutet, wie gelangt der Schmerzreiz zum Gehirn und wie wird er dort verarbeitet?
Unser Körper nimmt Schmerz über Schmerzsinneszellen, sogenannte Schmerzrezeptoren oder Nozizeptoren wahr. Sie befinden sich sowohl im Äußeren zum Beispiel in der Haut, aber auch im Inneren des Körpers zum Beispiel, in den inneren Organen, im Bauchfell und in den Muskeln.

Nach der Aufnahme des Schmerzreizes über Schmerzrezeptoren werden die Schmerzinformationen über Nervenbahnen zum Rückenmark und von dort über aufsteigende Nervenbahnen zum Gehirn weitergeleitet.

Die Schmerzwahrnehmung kann dabei in jeder Stufe dieser
Weiterleitung positiv oder negativ beeinflusst werden.

Zentrale Regelung des Schmerzsystems

Ist die Schmerzinformation im Gehirn angekommen, wird sie dort in einer zentralen Schaltstelle gefiltert und an unterschiedliche Bereiche, die Schmerznetzwerke, im Gehirn weitergeleitet. Diese Areale des Gehirns sind unter anderem für die Schmerzlokalisation, die Schmerzintensität und die emotionale Schmerzwahrnehmung essenziell. Emotionen wie Angst oder Depressionen können die Stärke beeinflussen, mit der wir einen Schmerz wahrnehmen. [9]

Das Schmerzsystem unseres Körpers ist situationsabhängig mehr oder weniger aktiv. So ist es beispielsweise in Fluchtsituationen weniger aktiv und in Angstsituationen aktiver. Diese situationsabhängige Regulierung erfolgt über Nervenbahnen, die absteigend vom Gehirn zum Rückenmark führen. Die absteigenden Nervenbahnen hemmen Schmerzinformationen im Rückenmark und ermöglichen so den Einfluss des Gehirns auf die Schmerzweiterleitung und die Schmerzen die wir wahrnehmen. [9]

Auch im Rückenmark selbst können Schmerzreize Reaktionen auslösen. Bei akutem Schmerz führt dies zu Schutzmechanismen, wie dem Anspannen von Muskeln. Bei chronischem Schmerz löst diese Reaktion Verspannungen aus, die zu zusätzlichen Schmerzen führen. [2]

Wie entsteht chronischer Schmerz?

Starke und andauernde Schmerzen verändern die Struktur und Funktionsweise von Nervenzellen im Gehirn, Rückenmark und dem restlichen Nervensystem. Bei einem anhaltenden Schmerzreiz werden die Nervenbahnen, die Schmerzinformation weiterleiten, wiederholt gereizt. Diese wiederholte Reizung führt zu einer erhöhten Übertragungsstärke der Schmerzinformation an den Übergängen zwischen Nervenzellen. Dies hat zur Folge, dass Nervenzellen empfindlicher auf Schmerzreize reagieren.

Auf diese Art und Weise kommt es bei chronischem Schmerz zu einer Art Kettenreaktion in den Schmerznetzwerken des Gehirns, die dazu führt, dass der Schmerz „gelernt“ wird. Eine derart einschneidende Veränderung des Schmerz-verarbeitenden Systems des Körpers kann dazu führen, dass es Schmerzsignale ohne Schmerzreiz generiert.

Diese gelernte Art von Schmerz kann beispielsweise durch Neuromodulation therapiert werden. Bei diesem Ansatz werden elektrische Impulse genutzt, um die Verarbeitung von Schmerzinformationen zu beeinflussen und zurück zum Normalzustand zu bringen. [7]

Einflussfaktoren

Beeinflusst werden die Nerven auch durch Nervenzellen die in die Endometrioseherde hineinwachsen. In Endometrioseherden finden sich besonders viele Nervenwachstumsfaktoren, die das Wachstum von unter anderem Schmerzrezeptoren anregen. Ein weiterer Faktor, der chronische Schmerzen erzeugen, aber auch modulieren kann, ist oxidativer Stress. Nimmt oxidativer Stress in Zellen zu, hat das zur Folge, das Botenstoffe ausgeschüttet werden, die Entzündungsreaktionen hervorrufen. Auch die Endometrioseherde können Entzündungsprozesse anstoßen. Die stetige Ausschüttung von entzündliche Botenstoffe und das ständige Vorhandensein eines entzündlichen Milieus, können die Schmerzsensibilität der Nervenzellen erhöhen – die Schmerzen werden als stärker wahrgenommen. [1]

Vorkommen in Endometriose

71 bis 87 % der Endometriose diagnostizierten Frauen leiden an chronischen Unterbauchschmerzen. Der Schmerz tritt sowohl zyklusabhängig, als auch zyklusunabhängig auf.  Diese Schmerzen können ihre ursprüngliche Ursache in Endometrioseherden, Verwachsungen oder Nervenschäden nach OP oder Verspannungen durch Schonhaltungen haben. Durch die Chronifizierung ist der Schmerz aber auch ein eigenständiger Teil des Krankheitsbildes.[5,8,12]

Chronischer Unterbauchschmerz ist eine Form von zentralisiertem
(“gelerntem”) Schmerz. Der Körper entwickelt eine niedrige Schwelle für
Schmerz, die dann in chronischem Schmerz resultiert.

Der akute Schmerz, der mit den Symptomen von Endometriose einhergeht, wird vom Körper über einen Zeitraum von 3 bis 6 Monaten gelernt und anschließend zu chronischem Schmerz. Dies hat zur Folge, dass Schmerzen, die zuvor als mild bis moderat wahrgenommen wurden, nun als starker Schmerz empfunden werden. Viele Frauen mit Schmerzsymptomen im Unterbauch warten bis zu 2 Jahre, bevor sie ärztlichen Rat suchen. [8,12]

Chronische Unterbauchschmerzen haben neben einer neurologischen auch eine emotionale Komponente und können beispielsweise durch emotionale Traumata verursacht oder verstärkt werden. [9]

Auswirkungen von chronischen Unterbauchschmerzen auf die Lebensqualität

Chronische Unterbauchschmerzen wirken sich auf alle Aspekte des täglichen Lebens, die Schlafqualität, die Teilnahme am sozialen Leben und die Teilnahme am Arbeitsleben aus. Chronische Schmerzen führen außerdem häufig zu Appetitminderung. [4,6]

Fallen Schmerzpatienten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit langfristig aus, können Arbeitslosigkeit und finanzielle Probleme die Folge sein. Chronischer Schmerz kann auch eine soziale Komponente haben. Betroffene meiden soziale Kontakte und Aktivitäten mit Freunden, dem Partner oder der Familien. Konflikte und soziale Isolation können die chronischen Schmerzen weiter verstärken. Dabei geraten Betroffene oft unter Rechtfertigungsdruck gegenüber Anderen, da sie in ihren täglichen Aktivitäten und Bewegungsradius häufig eingeschränkt sind und die Schmerzen aber nicht beweis- oder sichtbar sind. Dies ist vor allem bei der Endometriose enorm, da die Unterbauchschmerzen oft zu Unrecht als normal in der Regel abgetan werden. [4]

Folgen der Belastung

Ohne eine entsprechende Unterstützung kann eine Abwärtsspirale bis hin zu Hoffnungslosigkeit, Angst und Depression die Folge sein. Betroffene ziehen sich aufgrund ihrer Beschwerden aus dem öffentlichen Leben zurück. [11]

Halten chronische Unterbauchschmerzen lange an, führt die lang andauernde Belastung zu einer Reizung und die Hoffnung, einen wirkungsvollen Therapieansatz zu finden schwindet.

Diese Hoffnungslosigkeit kann
langfristig zu psychischen Folgeerkrankungen führen.

Aber auch bevor solch ein Punkt erreicht wird oder im Idealfall vor der Chronifizierung der Schmerzen, sollte dringend eine Therapie erfolgen. Prävention von chronischen Schmerzen ist in der Regel einfacher als ihre Therapie. [3,4,7]

Prävention und Behandlung Ausblick

Um der Entstehung von chronische Unterbauchschmerzen vorzubeugen, sollte frühzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Zusätzlich dazu kann mithilfe von Verhaltensänderungen, wie z.B. langfristiger Stressbewältigungs- und Entspannungstraining sowie Bewegungsprogrammen, einer Chronifizierung entgegengewirkt werden. [3]

Sind akute Schmerzen erst einmal chronifiziert, erfolgt die Behandlung als eine Kombination aus medikamentösen, verhaltensverändernden, psychologischen und physiotherapeutischen Ansätzen. Mithilfe von Medikamenten wird versucht, die erhöhte Schmerzsystemaktivität zu regulieren. Um die neurologischen Ursachen und die Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen, werden psychotherapeutische Verfahren angewandt. Physiotherapie wird dazu genutzt, Vermeidungs- und Schonhaltungen zu verringern. Ein solch multimodaler Therapieansatz berücksichtigt die Krankheitskomponenten des Betroffenen individuell. [3,11]

Protektive Faktoren und Risikofaktoren für chronische Schmerzen

*Ernährungsempfehlungen können bei unterschiedlicher Grunderkrankung variieren!

Übersicht akuter und chronischer Schmerz

Zusammenfassung

Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Schmerzerkrankung, die keine biologische Warnfunktion und weitgehend unabhängig von seinem Auslöser, beispielsweise der Endometriose besteht. Als chronischer Schmerz wird Schmerz bezeichnet, der über einen Zeitraum von 3 bis 6 Monaten andauert.

Schmerzreize werden über das Rückenmark an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Dauern akute Schmerzen lange an, verändert sich der Verarbeitungsprozess von Schmerzreizen, der Schmerz wird durch verschiedene Prozesse lokal an den Sinneszellen und im Nervensystem „gelernt“. Schmerzen, die zuvor als moderat empfunden wurden, werden nun als starke Schmerzen wahrgenommen. Das passiert, weil das Schmerz-verarbeitende System aktiver ist als sonst und regulierende Faktoren weniger wirken. Chronischer Schmerz tritt bei vielen Endometriose-Betroffenen als chronischer Unterbauchschmerz auf und kann durch negative emotionale Erlebnisse und Erfahrungen sowie weitere Faktoren verursacht oder verstärkt werden.

Eine chronische Schmerzerkrankung kann sich auf alle Aspekte des täglichen Lebens und die Lebensqualität massiv auswirken. Verhaltensveränderungen können einer Schmerzchronifizierung vorbeugen oder die Therapie unterstützen.

Um chronische Unterbauchschmerzen zu behandeln, ist ein multimodaler Therapieansatz notwendig.

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